THEO VAN GOGH: HOME SWEET HOME – GLOBALISMUS NUR NOCH SELEKTIV FÜR REICHE LÄNDER (UKRAINE IST NUR DIE INITIALZÜNDUNG)

Polarisierung : Das Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen

Lange wurde darüber geredet, jetzt geht es los: Unternehmen schränken ihr internationales Geschäft ein. Der Rückzug aus China beginnt schon. Patrick Bernau FAZ  27.5.2022

Über das Ende der Globalisierung wird schon lange gesprochen. Im Jahr 2016 ging es los, als Großbritannien für den Brexit stimmte und in den Vereinigten Staaten Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Trump führte Dutzende von neuen Zöllen ein und begann praktisch einen Wirtschaftskrieg. Am heftigsten traf es China: Das Videonetzwerk Tiktok etwa stand vor der Abspaltung von seinem chinesischen Mutterkonzern Bytedance. Bis heute ist es innerhalb des Konzerns abgetrennt und wird als eigenständiges Unternehmen geführt.

Wer in all diesen Turbulenzen westliche Unternehmen danach fragte, wie sie mit dieser beginnenden Polarisierung umgehen, der bekam immer die gleiche Antwort: So eine Blockbildung wäre eine schreckliche Vorstellung, der Wohlstand der Welt wäre gefährdet. Viele Unternehmen dachten eine Weile nach und taten dann – exakt gar nichts. Sie wollten die Entflechtung nicht selbst vorantreiben und hofften, sie könnten die Welt noch irgendwie zusammenhalten.

„Friendshoring“ heißt das neue Zauberwort

Das hat sich fundamental geändert. In diesen Wochen erzählen Manager ganz andere Geschichten. „Friendshoring“ heißt das Zauberwort, unter dem sie jetzt arbeiten: Der Handel wird eingeschränkt auf die befreundeten Länder. Vom globalen Warenaustausch dagegen verabschieden sich viele Unternehmen. Zumindest allmählich.

Da ist der amerikanische Digitalkonzern, dessen Manager in den kommenden Jahren viel Geld in Europa ausgeben wollen, aber in Asien praktisch nichts mehr investieren. Da sind deutsche Traditionskonzerne, die ihre Lieferketten aufteilen: Die Produkte, die für Amerika bestimmt sind, sollen nicht eine Schraube mehr aus Asien enthalten. Dann kann man wenigstens einen Teil des Geschäftes schnell abspalten, wenn die Lage noch weiter eskaliert. Da ist das europäische High-Tech-Startup, das nach China verkauft wurde, weil Gründer und Investoren das Gefühl hatten, sie müssten sich für eine Seite entscheiden. Und in China waren einfach mehr Kunden.

Öffentlich redet darüber niemand gerne, niemand will den Trend zur Spaltung noch verstärken, indem er sich als Teil der Bewegung präsentiert. Doch die Gelegenheit zur Entflechtung der Handelsbeziehungen war günstig, als Corona sowieso viele Lieferketten durchtrennte und sie neu geschmiedet werden mussten. Eigentlich hätten sie dann vielfältiger werden müssen, man hätte zusätzliche Lieferanten gewinnen müssen anstatt alte abzuhängen. Eher müsste sich die Globalisierung also verstärken. Doch stattdessen stellen sich vorsichtige Manager jetzt darauf ein, dass sich das politische Klima ändert, vielleicht sogar für die kommenden Jahrzehnte.

