THEO VAN GOGH HINTERGRÜNDE – Scholz über Ukraine-Debatte : „An Lächerlichkeit nicht zu überbieten“  – Seit Beginn der Legislaturperiode seien bereits 37 Verdachtsfälle eines Geheimnisverrats an die Generalstaatsanwaltschaft gemeldet worden.

  • Aktualisiert am 19.03.2024-10:54 FAZ – Der Bundeskanzler äußert scharfe Kritik an der seit Wochen laufenden Debatte über die deutsche Unterstützung für die Ukraine. Rolf Mützenich hält derweil weiter an seiner Aussage zum „Einfrieren“ des Krieges fest.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die seit Wochen laufende Debatte über die deutsche Unterstützung für die Ukraine scharf kritisiert. „Die Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten“, sagte der Kanzler am Dienstag bei der Konferenz Europe 2024 in Berlin. „Das ist peinlich für uns als Land.“ Die Diskussion, in der es vor allem um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern geht, werde außerhalb von Deutschland nicht verstanden.

Scholz verwies darauf, dass Deutschland der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine ist. Das müsse erst einmal anerkannt werden, forderte er. Er wünsche sich eine Debatte in Deutschland, die Besonnenheit nicht als Zögerlichkeit diskreditiere.

Der Kanzler hatte einer Lieferung von Taurus-Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern Ende Februar eine klare Absage erteilt. Er begründete das damit, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte. Die Union, aber auch die Koalitionspartner Grüne und FDP kritisieren ihn dafür scharf. Die Debatte läuft nun schon seit mehr als drei Wochen.

Kritik an Rolf Mützenich

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hält unterdessen trotz Kritik an seinen Äußerungen zum Einfrieren des Ukrainekriegs fest. Auf die Frage, was er mit dem Begriff gemeint habe und ob er ihn korrigieren wolle, sagte Mützenich der „Neuen Westfälischen“ am Dienstag: „Nein, das möchte ich nicht. Ich bin in den Sozial- und Friedenswissenschaften ausgebildet. Dort wird das Einfrieren als Begrifflichkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen zu ermöglichen, die überführt werden können in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt.“ Das benötige natürlich die Zustimmung beider Kriegsparteien, was man nicht von außen diktieren könne.

Mützenich steht wegen seiner Aussagen in der Bundestags-Debatte über eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper vom vergangenen Donnerstag in der Kritik. Er hatte gefragt: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“

Pistorius distanziert sich

Verteidigungsminister Boris Pistorius bekräftigte am Dienstag, dass er nicht – wie Mützenich – von einem Einfrieren des Kriegs in der Ukraine gesprochen hätte. „Weil das Wort einfrieren signalisiert, man könne einen solchen Krieg und wir reden ja nicht über einen beidseitigen Konflikt, einen solchen Krieg einfach so einfrieren und dann hoffen, dass es besser wird. Wir wissen aus der Geschichte und aus den Erfahrungen mit Putin, dass das niemals so sein wird“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk vor einer neuen Abstimmungsrunde der Ukraine-Unterstützer in Ramstein. Die Worte Mützenichs bedeuteten aber den Wunsch nach Frieden. „Die SPD ist keine Partei der Putinversteher“, sagte Pistorius. Die SPD stelle mit Olaf Scholz den Kanzler und Deutschland stehe an der Spitze aller europäischen Unterstützer der Ukraine.

Der Verteidigungsminister warnte außerdem davor, in der Debatte um eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern die wesentlichen Bedürfnisse der Ukraine im Abwehrkampf aus dem Blick zu verlieren. Ausreichend Artilleriemunition, weiter reichende Raketenartillerie sowie die Luftverteidigung seien die wirklich existenziellen Fragen, so Pistorius. Er kritisierte, dass aus einer geheimen Sitzung des Verteidigungsausschusses Informationen öffentlich wurden. „Dass aus der Sitzung Geheimes nach draußen gedrungen ist, gehört genau zu dieser Kakofonie. Jeder versucht, sich über sein Verhalten zu profilieren, in irgendeiner Weise sein Spiel zu spielen.“

Strack-Zimmermann weist Bas’ Kritik zurück

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann wies diesbezüglich Kritik der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas scharf zurück. Die Antwort von Bas auf ihre Anzeige eines möglichen Geheimnisverrats aus der letzten Sondersitzung habe sie „mit Irritation zur Kenntnis genommen“, schrieb die FDP-Politikerin an Bas. Das Schreiben vom Montag lag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin am Dienstag vor.

„Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass der an den Ausschusssitzungen teilnehmende Personenkreis nicht in meinem Belieben steht“, schrieb Strack-Zimmermann in Reaktion auf Äußerungen von Bas. Neben den Abgeordneten und Vertretern der Ministerien seien auch „Vortragende der Fachebene für detaillierte Antworten im Sitzungssaal anwesend“. Die Bundestagspräsidentin hatte Verwunderung darüber ausgedrückt, dass an der besagten Sitzung 105 Leute teilgenommen hätten und Strack-Zimmermann dies zugelassen habe.

„Außerordentliches Interesse am Schutz der Sitzungsinhalte“

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten beabsichtigte sie, die betroffenen Ressorts schriftlich zu sensibilisieren und darum zu bitten, den von der Regierung entsandten Personenkreis bei geheim eingestuften Tagesordnungspunkten abermals zu überprüfen und so weit wie möglich zu reduzieren, schrieb Strack-Zimmermann. In der nächsten Runde der Obleute solle auch über die Teilnahme von Mitarbeitern gesprochen werden. Sie habe außerordentliches Interesse am Schutz der Sitzungsinhalte und zahlreiche Anzeigen wegen mutmaßlichen Geheimnisverrats gestellt. „Ich erachte es daher als unpassend, dass Sie mir mit Ihrem heutigen Schreiben das Gegenteil unterstellen“, so Strack-Zimmermann.

Nach der geheimen Sitzung des Verteidigungsausschusses am Montag vergangener Woche waren Informationen zum Marschflugkörper Taurus an die Öffentlichkeit gelangt. Strack-Zimmermann hatte am Freitag angekündigt, die Staatsanwaltschaft einschalten zu wollen. Der Bundestag teilte am Montag mit: „Die Bundestagspräsidentin wird eine Ermächtigung zur Strafverfolgung zum Geheimnisverrat im vorliegenden Fall erteilen.“ Das werde kurzfristig im üblichen Verfahren geschehen. Seit Beginn der Legislaturperiode seien bereits 37 Verdachtsfälle eines Geheimnisverrats an die Generalstaatsanwaltschaft gemeldet worden.