THEO VAN GOGH: STAATLICH SUBVENTIONIERTE JOURNALISTISCHE SÖLDNER
„Geheimplan gegen Deutschland“: Wie das staatlich finanzierte Portal Correctiv eine Wannseekonferenz 2.0 erfand
Recherchen von NIUS legen nahe: Weder gab es einen Geheimplan, noch ging es bei der Veranstaltung um die Vertreibung von Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund.
14.01.2024 – 10:44 Uhr NIUS BJÖRN HARMS – JAN A. KARON
Es ist eine Enthüllungsgeschichte, die für bundesweites Aufsehen sorgt und seit Tagen die Schlagzeilen dominiert: Das Rechercheportal Correctiv berichtete am Mittwoch über ein im November stattgefundenes Treffen in einer Potsdamer Villa, bei dem sich „hochrangige Politiker“ der AfD und CDU, Unternehmer und rechte Aktivisten getroffen haben sollen, um an einem „Geheimplan gegen Deutschland” zu tüfteln.
Dieser sehe vor, Millionen Ausländer, aber auch Deutsche mit Migrationshintergrund, aus dem Land zu schaffen. „AfD-Politiker beraten offenbar über Vertreibungsplan”, titelte die ARD-Tagesschau. Der Spiegel schrieb sogar von einem „Deportationsgipfel“. „Was dort an diesem Wochenende entworfen wird, ist ein Angriff auf die Existenz von Menschen. Und es ist nicht weniger als ein Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik“, behaupten die Journalisten von Correctiv. Wie sie darauf kommen? „Quellen belegen gegenüber Correctiv die Aussagen der Teilnehmenden“, heißt es dazu nebulös im Text.
Doch was ist dran an den Vorwürfen?
Recherchen von NIUS legen nahe: Weder gab es einen Geheimplan, noch ging es bei der Veranstaltung um die Vertreibung von Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund. Zudem fanden sich am 25. November 2023 auch keine hochrangigen Politiker im Landhotel Adlon in Potsdam ein, die einen wie auch immer aussehenden Geheimplan hätten umsetzen können. An zahlreichen Punkten stimmt die von Correctiv erzählte Geschichte nicht mit den Berichten von Anwesenden überein, mit denen NIUS sprach, um die tatsächlichen Geschehnisse zu rekonstruieren.
Präparierte Räumlichkeiten bei privatem Treffen
Geladen zu dem Treffen hatten Gernot Mörig, 69 Jahre alt, ein Düsseldorfer Zahnarzt im Ruhestand, und der Franchise-Unternehmer Hans-Christian Limmer, Gründer der Bäckereikette „Backwerk“. Mörig weist eine zweifelhafte Vergangenheit auf und war in den 1970er Jahren im rechtsextremen Verein Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) aktiv. In der persönlichen ersten Einladung an die Teilnehmer, die NIUS vorliegt, wird von einem „privaten Treffen“ eines „exklusiven Netzwerks“ gesprochen, das einen „konstruktiv-vertraulichen Gedankenaustausch“ ermöglichen soll.
Die Gästeliste umfasste unterschiedlichste Personen. Von der AfD waren anwesend: Gerrit Huy, Bundestagsabgeordnete, Ulrich Siegmund, Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, und Roland Hartwig, zunächst Manager bei Bayer, später AfD-Bundestagsabgeordneter und mittlerweile Referent von AfD-Parteichefin Alice Weidel. In die Runde gesellten sich auch die Immobilienunternehmerin und Journalistin Silke Schröder, der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, zwei Mitglieder der Werteunion und auch der Chef der Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner, dessen Vortrag laut Correctiv am Abend des 25. November im Zentrum steht. Laut Informationen von NIUS waren 20 bis 25 Personen anwesend, darunter keine bundesweit bekannten oder einflussreichen Mandatsträger aus der AfD oder CDU.
Das Gasthaus in Potsdam, in dem ein „Geheimplan gegen Deutschland“ vorgestellt worden sein soll.
