THEO VAN GOGH „GEGEN DAS MANICHÄISCHE DENKEN!“ / BOYKOTTE GEGEN DEN AUFRECHTEN MERON MENDEL (ANNE FRANK STIFTUNG DIREKTOR)
Debatten über den Nahostkrieg : Die Boykottkultur macht den Diskurs zunichte
Von Sandra Kegel FAZ – 22.11.2024,
Ein Berliner Symposium, auf dem auch über den Krieg in Nahost diskutiert werden soll, wird noch vor Eröffnung zum Scheitern gebracht. Die weltbekannte New Yorker Fotokünstlerin Nan Goldin wirkt daran ordentlich mit. Dem Boykottdiktat muss widerstanden werden.
Meron Mendel und Saba-Nur Cheema, F.A.Z.-Lesern auch bekannt als Autoren der Kolumne „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“, die für Austausch, Dialog und Verständigung wirbt, stehen ausgerechnet dafür nun selbst im Kreuzfeuer. Bereits im Sommer waren der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank und die Politikberaterin von der Neuen Nationalgalerie in Berlin gebeten worden, anlässlich der heute eröffnenden Nan-Goldin-Retrospektive ein Symposium zu organisieren. Dass es Diskussionen um die Ausstellung der Künstlerin mit den seit dem 7. Oktober streitbaren Positionen geben würde, war zu erwarten. Doch inzwischen dreht sich der Streit vor allem um das diskursive Begleitprogramm.
Die 1953 geborene jüdisch-amerikanische Fotografin gehört mit ihren aktionistisch-künstlerischen Interventionen zu den weltweit renommiertesten Künstlerinnen. Ihre Arbeiten werden auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt. In den Achtzigerjahren begleitete Goldin mit ihrer Kamera Freunde durch ihren Alltag während der Aids-Krise. Mit ihrem Kampf gegen die Familie Sackler im Kontext der amerikanischen Opioidkrise wurde sie als Aktivistin international bekannt. Goldin war selbst durch eine Schmerzmittelbehandlung abhängig geworden. Ihr Engagement gegen die Sacklers hat Laura Poitras in dem Film „All the Beauty and the Bloodshed“ eindrucksvoll dokumentiert.
Die Berliner Schau „This Will Not End Well“, die erstmals einen umfassenden Einblick in Goldins Schaffen von 1980 bis in die Gegenwart gibt, ist eine Übernahme, die zuvor und ohne Vorkommnisse in Stockholm und Amsterdam gezeigt wurde. Dass sie in Berlin kontrovers diskutiert werden würde, liegt dabei nicht an den Werken, in denen bislang keinerlei antisemitische Tendenzen ausgemacht wurden. Vielmehr liegt es an der einseitigen Parteinahme der Künstlerin für die Palästinenser seit dem 7. Oktober, die sie beispielsweise dazu veranlasste, nur wenige Tage nach dem Angriff auf Israel einen offenen Brief in der Zeitschrift „Artforum“ zu unterzeichnen, der das Vorgehen Israels in Gaza aufs Schärfste kritisiert, ohne den Angriff der Hamas auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Später erklärte sie gegenüber dem „Guardian“, sich zu schämen, Jüdin zu sein, und lehnte eine Zusammenarbeit mit der „New York Times“ ab mit Verweis auf die angeblich proisraelische Berichterstattung des Blattes.
Das für Sonntag in Berlin geplante Symposium „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel will nun nicht etwa das Werk oder die Positionierung Goldins thematisieren, sondern einen „Diskussionsraum zum Nahostkonflikt“ eröffnen und dazu die konfliktreichen Positionen miteinander ins Gespräch bringen. Der jüdische Architekt Eyal Weizman, der Verständnis für die Boykottbewegung BDS zeigt, ist ebenso eingeladen wie die israelische Künstlerin Ruth Patir, die kritisiert wird, weil sie den Pavillon ihres Landes auf der Venedig-Biennale kuratieren sollte.
