THEO VAN GOGH = Hollywood Down Under – Schwindel &KI – Simulation & Ratlosigkeit  

 

Oscars: Diese Skandale und Kontroversen überschatten die Verleihung — : „Wir erleben die wohl übelste Oscars-Saison“

Von Christiane Heil, Los Angeles FAZ 22.02.2025,  – Selten hat es vor den Oscars mehr Streit und Empörung gegeben als in dieser Saison: Neben dem Rassismus-Eklat um die Hauptdarstellerin von „Emilia Pérez“ gibt es Ärger um den Einsatz von KI und Schwindeleien bei den Nebendarstellern.

Am Wilshire Boulevard in Los Angeles ist von Alarmstimmung noch nichts zu spüren. Im Foyer des Academy ­Mu­seum of Motion Pictures strahlt der ­Oscargewinner Morgan Freeman den Besuchern via Bildschirm überlebensgroß entgegen. In der East West Bank Gallery, zwei Rolltreppen höher, fühlen an diesem Nachmittag ein paar Dutzend Filmfans bei der Simulation „The Oscars Experience“ vor, was Kandidaten wie Adrien Brody, Kieran Culkin und Mikey Madison mit ein bisschen Glück bei der Preisverleihung in der Nacht zum 3. März erwartet.

Die Organisatoren von „Hollywood’s biggest night“ im benachbarten Beverly Hills versuchen sich derweil an Krisen­bewältigung. Seit der ersten Verleihung der Academy Awards vor fast 100 Jahren hat es selten mehr Skandale, Streit und Empörung gegeben als in der Saison 2025. „Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer, aber im Moment erleben wir wohl die übelste Saison“, sagt Megan McLachlan, die Mitgründerin der Unterhaltungsplattform „The Contending“.

Trotz der schweren Brände heißt es „business as usual“

Die Querelen setzten Anfang Januar ein. Während sich verheerende Flächenbrände im Bezirk Los Angeles durch ­Pa­cific Palisades, Altadena und Hollywood ­fraßen, verlangten Prominente wie die „Hacks“-Darstellerin Jean Smart und der Autor Stephen King, die Oscars oder zumindest die Fernsehübertragung der Gala mit Rücksicht auf die Opfer der ­Ka­tastrophe zu streichen. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences ­(AMPAS) lehnte ab. Obwohl mehrere Mitglieder des Vorstands sowie Stimmberechtigte wie Billy Crystal, Diane Warren und Mel Gibson ihre Häuser verloren, bestand AMPAS auf „business as usual“. Die Frist für die Stimmabgabe und Bekanntgabe der Nominierten wurde kurzerhand ver­län­gert, das Lunch der Oscarkandidaten abgesagt. Die kalifornische Filmakademie kündigte an, die gesparten 250.000 Dollar den Opfern der Brände zu überlassen.

Inzwischen dürfte die Academy be­reu­en, die Oscars 2025 nicht gestrichen zu haben. Auf die Debatte, ob sich Hollywood trotz der Zerstörungen durch die Feuer feiern dürfe, folgten Eklats über Rassismus (Karla Sofía Gascón), Black­face (Fernanda Torres), Künstliche Intelligenz („Der Brutalist“) und angebliche Schwindeleien bei der Nominierung für Oscarkategorien (Ariana Grande, Kieran Culkin, Zoe Saldaña). Ende Januar waren die ersten Vorwürfe gegen Gascón, die erste Transnominierte in der Geschichte der Academy Awards, laut geworden. Die amerikanische Journalistin Sarah Hagi hatte in sozialen Medien Tiraden der „Emilia Pérez“-Darstellerin entdeckt. „Ich habe die Nase voll von Scheiß wie Islam, Katholizismus und anderen verdammten Glaubensrichtungen für Idioten, die Menschenrechte verletzen“, hatte die Spanierin im Sommer 2021 gewettert.

Gascón nannte die Oscars eine „hässliche, hässlche Gala“

Auch für die Oscars fand Gascón ­da­mals heftige Worte. Die „hässliche, häss­liche Gala“ ­erinnere von Jahr zu Jahr mehr an eine Protest­bewegung. „Ich weiß nicht, ob ich gerade ein afro-koreanisches Fes­tival, eine Demonstration von Black Lives Matter oder einen feministischen Aufmarsch gesehen habe“, tönte die Zwei­undfünfzig­jährige. Trotz 13 Nominierungen – mehr als jeder andere Film der Oscarsaison 2025 – wurde „Emilia Pérez“ für Netflix zum Albtraum. Der Streamingdienst strich Gascón, die Hauptdar­stel­lerin des Musical­dramas über einen mexikanischen Rauschgiftboss auf dem Weg zur Frau, aus der Oscarkampagne und ersetzte sie durch ihre Schauspiel­kollegin­nen Saldaña, Selena Gomez und Adriana Paz. „Eine Kampagne ohne Hauptdarstellerin macht es schwer, Gold zu holen“, spöttelte ein Beobachter gegenüber dem Branchendienst „Variety“.

Skandal, Skandal: Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón (rechts) wurden alte Posts auf X zum Verhängnis – und Zoë Saldaña (Mitte) war als angebliche Nebendarstellerin öfter zu sehen als Gascón.