Correctiv erfuhr frühzeitig von dem Treffen und präparierte offenbar den Veranstaltungsort. Dabei sollen drei versteckte Kameras am Eingang zum Einsatz gekommen sein, zudem soll ein Fotograf mit Teleobjektiv von einem angemieteten Floß des angrenzenden Sees Aufnahmen der Teilnehmer angefertigt haben. Gleichzeitig wurde ein Hotelgast eingeschleust, der, so vermuten es Teilnehmer des Treffens, heimlich Ton- und Bildaufnahmen der Veranstaltung angefertigt haben soll. Dieser reiste am 23. November unter dem Namen Walter Redelfs an und checkte am 25. November wieder aus.
Teilnehmer der Veranstaltung berichten gegenüber NIUS, dass die Person mehrmals den offenen Tagungsraum aufgesucht habe und wiederholt abgewiesen wurde. Zudem soll er mit Kopfhörern gesehen worden sein. Auf Nachfrage von NIUS verneint Correctiv, die Veranstaltung aufgezeichnet zu haben, beispielsweise mit einem Richtmikrofon.
Der eingeschleuste Hotelgast: Walter Redelfs
Seit Jahren hilft der Staat bei der Finanzierung von Correctiv
Correctiv erläutert ihre Vorgehensweise wie folgt: „Wir mieteten ein Zimmer über ein Online-Portal, das die Hoteliers offenbar vergessen hatten zu blockieren. Damit konnte einer unserer Reporter ganz offen das Haus betreten und mit den anderen Gästen als einziger externer Teilnehmer übernachten.“ Das sei nachweislich falsch, erklärt Hotelbesitzer Wilhelm Wilderink im Gespräch mit NIUS. Laut ihm befanden sich weitere externe Gäste in der Villa, in der auch Teile der Serie „Babylon Berlin“ gedreht wurden. Es habe am Haus auch keine gesonderten Sicherheitsmaßnahmen gegeben. All das torpediert die These eines Geheimplans.
Correctiv: staatlich geförderte „Recherchen für die Gesellschaft“
Doch wer ist eigentlich das Rechercheportal, das sich hier das Recht herausnimmt, private Treffen mit versteckten Kameras abzufotografieren und vermutlich abzuhören? Ist Correctiv tatsächlich so unabhängig, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird?
Tatsächlich profitieren die Journalisten seit Jahren massiv von Steuergeldern. So erhielt das Portal etwa Finanzmittel von der Kultur- und Medienbeauftragten der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne). Diese förderte 2022 zehn mehrheitlich linke journalistische Projekte mit rund 2,3 Millionen Euro. „Steuergeld für Journalisten, die auf Linie sind“, titelte dazu die NZZ. Eine Anfrage, ob man keine Bedenken dabei habe, wenn ein staatlich gefördertes Medienunternehmen private Treffen bespitzele, ließ das Büro der Staatsministerin für Kultur und Medien unbeantwortet.
2023 erhielt das Recherchezentrum unter anderem 61.000 Euro aus dem Bundesfamilienministerium. Aus der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen flossen 2022 knapp 362.000 Euro an Steuergeld. Auch aus den Stiftungen der US-Milliardäre George Soros und Pierre Omidyar, beide bekannt für ihre Spenden an linke Vereine und Organisationen, kamen seit 2016 über 2,5 Millionen Euro.
Es stellt sich also die Frage, ob regierungsfinanzierte Medienaktivisten Überwachungsmethoden verwenden dürfen, um politische Aktivitäten auszuspähen. Paparazzi-Fotos von Promis – das kennt man. Aber ausgefeilte Observationen von Menschen aufgrund ihrer Ansichten, ausgeführt durch Organisationen, die sich auch durch Steuergeld finanzieren – das ist neu und schien bis vor kurzem noch undenkbar. Voller Stolz dokumentiert Correctiv, was an die Methoden eines politischen Geheimdienstes erinnert.
Correctiv fertigte eine Skizze an, auf der zu sehen ist, wo die versteckten Kameras installiert wurden.
