THEO VAN GOGH RESEARCH: Chinas Armeeforscher an der ETH Zürich – wie riskant ist das?

NZZ 24.5.22 Auf Initiative der niederländischen Investigativplattform Follow the Money mit Unterstützung des deutschen Recherchezentrums Correctiv haben Journalisten aus sieben europäischen Ländern die akademischen Beziehungen zwischen Europa und China untersucht. Ans Licht kamen dabei auch rund 3000 Kooperationen mit Forschern an chinesischen Militäruniversitäten. Ein Professor der ETH Zürich berichtet von einem chinesischen Doktoranden, der die Ortung von Personen in Innenräumen verbessern wollte. Nach Abschluss der Arbeit brach der Kontakt ab, heute arbeitet der Mann für Huawei. Im Nachhinein machten ihn die Verbindungen von dessen Doktorvater zum Militär stutzig, sagt der ETH-Professor.

Darum ist es wichtig: Die Kooperation mit China ist für die Schweiz lohnend, weil China in gewissen Bereichen wie etwa der Nanotechnologie weltweit führend ist. Auch finanzielle Anreize spielen eine Rolle: Allein die Stiftung der ETH hat seit 2016 rund 12 Millionen Franken in Form von nicht zweckgebundenen Schenkungen von chinesischen Unternehmen erhalten. Problematisch ist freilich für die Schweiz und den Westen, dass China Menschenrechte mit Füssen tritt. Was Chinas Militärforscher in der Schweiz an Wissen erwerben, könnten sie direkt der Armee und dem Unterdrückungs- und Überwachungsstaat von Präsident Xi Jinping zur Verfügung stellen. Der Nachrichtendienst des Bundes warnt daher vor möglichen Risiken.

 

«Er hat seine Experimente gemacht und die Papers geschrieben und war nach dem Jahr wieder weg» – Weshalb Schweizer Hochschulen mit Chinas Militäruniversitäten zusammenarbeiten und was daran problematisch ist

Eine Recherche.

Im Postfach von Moritz Busch* trudeln regelmässig E-Mails aus aller Welt ein – darunter auch solche aus China. Der ETH-Professor ist ein gefragter Forschungspartner, er ist führend auf seinem Gebiet. Nur selten beantwortet er die Anfragen. Oft streifen sie sein Forschungsfeld bestenfalls am Rande.

Die E-Mail, die ihn Ende 2015 erreicht, ist anders. Ein chinesischer Doktorand mit Nachnamen Gu* strebt einen einjährigen Forschungsaufenthalt an der ETH an. Sein Projekt ergänzt die laufende Forschung eines anderen chinesischen Doktoranden perfekt. Busch sagt zu.Produkte, die in der Region angebaut und verarbeitet werden, bieten Frische und Aroma. Durch Kooperationen mit Landwirten und Erzeugern sowie durch eigene Produktionsbetriebe im Südwesten werden zudem Arbeitsplätze gesichert und unsere regionale Wirtschaft wird gestärkt. Erfahren Sie hier mehr darüber!Gu beginnt seinen Aufenthalt an der ETH im Oktober 2016. Mit der Gruppe interagiert er kaum. «Er hat seine Experimente gemacht und die Papers geschrieben und war nach dem Jahr wieder weg», sagt Busch. Wenig später verliert sich der Kontakt, seither hat er nie wieder etwas von ihm gehört. «Das hat bei mir einen schalen Beigeschmack hinterlassen.»

 

Das Tor zum Campus von Chinas National University of Defense Technology (NUDT). Die Universität gehört zur chinesischen Volksbefreiungsarmee und ist der Zentralen Militärkommission unterstellt, Chinas höchster Verteidigungsorganisation.

Begonnen hat Gu sein Doktorat an der National University of Defense Technology (NUDT) in China. Die NUDT ist das führende Forschungsinstitut der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Sein Doktorvater, Zhou Zhimin, forscht dort zu Radartechnologie im Militär. So hat er zum Beispiel ein Fahrzeug entwickelt, das Minen aufspüren kann. Zhous Gerät wird heute von der chinesischen Armee genutzt, wie auf der Website der NUDT zu lesen ist.

