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Das Volk hat gewählt – was sind die konkreten Folgen von A wie AHV bis Z wie Zuwanderung?

Das bürgerliche Lager legt im Nationalrat stark zu. Das gab es 2015 schon einmal – doch dieses Mal könnten die Folgen grösser sein, weil auch der Ständerat nach rechts gerückt ist.

 

Fabian Schäfer, Bern NEUE ZÜRCHER ZEITUNG-  23.10.2023, 05.30 Uhr  6 min

Woher weht der Wind in Bern? Nach diesen Wahlen dürften die beiden Kammern des Parlaments vermehrt in die gleiche – bürgerliche – Richtung ziehen.

Es ist ein Hin und Her. Vor vier Jahren hat die SVP im Nationalrat zwölf Sitze verloren, jetzt holt sie neun zurück. Umgekehrt bei den beiden Öko-Parteien: Zusammengezählt haben die Grünen und die Grünliberalen vor vier Jahren sechsundzwanzig Sitze gewonnen, jetzt müssen sie zwölf wieder abgeben. Bei den anderen grossen Parteien ändert sich relativ wenig. Damit ist das Bild klar: Im Nationalrat kommt es zu einer markanten Korrektur nach rechts. Weil die SP die Verluste der Grünen wider Erwarten kaum kompensieren konnte, wird das linke Lager geschwächt. Was nun?

 

Die SVP war schon einmal so stark. 2015 eroberte sie 65 Sitze im Nationalrat, noch mehr als jetzt. Gemeinsam mit der FDP verfügte sie in den Jahren danach über knapp die Hälfte aller Stimmen im Rat, was es so noch nie gegeben hatte. Doch die beiden Parteien konnten wenig aus dieser vielversprechenden Konstellation machen. Das hatte viel mit dem Ständerat zu tun, der in jenen Jahren in manchen wichtigen Fragen von einer einflussreichen Mitte-links-Allianz dominiert wurde.

 

2019 änderten sich die Vorzeichen auf beiden Seiten: Der Ständerat wurde wieder bürgerlicher und konservativer. Dafür konnte die Linke neuerdings im Nationalrat gelegentlich mit der Mitte-Partei und der GLP gemeinsame «Päckli» schnüren. Dies führte zu neuen Reibereien zwischen den beiden Parlamentskammern.

 

Die Mitte an den Hebeln der Macht

Kommt nun der Gleichschritt zwischen National- und Ständerat? Für die linken Parteien sieht es auch in der kleinen Kammer nicht gut aus. In manchen Kantonen sind die Sitze noch nicht definitiv vergeben, doch nach den ersten Wahlgängen vom Sonntag zeichnen sich für das rot-grüne Lager Verluste ab, auch wenn diese geringer ausfallen als manche Prognostiker erwartet hatten. Das lässt annehmen, dass die beiden Kammern in den nächsten vier Jahren häufiger in dieselbe Richtung ziehen könnten als bisher – dass hüben und drüben öfter das Mitte-rechts-Lager den Ton angibt.

 

Allerdings bleibt die Lage volatil. Zwar ist nach den Verlusten der rot-grünen Parteien zu vermuten, dass es im Nationalrat seltener zu Mitte-links-Kooperationen kommt. Unmöglich aber sind sie nicht. Die Mitte-Fraktion ist weiterhin in der komfortablen Lage, mit beiden Seiten des politischen Spektrums Mehrheiten zu bilden. Auch deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass die SVP mit Maximalforderungen durchmarschieren kann.

 

Hier ein erster Überblick zu den Themen, welche die Bevölkerung gemäss Wahlumfragen zurzeit am meisten beschäftigen:

Zuwanderung: Nach ihren Sitzgewinnen dürfte die SVP den Druck in ihrer Paradedisziplin, der Migration, weiter erhöhen. Aussichten auf Erfolg hat sie am ehesten in der Asylpolitik, da sich hier vor allem die FDP, teilweise aber auch die Mitte in den letzten Wochen für eine härtere Gangart ausgesprochen hat. Je nach Entwicklung in den nächsten Wochen könnten etwa die Grenzkontrollen zum Thema werden. Allerdings macht die Asylmigration, die stark zum politischen Unbehagen beiträgt, nur einen sehr kleinen Teil der gesamten Zuwanderung in die Schweiz aus. Wesentlich zahlreicher sind die Zuzüger, die in die Schweiz kommen, um zu arbeiten. Die meisten von ihnen stammen aus der EU und kommen via Personenfreizügigkeit ins Land. Hier aber hört die Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien auf. FDP und Mitte werden auf absehbare Zeit kaum an der Freizügigkeit rütteln, weil sie das ohnehin unsichere Verhältnis zur EU nicht noch weiter strapazieren wollen. Realistisch erscheinen deshalb Verschärfungen in der Asylpolitik, die sich aber kaum auf den Umfang der gesamten Zuwanderung auswirken werden.

 

Beziehungen zur EU: Nimmt man die Wahlen als Gradmesser, wird eine Einigung zwischen der Schweiz und der EU noch schwieriger als bisher angenommen. Die GLP, die sich stets am deutlichsten für einen Deal mit Brüssel ausgesprochen hat, verliert – die SVP, die das geplante Paket vehement bekämpft, legt stark zu. Damit wächst ironischerweise der Einfluss der Gewerkschaften und der SP: Sie einzubeziehen, wird für den Bundesrat noch wichtiger sein, weil das angestrebte Vertragspaket an der Urne kaum eine Chance hat, wenn es von rechts und links attackiert wird.