THEO VAN GOGH WATCH „WEST OF PUTIN“: DAS INFAMSTE STAATLICHE DENUNZIATIONSGESETZ DER WESTLICHEN WELT TRITT IN SCHOTTLAND IN KRAFT  – INITIIERT VOM ERSTEN MINISTER HUMZA YOUSAF (400 MELDESTELLEN! – KINDER KÖNNEN ELTERN MELDEN!)

Schottland: Schlechte Nachrichten für die Redefreiheit

In Schottland tritt ein Gesetz gegen sogenannte Hasskriminalität in Kraft. Nur: wo enden provokative Meinungen, und wo fängt strafbarer Schüren von Hass an?

Ein Kommentar von Jochen Bittner DIE ZEIT  1. April 2024, 16:08 Uhr

Es gibt nur zwei Geschlechter. Ein Mann kann keine Frau werden. Der Islam ist keine Religion des Friedens. Sind diese drei Sätze legitime Meinungsäußerungen, oder schüren sie Hass und müssen sanktioniert werden?

In Schottland sollte man sich als Bürgerin, Bürger oder auch Tourist da besser ganz sicher sein, denn am 1. April tritt dort der “Hate Crime and Public Order Act” in Kraft, ein Gesetz, das sogenannte Hasskriminalität umfassender und härter bestrafen soll als bisher. Nicht mehr nur das “Schüren von rassistischem Hass” steht künftig unter Strafe, sondern auch Äußerungen, die Hass schüren aufgrund von Religion, sexueller Orientierung, Alter oder Transgender-Identität.

Nur, wo enden anstößige, spitze und provokative Meinungen, und wo fängt dieses strafbare Hass-Schüren an? Klare Antworten auf diese Fragen bleibt der “Hate Crime Act” schuldig, und genau deswegen ist er bedenklich.

Der Begriff der Hasskriminalität, daran erinnert das schottische Gesetz gerade, ist weder eine deutsche Erfindung noch eine ursprünglich juristische Kategorie. Hate Crime machte Karriere als politischer Sammelbegriff aus der Anglosphäre. Es war bisher eine Bündelbezeichnung für Straftaten, die aus Hass auf bestimmte Gruppen heraus begangen werden. Ein Beispiel: “Du dummer Sack!” ist schlicht eine Beleidigung. “Du dummer Ausländer!” ist eine Beleidigung, die von Hass auf Nichtdeutsche getragen ist, also ein Hate Crime.

 

Meldeinfrastruktur schafft Anreize für Anzeigen

Nun spricht nichts dagegen, die zweite Beleidigung etwas härter zu bestrafen als die erste, um zu signalisieren, dass Gruppendiskriminierung ein besonders verwerfliches Verhalten darstellt. Im Zeitalter von Social Media, in dem Hemmungen fallen und Ausfälligkeiten mit Klicks belohnt werden, spricht sogar vieles dafür, dieses Signal auch dadurch zu geben, vorurteilsgetriebene Beleidigungen gegen bestimmte Gruppen zu einem eigenen Straftatbestand zu machen. Genau das tut die schottische Regierung jetzt.

 

Allerdings: Ein Strafrecht, das die Redefreiheit beschneidet, muss maximal präzise und chirurgisch vorgehen. Ansonsten löst es bei der Bevölkerung die Sorge aus, sich mit Äußerungen zu umstrittenen Themen ins Unrecht zu setzen. Dabei braucht es den Schutz der Meinungsfreiheit nirgendwo so sehr wie auf eben jenen umstrittenen Debattenfeldern. Werden diese zu Zweifelsräumen über das Erlaubte, dann sagt man lieber weniger. Das schadet nicht nur dem gesellschaftlichen Fortschritt, sondern auch der liberalen Demokratie. Diese abschreckende Wirkung, der chilling effect, ist es, der den neuen Trend, immer mehr Äußerungen unter Hassverdacht zu stellen, so gefährlich macht.