Buschs Fall steht exemplarisch für Dutzende Forschungskooperationen von Schweizer Universitäten mit chinesischen Militärforschern in den letzten zwanzig Jahren. Das belegt eine Datenbank der China Science Investigation, einer Recherche von elf europäischen Medien unter der Führung der Investigativplattformen Follow the Money und Correctiv, an der die NZZ beteiligt ist.

Die China Science Investigation

Auf Initiative der niederländischen Investigativplattform Follow the Money mit Unterstützung des deutschen Recherchezentrums Correctiv haben Journalisten aus sieben europäischen Ländern die akademischen Beziehungen zwischen Europa und China untersucht. Die China Science Investigation konnte rund 350 000 Forschungszusammenarbeiten europäischer Hochschulen mit chinesischen Universitäten eruieren, die in den letzten 22 Jahren entstanden sind. Rund 3000 dieser Kooperationen sind mit Forschern an chinesischen Militäruniversitäten entstanden. Deshalb dürfte die Zahl militärischer Forschungsprojekte höher sein. Die folgenden Medien haben zur China Science Investigation beigetragen: Follow the Money und RTL Nieuws (Niederlande), Correctiv, Deutsche Welle, Deutschlandfunk und die «Süddeutsche Zeitung» (Deutschland), «El Confidencial» (Spanien), «De Tijd» (Belgien), «Politiken» (Dänemark), Irpimedia (Italien) und die «Neue Zürcher Zeitung» (Schweiz). Alle Veröffentlichungen können unter ftm.eu/ChinaScienceInvestigation nachverfolgt werden.

Gesamthaft listet diese Datenbank für die Schweiz seit der Jahrtausendwende rund 34 000 Forschungskooperationen mit Wissenschaftern chinesischer Universitäten auf. 87 Projekte wurden dabei in Zusammenarbeit mit Forschern von einschlägigen chinesischen Militärinstitutionen erarbeitet.

Als der Doktorand Gu 2016 in Zürich ankommt, hat er eine spannende Technologie im Gepäck, die er gemeinsam mit seinem chinesischen Doktorvater an Buschs Lehrstuhl weiterentwickeln will. Dabei geht es darum, wie man eine Person nicht nur draussen, sondern auch im Inneren von Gebäuden genau orten kann. Dort nämlich stösst die herkömmliche Methode der GPS-Ortung an ihre Grenzen.

Dies, weil Wände das GPS-Signal blockieren oder reflektieren. Eine genaue Standortbestimmung ist dann nicht mehr möglich. Gu forscht nun an einer Alternative.

Gu will die Ortung in Innenräumen verbessern

Quelle: Pedestrian positioning using WiFi fingerprints and a foot-mounted inertial sensor

NZZ / lea.

Gus Idee stösst bei Busch auf Anklang. Der Professor sieht die Chance für einen Wissensaustausch, wie er in der globalisierten Forschung idealerweise sein sollte: Forscher aus aller Welt kommen zusammen und experimentieren gemeinsam.

Aus der Kooperation mit Gu entstehen drei Arbeiten. Eine davon wird in der Datenbank der China Science Investigation gelistet. Rückblickend bezeichnet Busch die Zusammenarbeit mit Gu als «nicht nachhaltig genug». Ausser den drei Publikationen sei wenig für die Forschungsgruppe übriggeblieben.

Zwei Jahre nachdem Gu die Gruppe an der ETH verlassen hat, zieht sich Busch aus dem Forschungsfeld zurück. Starke Beiträge zu «Indoor-Positioning» hätten laut dem Professor eine grössere eigene Forschungsgruppe benötigt, die er nicht habe aufbauen wollen.

Ausserdem haben führende Tech-Unternehmen diese Lücke entdeckt und arbeiten an Lösungen. Ebenso wie das Militär. Denn für Soldaten ist ein genaues und zuverlässiges Ortungssystem mit nahtloser Abdeckung von Aussen- und Innenbereichen insbesondere im Häuserkampf ein wichtiges Hilfsmittel.

