THEO VAN GOGH LETZTES: DAS VERITABLE ENDE DER AMPEL / TRITT HABECK ZURÜCK?
Klage der Unionsfraktion : Karlsruhe stuft Klima-Sondervermögen als verfassungswidrig ein
- Aktualisiert am 15.11.2023-10:50 FAZ
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verkündet am Mittwoch seine Entscheidung. Die Ampel hat 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Krediten zur Bewältigung der Corona-Krise in einen Klima-Fonds verschoben. Das verstößt gegen die Verfassung, hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden – und damit ein Grundsatzurteil zur Bedeutung der Schuldenbremse gefällt.
Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen darf. Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 sei verfassungswidrig, verkündete das höchste Gericht Deutschlands am Mittwoch in Karlsruhe. Es gehe um die Wirksamkeit der Schuldenbremse, sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, bei der Verkündung. Die Unionsfraktion im Bundestag hat damit erfolgreich gegen das Umschichten geklagt (Az. 2 BvF 1/22).
Wegen der Notfallsituation während der Corona-Pandemie hatte der Bund den Haushalt 2021 nachträglich in Form einer Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt. In solch außergewöhnlichen Situationen ist es trotz Schuldenbremse möglich, Kredite aufzunehmen.
Am Ende wurde das Geld aber nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wollte das Geld daher für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit Zustimmung des Bundestages 2022 rückwirkend um. 197 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag klagten dagegen in Karlsruhe, weil aus ihrer Sicht auf diese Weise die Schuldenbremse umgangen wird.
Mit der Gerichtsentscheidung „verringern sich rückwirkend die dem Klima- und Transformationsfonds zur Verfügung stehenden Finanzmittel um 60 Milliarden Euro“, erklärte das Gericht. „Soweit bereits eingegangene Verpflichtungen aufgrund des um 60 Milliarden Euro verringerten Umfangs des Fonds absehbar nicht mehr bedient werden können, muss dies durch den Haushaltsgesetzgeber anderweitig kompensiert werden.“
Aus dem aktuellen KTF-Wirtschaftsplan geht hervor, dass die Rücklagen zum Jahresende 2023 bei voraussichtlich 64,8 Milliarden Euro liegen dürften. Ab 2024 soll aber mehr ausgegeben als eingenommen werden, wodurch die Rücklage Ende 2024 zunächst auf 41,5 Milliarden Euro sinken würde. Ende 2026 dürfte sie nach derzeitiger Planung aufgebraucht sein.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte im Vorfeld des Urteils gesagt, einen Plan B zu haben. Details hatte er aber nicht genannt. Für die Ampel-Koalition kommt die Entscheidung zur Unzeit. Denn ab Donnerstag sollen im Bundestag die letzten Änderungen am hart umkämpften Haushaltsentwurf für 2024 festgelegt werden.
Union: Schuldenbremse braucht wirkliche Bremswirkung
Der Zweite Senat musste sich mit einer neuen Thematik befassen. Dabei ging es unter anderem darum, ob eine Kreditermächtigung auch wirtschaftliche Krisenfolgen abdecken darf und wann nachträgliche Haushaltsänderungen beschlossen werden müssen.
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg hatte bei der mündlichen Verhandlung im Juni gesagt, die Schuldenbremse brauche eine wirkliche Bremswirkung, damit nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert würden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende, ergänzte der Bevollmächtigte der Union, Karsten Schneider.
Dagegen argumentierten Vertreter der Regierung, infolge der Pandemie habe die Volkswirtschaft geschwächelt, auch private Investitionen hätten angestoßen werden müssen. Mit der Umschichtung des Geldes habe ein Stück weit Verlässlichkeit für Investitionen geschaffen werden sollen. Parallel zur Verhandlung erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), eine Entscheidung gegen den Nachtragshaushalt würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen.
Grünes Licht im November 2022 per Eilentscheidung
In einer Eilentscheidung im November 2022 hatte das Gericht grünes Licht gegeben – auch mit Blick auf Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn würde das Ganze gestoppt, stellte es sich später aber als verfassungsgemäß heraus, wäre der Schaden etwa in Form von Strompreiserhöhungen womöglich groß, hieß es zur Begründung.
Im anderen Fall – wenn also erst einmal alles wie geplant weiterläuft – würde der Bundeshaushalt mit maximal 60 Milliarden Euro belastet. Es sei davon auszugehen, dass diese Summe nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgeschöpft werde, hatte das Gericht dazu mitgeteilt.
Fratzscher fordert Reform der Schuldenbremse
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), lobte die Entscheidung am Mittwoch. Diese solle eine „dringend benötigte“ Reform der Schuldenbremse anstoßen. „Die Versuche der Bundesregierungen in den vergangenen zwölf Jahren, die Schuldenbremse zu umgehen, haben immer absurdere Züge angenommen. Die Schuldenbremse ist nicht mehr zeitgemäß, weil sie der Politik notwendigen Spielraum nimmt, um Krisen zu bekämpfen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen.“
Es sei „dringender denn je, dass die Bundesregierung eine Investitionsoffensive für Zukunftsinvestitionen startet – in Bildung, Klimaschutz, Innovation und Infrastruktur.“ Im KTF seien noch genügend Gelder, sodass das Urteil nicht unmittelbar zu Problemen führen werde. „Die Bundesregierung wird jedoch als Konsequenz des Urteils die Schuldenbremse mindestens für ein weiteres Jahr aussetzen müssen, um die für bereits versprochene Maßnahmen notwendigen Kredite aufnehmen zu können.“
Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft sagte, nun müssten Ausgaben der Sondervermögen in großen Umfang im Kernhaushalt dargestellt werden. Dies bedeute einen „enormen Druck“ angesichts der Ausgabenpläne für 2024. Unklar bleibe, was dies für die Rücklagen, die aus Mitteln des Jahres 2020 gebildet wurden und für andere Sondervermögen (mit Ausnahme des Sondervermögen Bundeswehr) bedeute. „Auswege könnten darin bestehen, für das Jahr 2024 wieder eine Notlagensituation zu erklären, was aber ebenfalls verfassungsrechtlich schwierig werden könnte, oder die KTF-Milliarden mit Zweidrittel-Mehrheit im Grundgesetz festzuschreiben“, sagte Boysen-Hogrefe.