Wie eng das Verhältnis zwischen Regierung und Correctiv ist, zeigt sich auch an den Verlautbarungen der stellvertretenden Chefredakteurin, Anette Dowideit: „Lieber Bundeskanzler Scholz, danke für die Erwähnung und gut, dass Sie unsere Recherche kommentieren”, schrieb sie auf X (ehemals Twitter), als Scholz mit Verweis auf den Artikel von Correctiv sich gegen „Fanatiker mit Assimilationsfantasien“ aussprach. Später teilte sie einen Aufruf zu einer Demonstration gegen die AfD am Freitagabend.
Stand das Thema Remigration im Zentrum des Tages?
Das Ziel des Treffens, so die Correctiv-Recherche, sei „nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“. Im Zentrum des Tages habe dabei das Konzept der Remigration gestanden. „Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben.“ Die Intonierung des Artikels legt nahe, dass sich hier sinistre Kreise im Geheimen träfen, um über die Deportation von Millionen Ausländern zu diskutieren.
Correctiv selbst zog Parallelen zum Madagaskar-Plan der Nationalsozialisten – und rückte die Veranstaltung wortwörtlich sogar in die Nähe der Wannseekonferenz. „Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten“, raunten die Autoren.
Gesamtkontext und Themengewichtung wurde außen vor gelassen
Die Recherchen von NIUS zeigen: Bei dem Treffen handelte es sich um einen privaten Kreis, der sich am 25. November in dieser Zusammensetzung erstmals traf, aber nicht zusammenkam, um ausschließlich über Abschiebungen zu sprechen. Auf der Tagesordnung, die NIUS vorliegt, ist das Thema Remigration nicht zu finden. Stattdessen werden mehrere Vorträge angekündigt.
Unterschiedliche Teilnehmer, mit denen NIUS sprechen konnte, erklären, dass bei dem mehrstündigen Treffen über zahlreiche Themen referiert und debattiert worden sei. Auf der Tagesordnung finden sich Vorträge zu Fragen der „Koordination alternativer Influencer“, über die Problematik der Briefwahl, die Kommunalpolitik in Sachsen-Anhalt bis hin zum Linksextremismus. Ein Teilnehmer spricht von einem „Vernetzungstreffen mit Impulsvorträgen“. Einen dieser Vorträge hielt Martin Sellner. Der Titel aber hatte nichts mit Migration zu tun, sondern lautete: „Eine systematische Gesamtstrategie (Masterplan)“. Die Vortragsfolien, die an diesem Tag gezeigt wurden, liegen NIUS vor. Remigration sei innerhalb dieses Vortrags ein wichtiger Unterpunkt gewesen.
Im Rahmen dieses Vortrags habe die Diskussion um Remigration, so ein Teilnehmer, etwa 45 Minuten eingenommen. Andere berichten von „eher beiläufig 20, vielleicht 30 Minuten“. Die Zusammenkunft begann um 9 Uhr und endete gegen 17 Uhr, bevor man den Tag bei einem Abendessen ausklingen ließ. Wie lange an diesem Tag genau über das Thema diskutiert wurde, ist schwer zu rekonstruieren. Was aber alle Anwesenden verneinen: dass das Treffen unter diesem alles übergelagerten Thema stand.
Auf Anfrage von NIUS, warum der Artikel den Gesamtkontext des Tages außen vorlasse, teilt Correctiv mit: „Ihre Gesprächspartner erinnern sich unseren Recherchen zufolge nicht richtig oder haben Ihnen die Unwahrheit gesagt.“ Es wird erneut Bezug genommen auf das Einladungsschreiben.
Die Einladungen wirken unseriös
Doch die Angelegenheit mit den Einladungen ist gar nicht so einfach zu überblicken, denn es gibt mindestens drei, die zum Teil Rechtschreibfehler aufweisen und laienhaft gestaltet sind. Im ersten Schreiben lädt das „Düsseldorfer Forum“ für den 25. November ins Landhaus Adlon in Potsdam ein. „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir gemeinsam noch einen positiven Wandel in unserem Land bewirken können“, heißt es im Schreiben aus dem September. Konkrete Vorträge sind hier noch nicht gelistet. Es ist von einer Mindestspende von 5000 Euro die Rede. Vor Ort werde ein „neutrales Konto bekanntgegeben“.