China schickt viele Forscher wie Gu ins Ausland

Bezahlt hat Gus Aufenthalt an der ETH die chinesische Regierung. Er erhielt ein Stipendium des China Scholarship Council (CSC). Der CSC finanziert sowohl ausländische Studenten in China als auch chinesische Studenten, die im Ausland studieren wollen. Dabei handelt es sich vor allem um Doktoranden und Postdocs.

Ein Unterprogramm des CSC schickt laut einer amerikanischen Denkfabrik jährlich mindestens 10 000 Nachwuchswissenschafter ins Ausland. CSC-Stipendiaten verpflichten sich, nach Abschluss mindestens zwei Jahre in China zu leben und zu arbeiten.

Nicht jede Chinesin, die im Ausland studiert, qualifiziert sich für ein CSC-Stipendium. Die Bewerber müssen fachlich exzellent sein und werden ideologisch geprüft. So schreibt die renommierte Pekinger Universität, dass CSC-Aspiranten die Führung der Kommunistischen Partei begrüssen, das sozialistische Mutterland lieben und politische Qualitäten besitzen sollen. Der CSC fördert vorrangig Talente, die China technologisch weiterbringen.

Auch der langjährige andere chinesische Doktorand in Buschs Forschungsgruppe erhielt ein CSC-Stipendium. Bevor er an der ETH doktorierte, machte er seinen Abschluss an einer Hochschule der chinesischen Verteidigungsindustrie.

Es ist kein Zufall, dass die Volksbefreiungsarmee und die Verteidigungsindustrie in China die besten technologischen Universitäten des Landes führen und selbst zivile Universitäten, wie die Tsinghua-Universität in Peking, in gewissen Bereichen der Armee zuarbeiten.

NZZ / lea.

Forschung und Technologie spielen eine zentrale Rolle für Xi Jinpings Ziel, die Volksbefreiungsarmee bis 2049 auf Weltklasseniveau anzuheben. Spitzentechnologien wie künstliche Intelligenz, Quantenphysik und das Internet der Dinge seien der Schlüssel für künftige Kriegsführung, so steht es im Leitfaden der Volksbefreiungsarmee von 2019.

Die Schweiz hat den Austausch mit China intensiviert

Die Schweiz und China arbeiten im Bereich der Wissenschaft schon seit Jahren zusammen. Seit 2014 fördert der Bund mit bilateralen Kooperationsprogrammen gemeinsame Forschungsprojekte. Dies beispielsweise durch die Sino-Swiss Science and Technology Cooperation, die der Schweizerische Nationalfonds (SNF) mit der Natural Science Foundation of China (NSFC) unterhält. Zudem wählt der Bund unter den Schweizer Hochschulen sogenannte Leading Houses aus, die damit beauftragt werden, mit bestimmten Ländern vermehrt Forschungsprojekte zu unterhalten. Für China ist dies die ETH Zürich.

Die Kooperation mit China ist aber auch deshalb lohnend, weil China in gewissen Bereichen wie beispielsweise der Nanotechnologie weltweit führend ist. Auch finanzielle Anreize spielen eine Rolle. Denn China erhöht seine Forschungsausgaben stetig. Anders als in der Schweiz sind die Förder- und Austauschprogramme aber fast ausschliesslich staatlich kontrolliert.

Aus diesen Quellen kommt das Geld für internationale Forschungszusammenarbeit

* Die Darstellung der Quellen ist nicht abschliessend, sondern beschränkt sich auf die wichtigsten.

Quellen: ETH ZürichChinese Talent Program Tracker

NZZ / lea.

Für die Schweiz – und den Westen – ist das ein Problem, weil Xi Jinping das Land autokratisch regiert, Menschenrechte mit Füssen tritt und keinen Hehl aus den Ambitionen Chinas in der Welt macht. Was Chinas Militärforscher in der Schweiz an Wissen erwerben, können sie direkt der Armee und dem Unterdrückungs- und Überwachungsstaat Xis zur Verfügung stellen.

