THEO VAN GOGH US WATCH  : WEST OF PUTIN ! WIE VERHINDERT MAN GESICHTSWAHREND DIE KANDIDATUR DONALD TRUMPS ?

Zweischneidiges Urteil in Colorado: Trump hat an Revolte teilgenommen, kann aber nicht von der Wahl ausgeschlossen werden

Eine Richterin in Denver sprach sich am Freitag gegen ein Wahlverbot für Donald Trump aus: Dieser habe sich an einer Rebellion beteiligt, doch der «Aufstandsparagraf» in der Verfassung gelte nicht für Präsidenten. Die Kläger wollen die enge Rechtsauslegung anfechten.

Christian Weisflog, Washington  20.11.2023, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Trump muss vorerst nicht mit Wahlverboten in einzelnen Gliedstaaten rechnen, aber das letzte Wort in dieser Sache ist noch nicht gesprochen.

Kurz vor Thanksgiving ereilte Donald Trump am Freitag eine schlechte und eine gute Nachricht aus Colorado. Die schlechte Neuigkeit: «Trump beteiligte sich am 6. Januar 2021 durch Aufwiegelung an einem Aufstand», schrieb die Bezirksrichterin Sarah Wallace in Denver in ihrem Urteil.

Der abgewählte Präsident habe vor dem Sturm auf das Capitol den Zorn seiner extremistischen Anhänger angefacht, um absichtlich politische Gewalt anzustiften, stellte die Richterin weiter fest. Sein bewusstes Ziel sei es dabei gewesen, die Zertifizierung von Joe Bidens Wahlsieg mit illegalen Mitteln zu verhindern.

Ein interpretierbares Erbe des Bürgerkriegs

Bis hierhin übernahm Wallace die Argumente der Kläger – vier republikanische und zwei unabhängige Wähler aus Colorado, vertreten durch eine Bürgerrechtsorganisation in Washington. Nun aber folgt die gute Nachricht für Trump: Gemäss der Richterin ist Paragraf 3 im 14. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung nicht auf Präsidenten anwendbar. Deshalb könne er nicht von Wahlen oder Ämtern ausgeschlossen werden. In diesem Punkt folgte Wallace damit der Verteidigung.

Der 14. Zusatzartikel wurde kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg 1868 ratifiziert. Personen, die einen Amtseid auf die Verfassung abgelegt hatten und sich an einer Revolte beteiligten, sollten demnach keine Positionen im Staatsdienst mehr übernehmen dürfen. Ziel war es damals, die treibenden Kräfte des Bürgerkriegs in den Südstaaten von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten. Um das Land zu versöhnen, kam es nach wenigen Jahren jedoch zu einer Amnestie. Der sogenannte «Aufstandsparagraf» wurde seither kaum mehr angewendet.

Der Verfassungsartikel ist zum einen nicht sehr verständlich formuliert. Zum anderen fehlte seinen Schöpfern damals wohl die Vorstellungskraft, dass ein amerikanischer Präsident selbst eine Revolte anzetteln könnte. Das oberste Amt im Staat wird in dem Text deshalb nicht explizit erwähnt. Als konkrete Beispiele aufgeführt werden Kongressabgeordnete, Elektoren oder «Officers of the United States» – ein deutbarer Begriff. Richterin Wallace erklärte deshalb: «Ein Grund für die Entscheidung des Gerichts ist die Zurückhaltung, eine Interpretation anzunehmen, die einen Präsidentschaftskandidaten ausschliessen würde, ohne eine klaren und unmissverständlichen Hinweis, dass dies die Absicht von Paragraf 3 ist.»

 

Ein heikler Fall für den Supreme Court

Für die Kläger, die auch in anderen Gliedstaaten ein Wahlverbot gegen Trump anstreben, ist das Urteil vom Freitag ein weiterer Dämpfer. In den vergangenen Wochen haben es auch Gerichte in Minnesota, New Hampshire und Michigan zumindest vorerst abgelehnt, den 14. Zusatzartikel auf den ehemaligen Präsidenten anzuwenden. Die meisten Richter lehnten die Klagen jedoch aus prozeduralen Gründen ab, ohne auf den Vorwurf der Revolte einzugehen. Darin unterscheidet sich das Urteil in Denver. Dass Wallace den ehemaligen Präsidenten im Grunde als Aufrührer qualifiziert habe, sei «historisch», kommentierte der ehemalige Bundesrichter Michael Luttig in einem Fernsehinterview.

 

Er könne sich nicht vorstellen, dass künftige Instanzen diesen Befund revidieren würden, meinte Luttig. Gleichzeitig kritisierte er Wallace’ Interpretation des «Aufstandsparagrafen» als eine äusserst enge und «inkorrekte» Auslegung des Gesetzes. Der Text sei eindeutig genug, damit auch ein ehemaliger Präsident unter Abschnitt 3 des 14. Zusatzartikels von einem Amt ausgeschlossen werden könne, meinte der konservative Trump-Kritiker, der unter George W. Bush als Kandidat für den Supreme Court galt.

 

Trotz ihrer erstinstanzlichen Niederlage in Denver freuten sich deshalb auch die Kläger. Sie seien ermutigt, weil sie den Prozess nur aufgrund einer engen Rechtsauslegung verloren hätten, sagte einer ihrer Anwälte nach dem Urteil. Sie würden den Fall nun an das Oberste Gericht in Colorado weiterziehen. Womöglich wird am Ende der Supreme Court in Washington in der heiklen Frage eine endgültige Entscheidung fällen müssen. Sollte es so weit kommen, darf man gespannt sein, wie die mehrheitlich konservativen Richter urteilen werden.