„Freiheit ist wichtiger als Freihandel“

Denn der politische Druck ist deutlich gewachsen. Das geschah ein paar Jahre lang unterschwellig und allmählich, doch in den vergangenen Wochen konnte man kaum so schnell zuhören, wie Globalisierung aus der Mode kam. Aktuellstes Beispiel sind die Russland-Embargos, doch der Druck geht weit darüber hinaus. Wandel durch Handel? Dieses Motto haben viele Politiker weit hinter sich gelassen. „Als falsch erwiesen“ habe es sich, dass durch Handel allein schon Wandel entsteht, sagte Außenministerin Annalena Baerbock in der vergangenen Woche. Am deutlichsten sprach es Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg aus: „Freiheit ist wichtiger als Freihandel“, sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, „der Schutz unserer Werte ist wichtiger als der Gewinn.“ Nun spricht hier der Chef eines Militärbündnisses, doch einige Wirtschaftspolitiker klingen ähnlich. „Die Unternehmen müssen verstehen: Globalisierung ist out, Friendshoring ist in“, heißt es zum Beispiel aus den EU-Institutionen.

Der Druck geht durch alle Ebenen, weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Selbst amerikanische Kommunalpolitiker halten gelegentlich Projekte auf, wenn sie noch nicht glauben, dass die Lieferketten sauber genug sind. Selbst wenn am Ende alles genehmigt wird – der politische Druck sorgt für Verzögerungen und Aufwand, den kein Unternehmen mag. Da hält man die Lieferketten doch lieber porentief rein, dann läuft alles einfacher.

Freunde des Westens?

Wer also sind die neuen Freunde des Westens, die künftig für Import und Export in Frage kommen? Russland ist es sicher nicht, so viel steht fest. Mehr Folgen hat der nächste Satz: China wird wohl auch nicht zu den Freunden des Westens gehören. Das liegt nicht nur daran, dass der Westen den Handel jetzt eher an Menschenrechtsfragen scheitern lässt als früher – es liegt auch daran, dass China nicht mehr das gleiche Land ist wie früher. Unter Präsident Xi Jinping hat sich das Land von vielen freiheitlichen Gedanken verabschiedet, Unternehmer haben es schwerer als früher.

Dazu kommt, dass die USA schon seit einigen Jahren die Abschottung von China vorantreiben. Immerhin hat das Land im Handel mit China tatsächlich Arbeitsplätze verloren, zudem sehen die Amerikaner ihre Rolle als führende Weltmacht bedroht. Die strategische Überlegung begann schon lange vor der Amtszeit von Donald Trump. „Auch zwischen Trump und Biden gibt es da keinen Unterschied, außer dass Biden höflicher ist“, sagt Richard Baldwin, ein angesehener Handelsökonom, der einst den älteren Präsidenten George Bush beriet und jetzt in Genf lehrt.

Für Europa wäre eine Trennung von China teurer. Bei Volkswagen zum Beispiel kommt jeder siebte Euro an Gewinn aus China. Kein Wunder, dass Volkswagen zu den Unternehmen gehört, die sich eher gegen die Entflechtung stemmen. Der Konzern achtet zwar darauf, dass Autos für eine Region ungefähr in der gleichen Region gebaut werden. Gegen eine Trennung der Lieferketten wendet sich Vorstandschef Herbert Diess aber ausdrücklich. „Abhängigkeiten führen auch dazu, dass man miteinander spricht“, sagt er. „Man kann sich ein unabhängiges China und unabhängige USA vorstellen, aber für Europa wäre das sehr schlecht.“

Deutschland hängt sehr am internationalen Handel

Trotzdem kommt auch Volkswagen nicht ohne Bewegungen zum Friendshoring aus: Vergangene Woche verkündeten gleich fünf Topmanager in einer Pressekonferenz eine Investitionsoffensive – in den Vereinigten Staaten. „Strategische Resilienz“ nennt der Konzern diese Initiative. Es komme nicht nur darauf an, dass die Lieferketten widerstandsfähig seien – das müsse auch auf den Konzern als ganzen zutreffen. Auf welches Risiko der Autohersteller da anspielt, ist klar.

Ob dieser Trend richtig ist, darüber lässt sich lange streiten. Die Folgen sind auf jeden Fall absehbar: Wenn in Deutschland gerade die Preise wachsen und der Wohlstand schrumpft, dann ist das wahrscheinlich nur der Anfang.