Entsprechend warnt auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vor möglichen Risiken in der Forschungszusammenarbeit mit China und schreibt auf Anfrage der NZZ: «Im Hinblick auf einen illegalen Wissenstransfer betrachtet der NDB die angewandte Forschung in technischen und naturwissenschaftlichen Fachbereichen als besonders kritisch.» Es sei daher wichtig, dass sich Bildungs- und Forschungsinstitute möglicher Bedrohungen bewusst seien und einen vorsichtigen Umgang mit kritischem Know-how pflegten.

Die Universitäten sind unterschiedlich sensibilisiert

Bei der Universität Freiburg heisst es, dass auf Universitätsstufe kein Überblick über Forschungsprojekte bestehe. «Es steht den Forschenden frei, mit jenen zusammenzuarbeiten, die sie für die Projekte benötigen», schreibt ein Sprecher auf Anfrage.

Bei der Universität Lugano verweist man auf den SNF oder den Bund. Es sei schwierig, eine Liste problematischer Forschungsinstitutionen zu definieren, weil dafür die Ressourcen zur Verifikation fehlten, schreibt sie. Die Universität Zürich sagt Ähnliches: Bei den Forschungsthemen, in denen die Universität mit chinesischen Partnern zusammenarbeite, gelte keine Institution als riskant. Das CERN in Genf konnte innerhalb von zehn Tagen nicht auf die Anfrage der NZZ antworten.

Die ETH Zürich und die EPFL arbeiten am meisten mit Chinas Militärforschern zusammen

Anzahl Forschungskooperationen von Schweizer Universitäten mit chinesischen Militäruniversitäten seit 2000

National University of Defense Technology¹

China Academy of Engineering Physics²

Andere

0102030ETH ZürichETH Lausanne (EPFL)Universität ZürichUniversität GenfUniversität LuganoPaul.Scherrer.InstitutUniversität FreiburgUniversität BaselCERNHoffmann-La-Roche-Institutandere Universitäten oder InstituteSchweizer Universitäten310090043040030012010100110010013012

¹ Das Top-Forschungsinstitut der Volksbefreiungsarmee.
² Chinas einzige Forschungs- und Produktionsstätte für Nuklearsprengköpfe.

Quelle: China Science Investigation

NZZ / jum.

Diese Institutionen sind alle mehrfach in der Datenbank der China Science Investigation aufgetaucht, weil sie in der Vergangenheit mit chinesischen Militärinstituten gemeinsam forschten. Aber worin besteht überhaupt der Anreiz, das zu tun?

Der Politologe Ralph Weber von der Universität Basel sieht drei Gründe. Genuines Forschungsinteresse stehe zumeist im Zentrum. Aber auch Ansehen und Eitelkeit spielten eine Rolle – wenn man als Wissenschafter nach China zu Vorträgen eingeladen werde, eine Gastprofessur oder ein Labor erhalte.

Nicht zuletzt gebe es den finanziellen Anreiz, mit China zusammenzuarbeiten, sagt Weber – sei es zur persönlichen Bereicherung oder für zusätzliche Forschungsmittel, wenn etwa weniger Gelder in der Schweiz zur Verfügung stehen.Auch der Quantenforscher Hugo Zbinden von der Universität Genf wurde im Jahr 2019 von einer Studentin der National University of Defense Technology (NUDT) angeschrieben. Sie hat sich um ein Auslandjahr beworben. Er empfinde es als Bereicherung, talentierte Studenten mit einem anderen kulturellen Hintergrund in seine Arbeitsgruppe aufzunehmen, sagt er.

Er habe keine Bedenken gehabt. Zwar habe die Studentin Arbeitsberichte an den China Scholarship Council geschickt. Das, was er gesehen habe, sei jedoch nicht über den Inhalt der gemeinsamen Publikationen hinausgegangen. Zudem habe sie in seiner Gruppe an Themen gearbeitet, die sehr theoretisch gewesen seien. So ging es etwa darum, die Zuverlässigkeit eines mit Quantentechnologie arbeitenden Zufallszahlengenerators zu verifizieren. Solche Geräte werden beispielsweise bei der Verschlüsselung von Nachrichten verwendet.