Das Einladungsschreiben vom September
Zahlreiche Teilnehmer, darunter etwa Silke Schröder, beteuern, nur dieses erste, völlig vage gehaltene Schreiben erhalten zu haben. „Dass Martin Sellner referieren wird, wusste ich beispielsweise überhaupt nicht“, sagt AfD-Politikerin Gerrit Huy. Sie wäre zu dem Treffen aber auch gekommen, wenn sie von Sellners Anwesenheit gewusst hätte.
Correctiv beruft sich weiter auf ein zweites Schreiben vom Oktober, in dem Martin Sellner, aber auch Alexander von Bismarck namentlich ausgewiesen werden. In diesem Schreiben wird ausdrücklich auch auf die „notwendige Diskretion“ hingewiesen. Der Kooperationspartner von Correctiv, das Investigativteam von Greenpeace, veröffentlichte zudem ein drittes Dokument, in dem thematische Schwerpunkte abgebildet werden.
Das Thema Remigration ist nirgends zu finden, stattdessen aber versprechen die Veranstalter: Sellner werde ein Gesamtkonzept im Sinne eines Masterplans vorstellen. Staatsrechtler Ulrich Vosgerau gibt an, davon gewusst zu haben, dass Sellner vor Ort ist. Das habe ihn auch nicht abgeschreckt. Warum auch, sagt er im Gespräch mit NIUS, schließlich dürfe man sich in einem freien Land Vorträge anhören, von wem man wolle und könne zur Not Einspruch erheben, wenn einem das Gesagte nicht passt oder verfassungswidrig vorkomme.
Vertreibungs- und Deportationspläne?
Der Österreicher Martin Sellner, der als Kopf der Identitären Bewegung gilt, die der Verfassungsschutz in Deutschland unter Präsident Thomas Haldenwang (CDU) als rechtsextremistisch einstuft, soll in seinem Referat Remigration behandelt und dabei zwischen drei Gruppen unterschieden haben: Asylbewerbern, Ausländern mit Bleiberecht – und „nicht assimilierten Staatsbürgern“. Der 35-Jährige soll das Bleiberecht an das Kriterium der Assimilation geknüpft haben, berichten Teilnehmer. Besonders das Vorhaben letztere, also eingebürgerte Deutsche, auszuweisen, sorgt derzeit für Empörung. Von „millionenfacher Vertreibung“ und „Massendeportation“ sprachen zahlreiche Medien, nicht selten mit dem Zusatz „ethnischer Kriterien“.
Im Vortrag selbst sei Sellner, wie Teilnehmer berichten, mitnichten auf NS-Analogien eingegangen, sondern habe Vorbilder für ein mögliches Remigrationskonzept angesprochen, wie etwa den Inselstaat Fidschi, der Auswanderungsdruck gegen die unter britischer Kolonialherrschaft angesiedelte indische Bevölkerung ausübt, oder Pakistan, das kürzlich 1,7 Millionen Afghanen zur Ausreise aus dem Land aufgefordert hatte. Auf Anfrage, weshalb diese konkreten Beispiele in der Correctiv-Berichterstattung nicht aufgegriffen wurden, teilte das Medium mit: „Wir haben den Vortrag Martin Sellners weder falsch noch unvollständig kontextualisiert.“
Ab wann genau sind Überlegungen zur Remigration ein „Geheimplan“?
Nach Informationen von NIUS ist im Vortrag das Wort Vertreibung nicht gefallen – eine Vokabel, die derzeit im Zuge der Berichterstattung die Runde macht. Sellner habe auch nicht die massenhafte Ausweisung deutscher Staatsbürger propagiert, wie bei Correctiv zu lesen ist, sondern dafür plädiert, nicht-integrierte Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft zur Assimilation zu drängen oder Personen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, etwa, wenn schwere Straftaten begangen wurden.
Ähnliche Vorschläge formulierten in den vergangenen Monaten die SPD-Innenministerin Nancy Faeser (bei Clankriminellen) oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und CDU-Innenpolitiker Alexander Throm (bei antisemitischen Demonstrationen). Faeser verlangte sogar die Abschiebung von Clan-Mitgliedern, die keine Straftat begangen haben. Erst Ende Oktober sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Spiegel für „Abschiebungen im großen Stil“ aus.