Kaum ein Land hängt so am internationalen Handel wie Deutschland. Das zeigt sich schon an der Energie: Die Vereinigten Staaten können für sich selbst sorgen, Deutschland und Europa müssen importieren. Fällt China aus, wird es für Deutschland noch bitterer. Einerseits stehen Hunderttausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel, die am Export nach China hängen. Andererseits ist Deutschland auf einige Importe angewiesen. Es waren nicht zuletzt die Globalisierung und billige Importe aus Asien, die Deutschlands Preise in den vergangenen Jahrzehnten niedrig hielten. Wird die Globalisierung rückabgewickelt, dürfte noch manches teurer werden. Aus China kommt beispielsweise derzeit die Hälfte der raffinierten Rohstoffe weltweit. Auch Medikamente kommen oft aus Asien, wie in den vergangenen Monaten auffiel. Europa kann derzeit nicht mal eine Tablette des Schmerzmittels Paracetamol selbst herstellen.

Selbst wenn sich der Handel in einigen Jahren zurecht rüttelt und Deutschland einen funktionierenden Handel mit seinen Freunden aufbaut – der komplette Wohlstand wird nicht zurückkommen. Schließlich hatten die Unternehmen bisher Gründe, warum sie in Asien einkauften und nicht anderswo. Inwieweit andere Handelspartner diesen Vorteil aufholen können, kann heute niemand sagen. Komplett wird es sicher nicht gehen.

Insbesondere arme Staaten sind gefährdet

Auf der anderen Seite gefährdet die wirtschaftliche Entflechtung die armen Staaten. 1,3 Milliarden Menschen kamen in den vergangenen Jahrzehnten aus extremer Armut und konnten ihre Lage wenigstens ein bisschen verbessern, wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds Kristalina Georgieva betont – nicht zuletzt, weil sie in den Welthandel integriert wurden. Auch die Kindersterblichkeit sei gesunken, eben weil der Austausch von Wissen und Medikamenten auf der Welt funktionierte. Der Internationale Währungsfonds gehört deshalb zu den größten Kämpfern für einen Beibehalt der Globalisierung. „Uns sorgt das Risiko, dass die Welt in Handelsblöcke zerfällt“, sagt Georgieva. „Die Trennung dessen, was bisher eine integrierte Weltwirtschaft war.“

Offen ist, was aus anderen asiatischen und afrikanischen Staaten wird. US-Präsident Joe Biden hat in der vergangenen Woche zum ersten Mal Asien besucht, um demonstrativ freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen und ein neues Handelsabkommen auf den Weg zu bringen. Auch Barack Obama wollte so ein Abkommen, seines hatte aber mehr Ambition. Auch nicht ausgemacht ist, wie Indien künftig in den Welthandel passt. Hat sich Indien nicht enthalten, als man in der UNO über eine Resolution zur Verurteilung Russland abstimmen ließ? Die einen Unternehmen wollen mit Indien ins Gespräch kommen, die anderen geht lieber sicher und bleibt klar im Westen. Das heißt nicht unbedingt, dass künftig weniger internationaler Handel stattfindet. Es bedeutet aber, dass die Handelsströme erheblich an Vielfalt verlieren werden. Auch das wird zu Verzicht führen. Es ist das Ende der Globalisierung, wie wir sie in den vergangenen 30 Jahren kannten.

Die Bundesregierung jedenfalls hat den Kampf aufgenommen. Sowohl Wirtschaftsminister Robert Habeck als auch Bundeskanzler Olaf Scholz stritten in Davos in der vergangenen Woche für die Globalisierung. Scholz beschwor den Multilateralismus. Er funktioniere, sagte er, und das sei die Voraussetzung dafür, die Deglobalisierung zu stoppen.

Das heißt aber auch: Die Deglobalisierung hat begonnen. Die Unternehmen schaffen schon mal Fakten.