Vorsichtiger wäre Zbinden, wenn ausländische Studenten Zugang zu einem Labor hätten. Die Gefahr, dass internes Wissen mitgenommen werde, sei in diesem Fall viel grösser.

Die Nachwuchsforscherin ist inzwischen an die NUDT in China zurückgekehrt. Der Kontakt zu ihr sei abgebrochen, sagt Zbinden. Deshalb wisse er auch nicht, an welchen Themen sie heute arbeite.

Die chinesische Forscherin von der NUDT war aber auch deshalb willkommen in Genf, weil sie über ein Stipendium des CSC finanziert wurde. «Ich habe deshalb keine Gelder für sie beantragen müssen. Ein Bestätigungsbrief hat genügt», sagt Zbinden.

Zbinden hätte sonst wohl Fördermittel aus einem der Geldtöpfe, die in der Schweiz sonst Nachwuchswissenschaftern zustehen, beantragen müssen. Ein besonders grosser Geldgeber für Forschung in der Schweiz ist der SNF, und auch aus der Privatwirtschaft fliesst viel Geld.

Die drei Wege, um ein Doktorat zu finanzieren

Quelle: Bundesamt für Statistik

NZZ / lea.

Seit der Jahrtausendwende hat der SNF mehr als 231 Millionen Franken für Schweizer Forschungsprojekte mit chinesischen Institutionen ausgegeben. Knapp 600 Projekte sind dabei finanziert worden.

Über 231 Millionen Franken hat der SNF für Projekte mit Forschern aus China gesprochen

SNF-Fördermittel für Schweizer Projekte mit Forschern chinesischer Universitäten, in Franken (in Millionen)

200020012002200320042005200620072008200920102011201220132014201520162017201820192020202120220102030

2022: gesprochene Gelder bis 1. Juni 2022

Quelle: SNF Data

NZZ / jum.

Hochschulen erhalten auch Geld von chinesischen Unternehmen. Allein die Stiftung der ETH hat seit 2016 rund 12 Millionen Franken in Form von nicht zweckgebundenen Schenkungen von chinesischen Unternehmen erhalten, darunter Huawei, Alibaba und Huami. Huawei beteiligt sich überdies mit einem Zehnjahresvertrag von 2020 bis 2030 mit jährlich einer Million Franken am Aufbau und Betrieb des ETH Future Computing Laboratory, wie die ETH auf Anfrage der NZZ schreibt.

Doch auch die ETH ist in den letzten Jahren bei der Kontrolle von Forschungsprojekten rigoroser geworden. Vor fünfzehn Jahren habe man noch etwa fünfzehn Abkommen mit chinesischen Universitäten gehabt, heute seien es noch deren drei, sagt Anders Hagström, Leiter der internationalen Zusammenarbeit der ETH. Dies, obschon die Zahl chinesischer Studierender in diesem Zeitraum von 150 auf rund 1200 angestiegen ist.

Zudem hat die Hochschule mehrere Prüfstellen. Seit fünf Jahren existiert eigens eine interne Fachstelle, die beurteilt, ob Projekte gegen gesetzliche Auflagen oder Sanktionen verstossen – oder militärische Anwendungen möglich wären. Über den Tisch von Silvia Nast, die dafür zuständig ist, sind im letzten Jahr rund 170 Projektprüfungen gegangen. Grundlagenforschung ist jedoch davon ausgenommen: «Auch Einsteins Relativitätstheorie wäre sonst unter Dual-Use gefallen», so Hagström.

Obschon Nast, gestützt auf die Wissenschaftsfreiheit der Forschenden, lediglich Empfehlungen aussprechen kann, betont sie, dass diesen nachgekommen werde. Für die ETH ein Zeichen dafür, dass die Sensibilität im Umgang mit China zugenommen hat.

