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Die untere Mittelschicht fällt zurück

Dietrich Creutzburg, Berlin FAZ – 19.4.2022 –   Die Gehälter von Hochqualifizierten steigen , Hilfskräfte profitieren vom Mindestlohn. Arbeitnehmer im unteren Mittelfeld schneiden am schlechtesten ab, zeigt eine KfW-Studie.

Die Gehälter von Führungs- und Fachkräften sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als der allgemeine Durchschnittsverdienst. Seit einiger Zeit steigen aber auch die Verdienste von Hilfskräften mit erhöhtem Tempo an.

Grund dafür ist der gesetzliche Mindestlohn, der die Löhne für einfache Tätigkeiten unabhängig von Angebot und Nachfrage nach oben treibt. Das zeigt eine neue Analyse der staatlichen Förderbank KfW auf Basis der amtlichen Einkommensstatistik. Sie liegt der F.A.Z. vorab vor.

Insgesamt gilt demnach: „Höherqualifizierung und der Aufstieg in Führungspositionen sind weiterhin am besten geeignet, hohe Einkommen zu erzielen.“ Mit Blick auf den wachsenden Einfluss gesetzlicher Regelungen auf die Verdienststruktur gibt sie aber auch einen Warnhinweis: „Sollen die Anreize erhalten bleiben, sich zu qualifizieren und die Kosten eines Studiums oder einer betrieblichen Weiterbildung auf sich zu nehmen, dann müssen hinreichend große Gehaltsunterschiede bestehen bleiben.“

Betrachtet man die Lohnzuwächse im vergangenen Jahrzehnt, dann schneiden diejenigen Arbeitnehmer am schlechtesten ab, die sich nach Qualifikation und Lohnhöhe im unteren Mittelfeld bewegen. Sie arbeiten oberhalb des Mindestlohns, aber noch nicht in Bereichen, in denen das Zusammenspiel von fachlicher Spezialisierung und Arbeitskräfteknappheit als automatischer Lohntreiber wirkt.

Deutlich wird das mit einem Vergleich, der die Beschäftigten in fünf Leistungsgruppen einteilt und für diese die Entwicklung der Bruttoverdienste zeigt: In der obersten Leistungsgruppe – das sind Führungskräfte und Spezialisten – gab es demnach im Zeitraum von 2010 bis 2020 einen Anstieg um 26,9 Prozent. Im Durchschnitt aller Beschäftigten waren es 23,4 Prozent und in der untersten Gruppe, jener der ungelernten Hilfskräfte, 18,4 Prozent. Allerdings: Das Plus in der zweituntersten Gruppe fiel mit 16,5 Prozent noch geringer aus. Das sind Beschäftigte ohne zertifizierten Berufsabschluss, die aber einige Erfahrung in ihrer Tätigkeit haben.

Mindestlohn in unterster Lohngruppe zentral

„Der Mindestlohn spielt für die Einkommensentwicklung in der untersten Lohngruppe eine zentrale Rolle“, bestätigt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Sie zeigt dies anhand der Mindestlohn-Einführung im Jahr 2015: Vier Millionen Erwerbstätige, die zuvor weniger als 8,50 Euro je Stunde verdienten, hätten allein dadurch Lohnsteigerungen von durchschnittlich 14 Prozent erfahren. Die Löhne im gesamtwirtschaftlichen Mittel stiegen im selben Jahr nur um 2,7 Prozent.

Anschließend folgte zwar kein weiterer Schub dieser Art durch den Mindestlohn. In Kürze soll es allerdings durch Beschlüsse der Ampelkoalition einen umso kräftigeren geben: Mit der geplanten Erhöhung auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 wird der Mindestlohn 25 Prozent höher sein als ein Jahr zuvor. Umgerechnet auf volle Kalenderjahre, ergibt sich Köhler-Geib zufolge ein Plus von 10 Prozent in diesem Jahr und weiteren 14 Prozent 2023. Für die Gesamtwirtschaft erwartet der Sachverständigenrat Lohnzuwächse von 2,5 und 4,4 Prozent.

Die absoluten Verdiensthöhen staffelten sich im vergangenen Jahr so: In der Gruppe der Führungs- und Spitzenkräfte lag das mittlere Vollzeitgehalt bei monatlich 8562 Euro brutto. Im Mittel über alle Gruppen hinweg waren es 4514 Euro, und ungelernte Hilfskräfte kamen auf 2459 Euro. In der zweituntersten Gruppe, jener der Angelernten, waren es 2908.

Neben Qualifikation und Berufserfahrung kommt es aber auch auf die Branche an. Zwar lässt sich bei der Berufswahl nicht alles vorhersehen, aber wer fachlich dort zu Hause ist, wo es insgesamt gut läuft, hat es besser. Im vergangenen Jahrzehnt ragten laut KfW drei Bereiche mit Verdienststeigerungen von mehr als 40 Prozent im Durchschnitt aller Qualifikationsstufen heraus: Forschung und Entwicklung, Informationsdienstleistungen sowie Verarbeitung von Steinen und Erden. Zuwächse von mehr als 35 Prozent gab es in Pflegeheimen, bei Wach- und Sicherheitsdiensten, im Tiefbau und in der Zeitarbeit.

Studienautor Martin Müller wertet die Befunde als Bestätigung dafür, dass eine gute Bildungs- und Qualifizierungspolitik der wichtigste Hebel sei, um Fachkräftemangel zu lindern und Einkommen zu erhöhen. „Dafür ist das Nötige zu tun, auch um Defizite im Bereich digitaler Bildung zu beseitigen.“ Das Steuer- und Abgabensystem hat seiner Analyse zufolge indes zumindest kein offenkundiges Strukturproblem: Netto liegen die Verdienste der fünf Leistungsgruppen liegen zwar deutlich näher beisammen als brutto, aber es bleiben spürbare Unterschiede. Müllers Modellrechnung zufolge gibt die unterste Leistungsgruppe im Mittel gut 30 Prozent vom Brutto an öffentliche Kassen ab, die oberste etwas mehr als 40 Prozent.