Sie hätten sofort zugesagt, das Panel zu organisieren, sagen Cheema und Mendel im Gespräch mit der F.A.Z., weil es in ihrer Arbeit seit dem 7. Oktober verstärkt darum gehe: Dialogräume zu etablieren, um jene Kontroversen zuzulassen, die der Boykottkultur ein Dorn im Auge sind. „Die Ausstellung war eine Gelegenheit, um über den politischen Aktivismus in der Kunst zu sprechen. Wir wollen die binäre Logik von Pro und Anti aufbrechen und den Zwischentönen Raum geben“, erklärt dies Cheema. Dass sie israelische und palästinensische Künstler zur Teilnahme gewinnen konnten, hat sie einerseits gefreut. Aber sie merkten früh, dass es nicht einfach würde, weil sie bereits im Vorfeld viele Absagen erhielten von Leuten, „die nur kommen wollten, wenn sie die Bühne für sich alleine hätten, oder nur, wenn der ,Genozid in Gaza‘ thematisiert oder umgekehrt nicht thematisiert würde. Manche hatten auch einfach Angst, zuzusagen.“
Teilnehmer unter Druck gesetzt
Der Anspruch von Mendel und Cheema ist es seit jeher, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, auch wenn sie in den sozialen Medien sonst übereinander herfallen, sich liken und die Gegner disliken. „Aber es geht um mehr als das“, sagt die Politologin Cheema. Seit sie das Programm veröffentlicht haben, wurden die Teilnehmer von anderen Künstlern massiv unter Druck gesetzt: „Die Veranstaltung wurde gebrandmarkt als ,Staatsraison-Erziehungsmaßnahme‘. Es wurde gegen die Veranstaltung gehetzt, aber auch wir beide wurden persönlich diffamiert.“
Inzwischen haben vier Teilnehmer ihre Zusage zurückgezogen, darunter die New Yorker Autorin Masha Gessen und die in Berlin lebende südafrikanische Künstlerin Candice Breitz sowie Hito Steyerl, die die Eröffnungsrede halten sollte. Nan Goldin wirkt unterdessen von New York aus kräftig daran mit, die Veranstaltung zum Scheitern zu bringen. Sie likte nicht nur einen Beitrag der Boykottbewegung „Strike Germany“. Die Bewegung ruft bekanntlich Künstler in aller Welt dazu auf, hiesige Kulturinstitutionen wegen der Verbindungen Deutschlands zu Israel zu boykottieren. Auf Instagram wetterte sie gegen das Symposium, das von „Zionisten beherrscht“ werde, „die den Genozid leugnen“: Ausgerechnet „Vagheit und Vermeidung in Zeiten des Genozids“ lautet die diffamierende Beschreibung der Veranstaltung, die nur ein Ziel hat: Alle Stimmen zuzulassen und niemanden aus dem Diskurs auszuschließen.
Goldin will die Veranstaltung verhindern
Nan Goldin, die nicht nur im Vorfeld über die Veranstaltung informiert worden war, sondern von Mendel und Cheema auch eingeladen wurde, daran teilzunehmen, befeuerte die Eskalation, indem sie bestritt, von der Veranstaltung gewusst zu haben, und bedauerte, sie nicht verhindern zu können. „Dass Goldin so gegen die Veranstaltung vorging, hat uns überrascht und verwundert“, sagt Mendel, der sich gefreut hätte, wenn sie die Keynote gehalten hätte. „Wir haben ihr auch angeboten, ein Gespräch mit ihr zu führen. Aber sie ist gerade dabei, das Symposium mit aller Macht zu verhindern. Es wird ihr nicht gelingen.“
Tatsächlich gibt es derzeit noch zehn Teilnehmer, die – bislang – dem Druck standhalten, wie Mendel berichtet. Sie sind bereit, trotz der Angriffe und Beleidigungen am Sonntag auf die Bühne zu gehen und sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die sie im Zweifel nicht teilen. Genau darum geht es. Nicht darum, eine Lösung zu finden oder sich gegenseitig zu übertrumpfen, sondern ums Zuhören und darum, im Gespräch zu bleiben.
Deshalb bleibt es so erstaunlich, dass ausgerechnet diejenigen, die lautstark beklagen, im Diskurs keine Stimme zu haben, sich jetzt selbst canceln und zurückziehen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es hier nicht nur um politische Positionierung, sondern auch um Ressourcenverteilung geht. Dass also, wer mit bestimmten Leuten auf einem Podium sitzt, womöglich Sorge hat, von bestimmten anderen Leuten – Museumskuratoren oder Veranstaltern – nicht mehr mit Aufträgen bedacht zu werden. Das wäre ein zu hoher Preis. Daher ist allen Beteiligten zu wünschen, dass die Debatte am Sonntag endlich beginnt, statt sie einmal mehr der Boykottlogik zu opfern.