THEO VAN GOGH „LÖSUNG“ IST BESSER ALS „ENDLÖSUNG“ / Israel und Gaza : Comic-Kommentar zweier Legenden – ART SPIEGELMAN & JOE SACCO
GIPFELTREFFFEN DER COMIC-PRODUZENTEN ZU ISRAEL/GHAZA – „Er hat Verständnis dafür, dass nach den Erfahrungen der Schoa ein sicherer Rückzugsort für Juden geschaffen wurde, „aber der Staat Israel dürfte ein fehlgeschlagenes Experiment sein“, liest man in einer Sprechblase von „Never Again and Again“.
Von Andreas Platthaus FAZ 12.02.2025 – Sie sind zwei der prominentesten Comicautoren und jeweils dezidiert politische Köpfe. Nun haben sich Art Spiegelman und Joe Sacco zusammengefunden und ihrer Frustration über die Ereignisse in Gaza Luft gemacht.
Es ist ein Gipfeltreffen. Es trägt den Titel „Never Again and Again“ (Nie wieder und wieder). Erschienen ist es vergangene Woche in der Zeitschrift „New York Review of Books“, und es umfasst nur drei Comicseiten. Aber diese kurze Geschichte darf größtes Interesse für sich beanspruchen.
Zwei Große ihrer jeweiligen Generation treffen da aufeinander, geben einander Auskunft und zeichnen das Ergebnis schließlich miteinander: Art Spiegelman, Jahrgang 1948, und Joe Sacco, Jahrgang 1960. Der eine ist seit „Maus“ der unbestrittene Meister des autobiographischen Comics (und der wichtigste lebende Comicautor überhaupt), der andere seit „Palestine“ der Virtuose der Comicreportage (nicht deren Erfinder, wie es oft heißt; da war zum Beispiel Spiegelman mit „A Jew in Rostock“ schon früher dran).
Die Abschlussseite von „Never Again and Again“Art Spiegelman & Joe Sacco
„The War on Gaza“ – der reale Krieg und Saccos Comic-Kommentar dazu – wurde ausgelöst durch den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, aber schon die Tatsache, dass es bis Februar 2024 brauchte, ehe die erste Episode des Comic-Kommentars erschien, zeigt, dass Sacco erst dann Stellung bezog, als sich der Schrecken vor allem im Gazastreifen abspielte. Zweifel an der Schuld der Hamas für den Ausbruch des Kriegs gibt „The War on Gaza“ zwar keinen Raum, aber alle im Laufe der folgenden sechs Monate erschienenen vierzehn Episoden beschäftigten sich mit den Schrecken der israelischen Kriegsführung.
Vor Kurzem erst habe ich dieses Phänomen in diesem Blog anlässlich der französischen und nun auch amerikanischen Buchausgabe von „The War on Gaza“ beschrieben, zusammen mit Saccos politischer Haltung und der resultierenden Ambivalenzen. Damals aber noch in Unkenntnis darüber, dass es bald eine fünfzehnte Episode geben würde: „Never Again and Again“. Sie ist zwar nicht explizit als Fortsetzung ausgewiesen und erscheint auch nicht wie die anderen auf der Homepage des Comicverlags Fantagraphics, sondern eben bei der „New York Review of Books“, knüpft aber in Thema, Umfang und Ästhetik klar an die Vorläufer an. Auf den drei Seiten unterhalten sich Spiegelman und Sacco (Ersterer natürlich in Mausgestalt, Letzterer mit der markant leeren Brille) über ihre Wahrnehmung des aktuellen Kriegs – und über ihre wechselseitige Rat- und Hoffnungslosigkeit.
