THEO VAN GOGH : KEIN EUROPA ALS BUNDESSTAAT DER USA!

Friedenspolitik, Nord Stream 2 und neue Weltordnung: Orbán rechnet mit Deutschland ab

In einer Rede in der rumänischen Peripherie warnt der ungarische Ministerpräsident vor dem Untergang der EU. Asien hingegen werde zum „dominierenden Zentrum“ der Welt. – Nicolas Butylin BERLINER ZEITUNG – 30.07.2024

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sieht seine Friedensmission auf dem richtigen Weg, fordert Aufklärung bei den Nord-Stream-Anschlägen und prophezeit eine asiatisch dominierte Weltordnung.

Ukrainekrieg, die Präsidentschaftswahlen in den USA, offene Fragen zu Nord Stream und eine bevorstehende neue Weltordnung: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat in einer Rede in der rumänischen Kleinstadt Baile Tusnad zum Rundumschlag gegen den Westen ausgeholt. Europa folge „bedingungslos der prodemokratischen Außenpolitik der USA“ und habe aufgegeben, seine eigenen Interessen zu verfolgen. Orbán ging noch weiter: Der Staatenverbund auf dem europäischen Kontinent blicke der „Selbstzerstörung“ entgegen.

„Wir stehen vor einer Veränderung, wie es sie seit 500 Jahren nicht gegeben hat. Was wir vor uns haben, ist in der Tat eine Veränderung der Weltordnung“, so der ungarische Ministerpräsident während seiner Rede am Rande einer sogenannten freien Sommeruniversität in Zentralrumänien. Dort organisiert seine Fidesz-Partei jedes Jahr mehrere Veranstaltungen, um den „rumänisch-ungarischen Dialog“ zu fördern, so der offizielle Tenor aus Budapest. Baile Tusnad ist mehrheitlich von Ungarn bewohnt. Orbán äußert sich vor seinen Anhängern gerne – ähnlich wie in einer Rede zur Lage der Nation – zur gesamten Weltlage.

In geopolitisch, ökonomisch und kulturellen Aspekten sieht der 61-Jährige eine Verschiebung gen Osten. „Was uns bevorsteht, ist eine Änderung der Weltordnung. China, Indien, Pakistan und Indonesien werden zum dominierenden Zentrum der Welt“, sagt Orbán.

Orbán: Ukraine wird kein EU- oder Nato-Mitglied werden

Ein zentraler Punkt, in dem sich der Westen festgefahren hätte, sei der Umgang mit der Ukraine. Orbán äußerte Zweifel, dass das kriegsgebeutelte osteuropäische Land in Zukunft überhaupt Mitglied in der EU oder Nato werden könne. „Wir Europäer haben nicht das Geld dafür“, so der Ungar, der die Ukraine als „Pufferstaat“ bezeichnete, dessen internationale Sicherheitsgarantien in einem Abkommen zwischen den USA und Russland verankert würden.

„Wenn die Ukraine Glück hat, wird es ein Abkommen zwischen den USA und Russland geben, in dem internationale Sicherheitsgarantien enthalten sein werden, bei denen wir Europäer ebenfalls involviert sein werden.“ Die ungarische Regierung ist nicht erst seit Beginn des Ukrainekrieges kritisch gegenüber Kiew eingestellt: Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt Budapest beispielsweise ab, Sanktionen gegen Russland werden wiederum häufig verzögert, abgeschwächt oder vollständig blockiert.

Seine kürzliche spektakuläre diplomatische Weltreise von Kiew über Moskau nach Peking bis Washington verteidigt der Ungar erwartungsgemäß und sagt, sie hätte für ein Umdenken in den europäischen Hauptstädten gesorgt. „Wir sollten uns vor Augen führen, dass seit Beginn meiner Friedensmission der amerikanische und russische Verteidigungsminister miteinander gesprochen haben, der schweizerische und russische Außenminister Verhandlungen geführt haben, Präsident Selenskyj Trump angerufen hat und der ukrainische Außenminister nach Peking geflogen ist“, so Orbán. Er hoffe, der mit der Ukraine alliierte Westen bewege sich von einer „Pro-Krieg-Strategie“ hin zu einer „unumgänglichen Pro-Frieden-Strategie“.

Anfang Juli begann Orbáns diplomatische Weltreise in Kiew bei Präsident Wolodymyr Selenskyj. Im Anschluss reiste der ungarische Regierungschef nach Moskau, Peking und Washington.Zuma Press Wire/imago

Warum gibt es keine Nord-Stream-Aufklärung?

Außerdem sprach der ungarische Regierungschef, der seit 2010 Ministerpräsident von Ungarn ist, über den weiterhin unaufgeklärten Nord-Stream-2-Vorfall. Drei von vier Pipelines wurden Ende September 2022 bei einem Anschlag in der Ostsee durch Sprengungen zerstört. Orbán wiederholte dabei sein Narrativ, die USA seien für die Sabotage verantwortlich. Er nannte die Nord-Stream-Explosionen „einen Terrorakt, der offensichtlich auf Anweisung der Amerikaner verübt wurde“, legte jedoch keine Beweise für seine Behauptung vor. „Dass wir zur Bombardierung der Nord-Stream-Gaspipeline schweigen, dass Deutschland selbst zu einem offensichtlichen Terrorakt schweigt und dass wir diese Angelegenheit nicht aufzuklären, ist nichts anderes als ein Akt der Unterwürfigkeit“, kritisiert Orbán.

In Washington hingegen schüttelt man im Zusammenhang mit Orbáns Äußerungen den Kopf. Der amerikanische Botschafter in Ungarn, David Pressman, schrieb beispielsweise in einem Post auf X, eine solche Rhetorik riskiere, „Ungarns Beziehung zu Amerika zu verändern“. Er warf Orbán vor, „Kreml-Verschwörungstheorien über die Vereinigten Staaten“ zu verbreiten.