Die SPD forderte, Menschen auszubürgern.
Staatsrechtler Ulrich Vosgerau wundert sich: „Im Herbst war Nancy Faeser noch rechtsradikaler als Martin Sellner und musste gar nicht abgehört werden, weil sie es in offizielle Regierungserklärungen geschrieben hat. Und nun irgendwie eine radikale Kehrtwende, jedes Nachdenken darüber, wie man mit Millionen von illegalen Einwanderern seit 2015, die nach der neuen Studie von Raffelhüschen dem Sozial- und Rentensystem nichts bringen, sondern sehr viel kosten werden, umgehen will, gilt auf einmal als Planung von ‚Vertreibungen‘.“
Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Spiegel-Cover.
Patrick Bahners schreibt dazu in der FAZ: „In der Sache gehen die Punkte in Sellners Konzept, die Correctiv referiert, an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus. Ein „Musterstaat“ in Afrika – das ist erst einmal nur die konsequentere Variante des Projekts der Stabilisierung Libyens oder der Ruanda-Pläne von Rishi Sunak und Jens Spahn. Assimilationsdruck – für Linnemann-CDU und Giffey-SPD kein Tabu.“
Auf die Frage, ob Correctiv nachvollziehen könne, dass inzwischen andere Medien von „ethnischen Säuberungen“ und „Vertreibungen“ sprechen, teilte das Onlineportal mit: Man könne „gut nachvollziehen, dass sich aufgrund der Recherche diese Assoziationen bei Leserinnen und Lesern aufdrängen, die sich durch Rechtspopulisten bedroht fühlen.“
Inwiefern die Überlegungen zur „Remigration“ indes einen „geheimen Plan“ darstellen, steht auf einem anderen Blatt: AfD-Politiker sprechen darüber ganz offen und nutzen die Vokabel regelmäßig. In Martin Sellners Telegram-Kanal selbst findet man 353 Einträge, wenn man nach dem Begriff sucht. Seit Jahren propagiert der rechte Aktivist den Begriff. Für Ende Februar ist ein Buch von ihm mit dem Titel „Remigration. Ein Vorschlag“ angekündigt.
Teilnehmer sollen falsch zitiert worden sein
Auch an anderer Stelle werfen Teilnehmer der Veranstaltung Correctiv vor, bewusst die Tatsachen zu verdrehen: Beim Treffen am 25. November hielt auch Vosgerau einen Vortrag: über die Problematik der Briefwahl. Laut Correctiv habe Vosgerau erklärt, „junge Wählerinnen türkischer Herkunft könnten sich keine unabhängige Meinung bilden“.
Tatsächlich aber ging es in seinem Vortrag um ein konkretes Fallbeispiel, dass die Hürden der Briefwahl verdeutlichen sollte, wie Vosgerau gegenüber NIUS erklärt. Ihm sei es allein um die Frage gegangen, ob ein türkischstämmiges Mädchen, das in Anwesenheit mehrerer Brüder und der Familie einen Briefwahlzettel ausfüllt, tatsächlich eine unabhängige Entscheidung treffen könne. Dies torpediere die Wahlgrundsätze einer geheimen und freien Wahl. Mit Ressentiments oder der Unfähigkeit, sich politisch zu bilden, habe dies nichts zu tun, so der 50-Jährige.
Konsequenzen, Distanzierungen und wirtschaftlicher Schaden
Für Vosgerau könnte die Berichterstattung auch persönliche Konsequenzen haben: Die Universität Köln, an der der 50-Jährige bis 2018 lehrte, distanzierte sich in einem Statement. Man wolle prüfen, ob Vosgeraus Voraussetzungen für den Status „Privatdozent“ noch gegeben seien.
Auch der Verein deutsche Sprache (VDS), für den sich die Teilnehmerin Silke Schröder ehrenamtlich engagiert, ging auf Distanz zu ihr. „Der VDS unterstützt keine Aktionen, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind und lehnt Diskriminierung jeder Form ab“, heißt es in einem Statement, das nach Informationen von NIUS binnen weniger Stunden veröffentlicht wurde, ohne Rücksprache mit Schröder zu halten. Nach Informationen von NIUS prüft der Verein einen Ausschluss Schröders aus dem Vorstand, der am kommenden Freitag beraten werden soll.
Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau war ebenfalls vor Ort.
Die Burgerkette „Hans im Glück“ und die Restaurantkette „Pottsalat“ trennten sich unterdessen von ihrem Gesellschafter Hans-Christian Limmer, einem der beiden Kongressveranstalter. Um Schaden vom Unternehmen abzuwenden, habe er angeboten, seine Gesellschafterstellung umgehend aufzugeben. „Wir sind überrascht und bestürzt über die öffentlichen Vorwürfe, einer unserer Mitinhaber habe zu einer Veranstaltung mit eingeladen, bei der Rechtsradikale die Remigration von Millionen Menschen, darunter auch von deutschen Staatsangehörigen, gefordert haben sollen“, schreibt das Unternehmen „Hans Im Glück“. Limmer war auf dem Treffen im November nicht einmal anwesend, kann also auch nicht wissen, was tatsächlich besprochen wurde. Auch bei der Organisation und Planung habe er keine Rolle gespielt, beteuert er.
In der CDU prüft man nach Informationen von NIUS derweil ein Parteiausschlussverfahren gegen Simone Baum und Michaela Schneider. Beide Frauen von der konservativen Werteunion waren an dem besagten Vortragstag anwesend. Die AfD hingegen betonte den „privaten Charakter“ des Treffens. In einem Statement der Partei heißt es, „die anwesenden AfD-Mitglieder seien nicht im Namen der Partei aufgetreten“. Die Programmatik der Alternative für Deutschland gehe „transparent und rechtsstaatlich mit dem Remigrationsbegriff um: Weder im Bundestagswahlprogramm 2021 noch im Europawahlprogramm 2024 sind irgendwelche Anhaltspunkte aufgeführt, die unser Selbstverständnis als ‚Grundgesetzpartei‘ in irgendeiner Weise in Frage stellen könnten.“
Keine Gesinnungsprüfung vor Ort
NIUS sprach auch mit Wilhelm Wilkering, seit 2011 Besitzer des Landhaus Adlon, wo das Treffen stattfand. Der Hotelier ist gleichzeitig Beisitzer im Vorstand der CDU Potsdam und geriet durch die Berichterstattung in die Schusslinie. Vor dem 5100 Quadratmeter großen Grundstück fanden sofort Spontandemonstrationen statt. Vor allem für seine Familie stelle die Situation eine große psychische Belastung dar, erzählt er NIUS. Seit Jahren stellt Wilkering das Landhaus für Veranstaltungen zur Verfügung. Rund 80 bis 100 Events finden dort jährlich statt – darunter Hochzeiten, private Feiern, aber auch politische Veranstaltungen. Grundsätzlich könne jeder über eine Vermietungsgesellschaft die Räumlichkeiten buchen, erklärt er, auch die AfD. Wer die Veranstaltungen dann genau besuche, entziehe sich seiner Kenntnis, denn er führe natürlich keine Gesinnungsprüfung vor Ort durch.
Welche Rolle spielen die Forderungen nach einem AfD-Verbot?
Auf die Frage, inwiefern die Berichterstattung von Correctiv über das private Treffen die verheerenden Konsequenzen für Gäste und Hotelbesitzer rechtfertige, entgegnet das Medium: „Sie fragen im Grunde, ob wir uns bei den Teilnehmern dafür entschuldigen möchten, dass sie womöglich wirtschaftlichen Schaden erleiden könnten, weil Geschäftspartner nicht mehr mit ihnen arbeiten möchten, nachdem sie an einem Geheimtreffen teilgenommen haben, bei dem es um Möglichkeiten für die Vertreibung Millionen deutscher Staatsbürger aus Deutschland ging, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen – außer, dass sie der völkischen Ansicht einiger Leute zufolge nicht ‚assimiliert‘ genug seien.“ Die Antwort laute: nein.
