THEO VAN GOGH WATCH FULL STORY : STÜRZENBERGER ERSTES INTERVIEW – «Wie eine Apokalypse aus heiterem Himmel»: Nach der Messerattacke bei einer islamkritischen Kundgebung in Mannheim äussert sich ein Opfer
Auf dem Marktplatz der baden-württembergischen Stadt verletzte ein Angreifer am Freitag mehrere Personen. Ein Polizist musste ins künstliche Koma versetzt werden. Der Islamkritiker Michael Stürzenberger wurde notoperiert. Am Tag danach gibt er ein Interview. – Alexander Kissler, Berlin NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – 01.06.2024,
Der bei einem Messerangriff während einer Veranstaltung der islamkritischen «Bürgerbewegung Pax Europa» in Mannheim verletzte Polizist ringt nach wie vor um sein Leben. Am Samstag musste er in ein künstliches Koma versetzt werden. «Er schwebt weiterhin in höchster Lebensgefahr», sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts. Der Täter sei operiert worden und zurzeit nicht vernehmungsfähig, die Suche nach dem Motiv daher bislang nicht vorangekommen.
Am Samstagnachmittag ist ein Haftbefehl gegen den Angreifer erlassen worden. Dies teilten die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit. Ihm wird versuchter Mord zur Last gelegt. Bei dem Angreifer handelt es sich um einen 25 Jahre alten Mann aus Afghanistan. Er lebt seit 2014 in Deutschland, zuletzt im hessischen Heppenheim. Die Wohnung des Mannes sei bereits durchsucht worden.
Der Mann hatte am Freitagvormittag Teilnehmer einer islamkritischen Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz angegriffen und sechs Personen verletzt, unter ihnen den Polizisten. Laut dem LKA-Sprecher handelt es sich bei allen Verletzten ausser dem Beamten um Teilnehmer der Kundgebung.
Livestream zeigt Messerangriff
Der Vorfall konnte durch den für die Kundgebung der BPE vorbereiteten Livestream im Netz verfolgt werden. Zu sehen ist, wie ein bärtiger Mann mit Brille mehrfach auf einen anderen Mann einsticht, den, wie sich später herausstellte, Aktivisten Michael Stürzenberger. Der Angreifer attackiert ebenfalls einen Polizisten, ehe er durch einen Kollegen niedergeschossen wird.
Laut der Bürgerbewegung erlitt Stürzenberger «schwere Stichverletzungen» an Gesicht und Bein. Er befinde sich zur Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik im nahe gelegenen Ludwigshafen. Dem Polizisten sei vom Angreifer in Rücken und Nacken gestochen worden. Ausserdem seien «mehrere BPE-Helfer» attackiert worden. Am späten Freitagnachmittag bestätigten Polizei, Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt, der Angreifer habe fünf Angehörige der Bürgerbewegung verletzt.
Eine Sprecherin der BPE erklärte bei bild.de, es sei «keine Attacke, sondern ein Terror-Akt» gewesen. Der Angriff müsse «von langer Hand geplant worden sein». Stürzenberger selbst meldete sich am Freitagabend auf seinem «Telegram»-Kanal. Die zweieinhalbstündige Operation sei gut verlaufen, er danke den Polizisten und den Ordnern der BPE, «die sich dem Angreifer beherzt entgegenstellten».
Die, so Stürzenberger, «differenzierte Aufklärungsarbeit über den politischen Islam, die sich nicht gegen modern, freiheitlich und demokratisch eingestellte Moslems richtet», sei wichtiger denn je. Am Samstagmorgen präzisierte der 59-Jährige, ein «Stich seitlich in die Brust, der Richtung Lunge ging», hätte lebensgefährlich werden können und folgerte: «Es war richtig knapp gestern.»
Wenige Stunden später gibt Stürzenberger am Samstagmittag dem «Deutschlandkurier» ein halbstündiges Video-Interview vom Krankenbett aus. Demnach haben ihn «sieben oder acht Stiche» in kürzester Zeit getroffen, «wie eine Apokalypse aus völlig heiterem Himmel». Bei ihm wie auch beim betroffenen Polizisten sei es ein «klarer Mordversuch» gewesen. Künftig müsse jede BPE-Kundgebung durch Gitter geschützt werden.
Faeser verurteilt brutale Gewalttat und dankt Helfern
Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von einem schrecklichen Verbrechen und einer brutalen Gewalttat, deren Bilder erschütternd seien. Sie danke sehr herzlich «den Polizeikräften, die sofort eingeschritten sind, und den Ärzten und Rettungskräften, die um das Leben der Opfer dieser furchtbaren Tat kämpfen». Die Hintergründe müssten nun ermittelt werden. Sollte jedoch, so Faeser, ein islamistisches Motiv vorliegen, «dann wäre das eine erneute Bestätigung der grossen Gefahr durch islamistische Gewalttaten, vor der wir gewarnt haben».
Mehrere Personen wurden bei der Attacke verletzt.
Der 1964 geborene Journalist Stürzenberger startete seine politische Laufbahn nach der Jahrtausendwende als Pressesprecher der Münchner CSU, aus der er 2011 austrat. Dem bayrischen Landesverband der 2008 in Krefeld gegründeten BPE schloss Stürzenberger sich bald darauf an und war dessen Vorsitzender bis Anfang 2014.
Im bayrischen Verfassungsschutzbericht des Jahres 2022 werden Stürzenberger und der Landesverband ausdrücklich erwähnt. Es gebe tatsächliche Anhaltspunkte, dass beide «islamfeindliche Bestrebungen verfolgen, die auf eine Abschaffung der Religionsfreiheit für Muslime gerichtet sind».
Aus Stürzenbergers «Agitation» lasse sich eine «grundsätzliche Ablehnung der islamischen Religion» ableiten. Er assoziiere den Islam generell mit Terrorismus und ordne nahezu sämtliche Menschen muslimischen Glaubens dem «politischen Islam» zu. Im Verfassungsschutzbericht für 2023 tauchen Stürzenberger und das BPE nicht mehr auf.
Scholz: «Inakzeptabel in unserer Demokratie»
Bundeskanzler Olaf Scholz schreibt auf der Plattform X, die Bilder aus Mannheim seien furchtbar. Gewalt, so der SPD-Politiker, «ist absolut inakzeptabel in unserer Demokratie», der Täter müsse streng bestraft werden. Von entsetzlichen Bildern spricht auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, fügt jedoch hinzu: «Das ist Terror.» Die Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor von den Grünen nennt Stürzenberger einen «bekannten ‹Islamkritiker›, der durchaus Abwertendes und Hasserfülltes zum Islam kundtut». Die Antwort auf Hass dürfe aber weder grösserer Hass noch Gewaltanwendung sein.
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wünscht Stürzenberger und den «weiteren Opfern des feigen Messerattentats» schnelle Genesung. Ihr Parteifreund René Springer, der brandenburgische Landesvorsitzende, erklärt: Das «multikulturalisierte Deutschland» sei kein sicheres Land mehr, die Verantwortung trügen die «Vielfaltsfetischisten und Verharmloser migrierter Extremismen».
Gewiss wird das Attentat eine politische Debatte auslösen über die Sicherheit in Deutschland zwei Wochen vor dem Beginn der Fussball-Europameisterschaft und über die Migrationspolitik der Bundesregierung.