Auch an anderen Hochschulen ist etwas gegangen: So überprüft die Universität Lausanne seit zwei Jahren die Kooperationsverträge mit dem Defence Universities Tracker, wie eine Universitätssprecherin sagt. Der Tracker eruiert, welche Hochschulen in China eine Verbindung zum Militär haben. An der Universität Basel habe das Vizerektorat die Übersicht über alle laufenden Forschungen, zudem müsse das Rektorat Projekte mit potenziell militärischen Anwendungen bewilligen, schreibt die Hochschule.

Auch die Dachorganisation Swissuniversities hat inzwischen reagiert und vor wenigen Tagen einen Leitfaden für die internationale Forschungszusammenarbeit veröffentlicht. Die Zusammenarbeit mit China wird darin nicht spezifisch angesprochen.

Buschs langjähriger Doktorand arbeitet mittlerweile für Huawei. Was Gu macht, ist unklar. Nach seiner letzten Forschungsarbeit mit Busch verliert sich seine Spur. Weder die National University of Defense Technology noch das chinesische Aussenministerium wollten den Fall kommentieren.

Heute sieht Busch den Hintergrund von Gu kritischer. Im Nachhinein, räumt er ein, würden ihn die Militärverbindungen von Gu und seinem Doktorvater stutzig machen. Damals seien die formalisierten Prozesse an der ETH zu Dual-Use-Forschung aber noch weniger etabliert gewesen, oder er habe sie zu wenig gekannt.

Er habe sich zwar überlegt, ob die methodische Verfeinerung von Positionierung in Innenräumen auch einen militärischen Nutzen haben könnte. Aber schliesslich sei die von ihm weiterentwickelte Technologie ja in jedem Smartphone drin und werde vor allem für zivile Zwecke gebraucht. Ausserdem sei auch von anderen internationalen Forschungsgruppen daran geforscht worden. «Wenn wir das nicht machen, dann macht es irgendwann jemand anderer», habe er sich damals gesagt. «So passiert Innovation oft. Es sind kleine Schritte.»

* Name der Redaktion bekannt.

Methode und Quellen der Datenbank

Um die Zusammenarbeit europäischer Wissenschafter mit chinesischen Universitäten zu eruieren, stützt sich Follow the Money auf die Open-Science-Datenbank Lens. Sie listet wissenschaftliche Publikationen von europäischen und chinesischen Wissenschaftern auf, die zwischen dem 1. Januar 2000 und dem 1. Februar 2022 veröffentlicht wurden. Sie umfasst 350 000 solche Publikationen.

Um danach zu filtern, welche Publikationen mit Militäruniversitäten oder Universitäten, die der Volksbefreiungsarmee nahestehen, entstanden sind, wird der China Defence Universities Tracker der australischen Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute verwendet. Zur Kontrolle wird zudem die Enzyklopädie des China Aerospace Studies Institute (Casi) zu chinesischen Militärinstitutionen hinzugezogen. Der China Defence Universities Tracker informiert darüber, wie stark eine chinesische Hochschule mit dem Sicherheitsapparat und dem Militär kooperiert. Die Casi-Enzyklopädie wurde 2020 an der amerikanischen Air University in Maxwell entwickelt. Sie zeigt die Rolle chinesischer Militärinstitutionen im Staatsgefüge auf.

In einem nächsten Schritt wurden medizinische Institutionen aus der Datenbank ausgeschlossen, da sie für den Zweck der Recherche eine zu grosse Bandbreite an Themen, Experimenten und Forschung aufweisen. Übrig blieben so 382 Institutionen, die händisch erneut auf ihre Militärverbindungen geprüft wurden. 241 davon hielten dieser Zweitprüfung stand.

Schliesslich wurde die Liste von Publikationen mit den 241 militärnahen chinesischen Forschungsinstituten abgeglichen, und es wurden 2997 Publikationen herausgefiltert, bei denen europäische Forscher mit einer oder mehreren chinesischen Militäruniversitäten kooperiert hatten.