 

Strafbar werden hasserfüllte Äußerungen erst dann, wenn sie höherrangige Rechtsgüter gefährden, wie zum Beispiel die körperliche Sicherheit oder die persönliche Ehre. Eine Regierung, die diese wichtige Trennlinie nicht klar genug zieht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, einen chilling effect entweder billigend in Kauf zu nehmen – oder ihn sogar zu wollen. Bei der linksnationalen Regierung der Scottish National Party (SNP) unter dem Ersten Minister Humza Yousaf drängt sich genau dieser Eindruck auf, und zwar aus mehreren Gründen.

 

Das schottische “Hate Crime”-Gesetz geht einher mit einer neuen Meldeinfrastruktur, die Anreize für Anzeigen schafft. In ganz Schottland wurden über 400 Meldestellen für Hasskriminalität eingerichtet, in Einkaufsstraßen, Universitäten, Rathäusern und Cafés. Die Meldung von Hate Crimes wird also leichter gemacht als die jeder anderen Form von Kriminalität, und sie soll auch anonym erfolgen können.

 

Es gibt widersprüchliche und juristisch teils haarsträubende Aussagen dazu, was Hasskriminalität bedeutet. Laut der schottischen Polizei lautet die “Legaldefinition” für Hasskriminalität folgendermaßen: “Jede Straftat, die aus Sicht des Opfers oder irgendeiner anderen Person (ganz oder zum Teil) motiviert ist durch Boshaftigkeit oder Böswilligkeit gegenüber einer sozialen Gruppe.”

 

Dass die Definitionsmacht darüber, was eine Straftat ist, beim “Opfer oder jeder anderen Person” liegt, das hat es in Westeuropa mutmaßlich seit den Zeiten der Hexenverbrennungen nicht mehr gegeben. Man kann nur hoffen, dass die schottische Polizei sich mit dieser “Legaldefinition” geirrt hat und eher beschreiben will, in welchen Fällen Hasskriminalität gemeldet werden kann. Doch auch die Regierung scheint nicht genau zu wissen, wie sich Hasskriminalität zu anstößigen Meinungsäußerungen abgrenzt. “Es gibt keine einzelne akzeptierte Definition von Hassverbrechen”, heißt es in einem Memorandum des schottischen Parlaments (PDF) zu dem neuen Gesetz. Eine Nachfrage der ZEIT an die schottische Regierung, ob etwa die eingangs zitierten Sätze unter das Gesetz fielen, blieb unbeantwortet.

 

Laut dem Parlamentsmemorandum muss die Meinung zudem nicht einmal geäußert werden, damit man sich strafbar macht. Es reicht, “hetzerisches Material” zu besitzen, das möglicherweise zur Verbreitung gedacht ist und das “wahrscheinlich” dazu führen würde, dass Hass geschürt wird. Unter “inflammatory material” fällt unter anderem alles, was sich elektronisch weiterverbreiten lässt, also Internet-Memes, Fotos oder Videos.

Kinder könnten ihre Eltern melden

Das Gesetz macht auch keinen Unterschied, wenn Meinungen zu Hause geäußert werden, also im klassischen geschützten Bereich. Theoretisch könnten Kinder also ihre Eltern melden wegen solcher “Hasskriminalität”.

 

Natürlich löst all das einen chilling effect aus, und natürlich dürfte der schottischen Regierung das auch klar sein. Sie nimmt ihn also mindestens in Kauf.

 

Vor genau 25 Jahren fällte der britische High Court ein wichtiges Urteil zur Redefreiheit im Common Law. Die Richter schrieben damals: “Redefreiheit umfasst nicht nur das Anstößige, sondern auch das Irritierende, das Umstrittene, das Exzentrische, das Häretische, das Unwillkommene und das Provokative, vorausgesetzt, es provoziert keine Gewalt. Die Freiheit, nur unanstößig zu reden, ist es nicht wert, dass man sie hat.”

 

Es sind kluge Sätze. Gerade das feste Gefühl des anderen, komplett im Recht zu sein, muss man erschüttern dürfen. Anders lässt sich schließlich nicht herausfinden, was richtig ist und was falsch. Aber diese Sätze wirken sehr, sehr lange her im Frühjahr 2024.