Die grafische Drastik
So weit, so nachvollziehbar. Als Momentaufnahme des Waffenstillstands, die aber nicht die aktuellsten Entwicklungen – fünfte Geiselfreilassung, Trumps „Riviera“-Phantasma, das Ultimatum Netanjahus – berücksichtigen konnte, weil Comics nun einmal mehr Zeit brauchen als die Niederschrift eines Artikels, halten sich die inhaltlichen Überraschungen in Grenzen. Wobei die Auskunft zweier der bedeutendsten politischen Comicautoren über ihre gegenwärtige Befindlichkeit allein schon genug Neugier beanspruchen darf.
Das Interessanteste aber ist natürlich die grafische Darstellung dieser Befindlichkeit, und schon das erste Panel mit einem grüngesichtigen Netanjahu in nosferatuähnlicher Pose knüpft deutlich an Saccos drastische Charakterisierungen der israelischen Kriegsführer und ihrer internationalen Unterstützer an. Den früheren US-Präsidenten Joe Biden hatte Sacco mit einem „G“ (für Gaza) auf der Stirn gebrandmarkt – als Äquivalent zum Schandmal aus Nathaniel Hawthornes Roman „Der scharlachrote Buchstabe“. Nun wird die gängige Ikonographie der Hochkultur mit dem vampiristischen Aussehen Netanjahus bedient – leider allerdings auch das gängige antisemitische Klischee.
Wobei Spiegelman und Sacco viel zu klug sind, das nicht bemerkt zu haben, und gerade Spiegelman, dem schon früher „jüdischer Selbsthass“ vorgehalten worden ist – auch das wiederum ein antisemitisches Klischee –, geht harsch mit Erwartungen ins Gericht, man müsste als Jude bedingungslos an der Seite Israels stehen und Kriegsverbrechen von dieser Seite verschweigen. Er hat Verständnis dafür, dass nach den Erfahrungen der Schoa ein sicherer Rückzugsort für Juden geschaffen wurde, „aber der Staat Israel dürfte ein fehlgeschlagenes Experiment sein“, liest man in einer Sprechblase von „Never Again and Again“.
Gespenster im angeblich menschenleeren Appartement
Die reaktionäre israelische Politik vor allem in Form der Siedlerbewegung war Spiegelman schon seit Langem ein Dorn im Auge. In einer komplett von ihm gezeichneten Sequenz des gemeinsamen Comics (dessen Großteil ansonsten Sacco bestritten hat) wird das Problem in die Allegorie eines Wohnungsmaklers gekleidet, der einer wohnungssuchenden Familie ein „leer stehendes Appartement“ anbietet, in dem sich aber nach dem Einzug alles als von geisterhaften Gestalten bevölkert erweist. „Und keine der beiden Seiten kann irgendwo sonst unterkommen“, ergänzt dazu der Joe Sacco des Comics.
Es gibt Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Autoren, die hier gezeichnet dokumentiert sind. So lässt die Spiegelman-Figur keinen Zweifel an ihrer Überzeugung, dass die Hamas genauso rücksichtslos agieren würde, wenn sie über vergleichbare Mittel wie Israel verfügte. Neben der Sacco-Figur findet sich dagegen im selben Panel ein Textkasten mit der kommentierenden Bemerkung „Joe wirkt ungläubig“. Am Schluss gehen beide Zeichner durch eine von den apokalyptischen Reitern verwüstete Stadtlandschaft, halten Fahnen hoch, auf denen zu lesen ist: „Nie wieder! Für alle!“ und unterhalten sich darüber, dass es wohl klügere Köpfe als der ihren bedürfe, um eine gerechte Lösung zu finden. Was die Spiegelman-Figur in der für ihren Autor typisch sarkastischen Art so beschließt: „Eine gerechte Lösung wäre jedenfalls viel besser als eine Endlösung.“
Mehr als Trauer und Sarkasmus aber haben selbst diese beiden Könner nicht zu bieten (ihr Comic dokumentiere deren „anguish and Angst“, hieß es gleich zu Beginn). Das spricht Bände über die Lage in Israel und Gaza. Und über die Verzweiflung des Blicks von außen.
Andreas PlatthausVerantwortlicher Redakteur für das Ressort „Literatur” und „Literarisches