Die Brasilianerin Fernanda Torres, wie Gascón als beste Hauptdarstellerin nominiert, kam mit leichteren Blessuren davon. Als vor vier Wochen ein Video auftauchte, das sie vor fast 17 Jahren mit schwarz bemaltem Gesicht in einer Comedyshow zeigte, bat sie um Entschuldigung. Ihr ­Heimatland sei damals trotz der schwarzen Bürgerrechtsbewegung nicht über Rassismus und Blackface aufgeklärt ­worden. „Als Künstlerin und Weltbürgerin habe ich mich aber der Aufgabe verschrieben, eine Welt ohne Ungleichheit und Rassismus durchzusetzen“, beruhigte ­Tor­res die stimmberechtigten Mitglieder der Filmakademie. Die Neunundfünfzigjährige scheint Erfolg zu haben. Mit ihrer Rolle in „Für immer hier – I’m Still Here“, ein Politikdrama über die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien, kann Torres laut der Website „Gold Derby“ weiter auf einen Oscar hoffen – neben Demi Moore („The Sub­stance“) und Madison („Anora“).

Hollywoods erste Garde, Angelina Jolie und Nicole Kidman, blieb dieses Jahr dagegen von dem Rennen um den Gold­ritter ausgeschlossen. Zur Überraschung der Fans und der beiden Schauspielerinnen verzichtete AMPAS auf Jolies Nominierung für „Maria“, die Filmbiographie der Opernsängerin Maria Callas. Auch Kidmans Part als sexhungrige Unternehmenschefin in dem Erotikthriller „Babygirl“ überzeugte die Stimmberechtigten nicht.

KI soll bei „The Brutalist“ nachgeholfen haben

Adrien Brody, vor Ralph Fiennes („Konklave“), Timothée Chalamet („Like A Complete Unknown“), Sebastian Stan („The Apprentice – The Trump Story“) und Colman Domingo („Sing Sing“) in der Kategorie bester Hauptdarsteller als ­Spitzenreiter gefeiert, wird derweil von Vorwürfen zu Nachhilfe durch Künstliche Intel­ligenz eingeholt. In einem Interview hatte Dávid Jancsó, der Editor des Einwandererdramas „Der Brutalist“, ein bisschen zu heftig über den Einsatz von KI geschwärmt, die Brodys Ungarisch in dem Film „perfektioniert“ habe. Die Technik soll auch die Architekturzeichnungen des „Brutalist“ verbessert haben.

Wie erwartet, löste Jancsós Lob der KI in Hollywood eine Debatte aus. Während der Streiks der Filmschaffenden vor zwei Jahren hatte ihre Gewerkschaft SAG-AFTRA strengere Regelungen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz durchgesetzt. Schauspieler, Drehbuchautoren und Tontechniker sollten geschützt werden. Dass KI jetzt mit einem Oscar belohnt werden soll, stößt vielen auf. Ob sie Brodys ­Chance auf den Academy Award schadet, zeigt sich in der Nacht zum 3. März.

Für Mohammad Rasoulof, den iranischen Regisseur des deutschen Kandidaten „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, geht es in der Oscar-Nacht voraussichtlich um mehr als eine Trophäe. Wie der 51 Jahre alte Filmemacher vor einigen Wochen während des Internationalen Filmfestivals Rotterdam sagte, hat die Regierung in ­Teheran Schauspielern und Crew des Films die „Verbreitung von Unmoral und Propaganda“ vorgeworfen. „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, ein heimlich in Iran gefilmtes Familiendrama über Todesstrafe, Islamisches Revolutionsgericht und die Gesellschaft des Landes, habe die Führung provoziert. „Filmemacher befinden sich immer in Gefahr. Nicht nur, weil sie Geschichten erzählen, die Mächtige nicht hören wollen, sondern auch, weil ihr Mut ansteckend ist“, sagte Rasoulof, dessen Produktion als Kandidat für die Trophäe als bester internationaler Film ins Rennen geht. „Ich kann nicht absehen, wie die iranische Regierung auf die Oscars reagiert.“

Sind das wirklich Nebenrollen?

Nicht bedrohlich, aber immerhin peinlich könnte es für Culkin, Saldaña und Ariana Grande werden. Seit der Bekanntgabe der Nominierungen als beste Nebendarsteller vor vier Wochen wird ihnen Kategorienbetrug vorgeworfen. Wie Culkin, der für die amerikanisch-polnische Tragikomödie „A Real Pain“ auf einen Oscar hoffen kann, unken Beobachter in Hollywood, hätten auch Saldaña („Emilia ­Pérez“) und Grande („Wicked“) in der Kate­gorie beste Hauptdarsteller antreten müssen. Wie die Plattform „Screen Time Central“ errechnete, war Culkin mehr als 58 Minuten, nur etwa vier Minuten weniger als der Hauptdarsteller Jesse Eisenberg, in „A Real Pain“ zu sehen. Auch Grande trennen nur wenige Minuten von der „Wicked“-Hauptdarstellerin Cynthia Erivo. Bei Jacques Audiards „Emilia ­Pérez“ scheint der „fraud“ noch heftiger. Während Gascón als Hauptdarstellerin nur etwa 52 Minuten Bildschirmzeit einnimmt, ist Saldaña als angebliche Nebendarstellerin fast 58 Minuten lang zu sehen.

Der Grund des Schwindels, der in der Oscar-Saison 2025 auffälliger scheint als in früheren Jahren? Durch Darsteller eines Films für unterschiedliche Kategorien verhindern die Studios einen Wett­bewerb in den eigenen Reihen. Zudem erhöht die als unelegant verschriene, aber durch die Academy nicht verbotene Praktik die Chance, möglichst vielen Schauspielern einer Produktion zu einem Oscar zu verhelfen. Für die Dankesreden müssten sich Culkin, Saldaña und Grande wohl etwas Versöhnliches einfallen lassen.