Mehrere Teilnehmer des Treffens äußerten gegenüber NIUS, dass sie den Eindruck hätten, Correctiv ginge es um darum, die „Zerstörung wirtschaftlicher Existenzen zu betreiben und Munition für ein AfD-Verbotsverfahren bereitzustellen“.
In der Tat nimmt die Debatte über ein mögliches Verbot der AfD neue Dynamik auf. Bereits am Mittwoch fragte die Süddeutsche Zeitung: „Kann die AfD verboten werden?“. Die Zeit ging noch weiter: „Braucht es ein AfD-Verbot?“ Die Tagesschau titelte am Freitag: „Nach Treffen mit Rechtsextremen: Argumente für ein AfD-Verbotsverfahren?“ Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) teilte in einem Interview mit RTL mit, man müsse sich „sehr genau einzelne Äußerungen, einzelne Personen, einzelne Gliederungen anschauen und dann natürlich auch Beweise sammeln, die hart genug sind“.
AfD-Politiker in Verbrecheroptik: „Braucht es ein AfD-Verbot?“, fragt die ZEIT.
Der Berliner Tagesspiegel brachte „neben einem Parteiverbot“ auch die Aberkennung der Grundrechte für „einzelne AfD-Funktionäre“ ins Spiel. Dies wäre zwar „ein juristisches Novom, aber keineswegs aussichtslos“.
Auch über die Aberkennung von Grundrechten für AfD-Politiker wird mittlerweile diskutiert.
Die Inszenierung geht in die nächste Runde
Angesichts der Berichterstattung über den „Geheimplan gegen Deutschland“ drängen sich auch juristische Fragen auf. Nicht nur die Optik im Stile der „Jason Bourne“-Trilogie erinnert an einen Agententhriller – auch die Ausspähung und Infiltration des Treffens wirken mitunter wie geheimdienstliches Vorgehen. Ein Teilnehmer spricht von „Stasi-Methoden“.
Auf Nachfrage, ob es sich bei dem eingeschleusten Gast Walter Redelfs um eine echte Person handelt, bestätigt Correctiv, dass ein Reporter unter falschem Namen eincheckte. Im Internet findet man zumindest einen Mann mit gleichem Nachnamen: Manfred Redelfs, einen Journalisten und Privatdozenten mit Verbindungen zu Greenpeace. Eine verwandtschaftliche Beziehung gebe es nicht, so Correctiv. Die beim Online-Buchungsanbieter hinterlegte Adresse des Gastes ist die Bergmannstraße 26 in Berlin-Kreuzberg, wo sich das Restaurant Felix Austria befindet – wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl an den österreichischen Identitären Martin Sellner.
Sollten Tonaufnahmen von der Veranstaltung existieren – das Zitieren eines stundenlangen Zusammenkommens erstaunt manch einen Teilnehmer –, könnten rechtliche Konsequenzen folgen. Nach Informationen von NIUS behalten sich zahlreiche Teilnehmer sowohl Strafanzeigen als auch ein presserechtliches Vorgehen vor.
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy, die am Treffen ebenfalls beteiligt gewesen war, hat bereits Strafanzeige wegen drei Straftatbeständen erstattet: der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und der Verletzung des Rechts am eigenen Bild.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft derzeit, ob der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Erst dann können Ermittlungen eingeleitet werden. „Im Rahmen dieser Prüfung wertet die Staatsanwaltschaft Potsdam gegenwärtig die vorbezeichnete Presseberichterstattung aus“, teilt ein Sprecher gegenüber NIUS mit.
Ein Ende des Agententhrillers von der Villa in Potsdam ist derweil nicht in Sicht. Die Recherche über den „Geheimplan“ wird schon in wenigen Tagen, am 17. Januar, im Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht. Dann geht die Inszenierung, so erzählen sich böse Zungen, in die nächste Runde.
Anmerkung: In einer ersten Version des Textes hieß es, Correctiv habe eine Anfrage zur Echtheit der eingeschleusten Person Walter Redelfs nicht beantwortet. Correctiv stellt jedoch klar, dass es sich um keinen echten Namen handelt. Wir haben den Text entsprechend aktualisiert.