THEO VAN GOGH: WHO THE FUCK IS WASHINGTON? US-Wahl: Warum es China fast egal ist, wer gewinnt

Chinas Blick auf die Wahl : Fast egal, wer ins Weiße Haus einzieht

Von Jochen Stahnke, Peking 26.10.2024, FAZ

Donald Trump oder Kamala Harris? Aus Sicht der Führung in Peking ist es nicht wichtig, wer die anstehende Wahl in den USA gewinnt. Sie denkt in ganz anderen Dimensionen.

Donald Trump galt in den sozialen Medien Chinas als „Chuan Jianguo“: Staatsaufbauer-Trump, der durch sein Verhalten die USA schwäche und die chinesische Nation stärke. Joe Biden war „Keshui Qiao“, der „schläfrige Joe“, jener geria­trisch-weiße Mann, der gleichsam den Niedergang Amerikas symbolisieren sollte. Nur für Kamala Harris, die demokratische Kandidatin bei der US-Wahl im November, scheint man in der Volksrepublik noch keinen passenden Namen gefunden zu haben.

Es wirkt auch nicht so, als suche man eifrig danach. Auch unter den Eliten des Landes löst die Frage keine hektische Betriebsamkeit aus, wer die Vereinigten Staaten nun künftig regiert. Wenn westliche Vertreter dieser Tage chinesische Politiker treffen, dann spielt diese Frage kaum eine Rolle. Und allem Anschein nach hat auch die chinesische Führung keinen bevorzugten Kandidaten.

„Unabhängig davon, ob Harris oder Trump der nächste US-Präsident wird, dürfte die Kontinuität der US-Politik gegenüber China überwiegen“, sagt Shi Yinhong, langjähriger Amerika-Kenner von der Pekinger Volksuniversität. Shi gibt damit eine unter der politischen chinesischen Elite verbreitete Meinung wieder. Zwar habe Harris wie Biden den Sturz der chinesischen Regierung „nicht ausdrücklich auf ihre Tagesordnung gesetzt“, so Shi Yinhong, und ihre Politik sei „weitaus berechenbarer“ als die von Trump. Trotzdem hält er fest: „Die strukturelle Konfrontation zwischen den USA und China ist seit Langem gefestigt, und eine grundlegende Änderung daran ist in naher Zukunft nicht absehbar.“

Xi denkt in historischen Dimensionen

Staats- und Parteichef Xi sei zu dem Schluss gekommen, dass es nicht wirklich wichtig ist, wer im Weißen Haus sitzt, sagte der frühere CIA-Chinaspezialist Christopher Johnson nach einem Besuch in Peking. Nach Pekinger Lesart wollen die USA China und dessen Aufstieg blockieren. Immer wieder beschreibt Xi einen tiefgreifenden strukturellen Konflikt – den am Ende China gewinnen wird. Xi denkt in historischen Dimensionen, die weit über die Amtszeit amerikanischer Präsidenten hinausgehen.

Als Signal aus Peking zur Wahl in den USA gilt der Artikel dreier staatsnaher chinesischer Außenpolitikexperten in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ vom August. Ihnen zufolge ist die Chinapolitik sowohl einer neuen Trump-Regierung wie einer Harris-Regierung aus chinesischer Sicht „wahrscheinlich strategisch konsistent“. Beide Kandidaten würden „Herausforderungen und Nachteile für China mit sich bringen“, schreiben die Chinesen Wang Jisi, Hu Ran und Zhao Jianwei von der Peking-Universität. Doch werde „keiner von beiden wahrscheinlich einen größeren militärischen Konflikt wollen oder alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakte abbrechen“.

Der platzierte Artikel gilt in Peking außerdem als Botschaft, dass man sich nicht in den amerikanischen Wahlausgang einmische, etwa durch Beeinflussungsversuche zugunsten einzelner Kandidaten in amerikanischen sozialen Medien. Eine entsprechende Warnung hatte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan zuletzt im August bei seinem Besuch in Peking geäußert. Sullivan fügte öffentlich an, bislang sehe Washington auch keine Beeinflussungsversuche zugunsten eines Kandidaten. Stattdessen wird vermutet, dass China durch sein ausgreifendes Cyber-Netzwerk in Amerika über soziale Medien und andere Kanäle das Vertrauen in demokratische Abläufe an sich untergraben könnte.

Er möge Xi sehr, sagte Trump

Der Systemkonflikt scheint festgeschrieben, gleich wer die Wahl gewinnt. Unter wem sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen dann wie ausgestalten, ob Trump oder Harris, ist vor dem Hintergrund nur mehr eine taktische Frage. Zwar sagte Trump immer wieder Dinge, die Peking gefallen. Er möge Xi „sehr“, soll er vor ein paar Monaten erklärt haben, während er auch mehrfach Zweifel aufkommen ließ, ob er Taiwan im Kriegsfall verteidigen würde. Zugleich genehmigte Trump so viele Waffenexporte an Taiwan wie keiner seiner Vorgänger. Zudem gilt Trumps früherer Handelsbeauftragter Robert Lighthizer als aussichtsreicher republikanischer Kandidat für das Amt des Finanz- oder Wirtschaftsministers – ein ausgewiesener Chinafalke. Lighthizer verlangt in seinem jüngsten Buch massive weitere Zölle gegen China und ein Ende bestehender Handelsvergünstigungen.

Kamala Harris dagegen hat Xi Jinping in ihrer Rolle als Vizepräsidentin 2022 in Bangkok zwar bereits getroffen. Zur Chinapolitik aber gilt sie bislang als vergleichsweise unbeschriebenes Blatt, auch wenn man annimmt, dass sie die von Biden eingeschlagene Politik fortführt. Im damaligen Vorwahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten 2020 hatte die damalige Kandidatin Harris den Handelskrieg Trumps noch als „Desaster“ bezeichnet. Als derzeitiges Regierungsmitglied in Washington hingegen verbreitet Harris zu den Exportkontrollen gegen China, dass Biden das richtig mache. Harris’ Vizepräsidentschaftskandidat Tim Waltz wiederum unterrichtete nach seinem Uniabschluss Ende der Achtziger für ein Jahr lang Englisch und Geschichte in der chinesischen Provinz. Als Kongressabgeordneter prangerte Waltz immer wieder Menschenrechtsverstöße an, verbreitet als Kandidat nun aber keine eigene dezidierte Chinapolitik.

So bleibe Peking nur eins, sagt Shi Yinhong: „Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2024 kann China nur mehr hoffen, nicht aber zwischen dem ‚kleineren Übel‘ wählen.“ Seine einzige Hoffnung sei, so Shi, „dass ein größerer militärischer Konflikt zwischen den USA und China so lange wie möglich vermieden werden kann“.

Zwei Aktionen der Pekinger Führung unterlegen dieses Denken. Zur Abschreckung feuerte China im September eine Interkontinentalrakete in Richtung amerikanischer Westküste ab, zum ersten Mal seit vierzig Jahren. Und gleichzeitig erhielt der Washingtoner Zoo wieder zwei neue Pandas aus der Volksrepublik, wo die Gehege monatelang leer standen. Mitte Oktober kamen „Bao Li“ und „Qing Bao“ in der amerikanischen Hauptstadt an. Eine Prise Panda-Diplomatie pünktlich zur Wahl.