THEO VAN GOGH AUSBLICKE: Selenski kündigt internationale Friedenskonferenz zur Ukraine in der Schweiz an – aber ohne Russland

Bern und Kiew organisieren ein Treffen zur Friedensformel des ukrainischen Präsidenten. Bis zu Friedensgesprächen mit Moskau ist es ein weiter Weg. Dennoch kann die Schweiz einen Erfolg verbuchen.

Tobias Gafafer11.12.2023, 17.24 Uhr  NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

 

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski kündigte am Sonntag auf einer Südamerikareise nebenbei an, dass die nächste Gesprächsrunde über die Friedensformel für die Ukraine in der Schweiz stattfinde. Sein Land kämpfe nicht nur gegen die russischen Invasoren, sondern arbeite auch an Instrumenten, um den Krieg zu beenden, schrieb er auf der Plattform X. Er hoffe, dass Uruguay am nächsten Treffen in der Schweiz teilnehme, hielt er nach einem Treffen mit dem Präsidenten des Landes in Buenos Aires fest. Selenski nahm an der Amtseinführung des argentinischen Präsidenten Javier Milei teil.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (links) nahm an der Amtseinführung seines argentinischen Kollegen Javier Milei teil – und machte eine überraschende Ankündigung.

Ein Sprecher des Aussendepartements (EDA) bestätigte am Montag, dass vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 14. Januar eine Konferenz zur ukrainischen Friedensformel stattfinde. Es handle sich um die Fortsetzung eines Treffens in Malta vom vergangenen Oktober. Vertreter von rund 70 Staaten, der EU und der Uno waren damals zusammengekommen, um über die Friedensformel für die Ukraine zu diskutieren. Für die Schweiz nahm Gabriel Lüchinger teil, der Leiter der Abteilung internationale Sicherheit des EDA. Er kandidiert für die SVP als Bundeskanzler.

Die Bedingungen der Ukraine

Selenski hat die Friedensformel im Jahr 2022 vor den Vereinten Nationen lanciert. Diese basiert auf einem Zehn-Punkte-Plan, den die Ukraine als Bedingung für einen Frieden mit Russland nennt. Die Formel sieht vor, dass die russischen Besatzer abziehen und dass Aggressionen verfolgt und bestraft werden. Zudem geht es um die Energie- und Lebensmittelsicherheit sowie die Rückkehr von Kriegsgefangenen. Von eigentlichen Friedensgesprächen zwischen den Kriegsparteien kann jedoch keine Rede sein, da Russland nicht beteiligt ist.

Dennoch ist die Ankündigung für die Schweiz ein Erfolg. Sie übernimmt die Rolle als Gaststaat, ein klassisches Instrument der Guten Dienste. Zwar sitzt eine Konfliktpartei nicht mit am Tisch. Doch die Schweiz könnte wohl noch länger warten, wenn sie sich nur engagiert, falls Moskau mitmacht. Gibt es irgendwann Verhandlungen und will Russland nicht bloss auf dem Schlachtfeld einen Frieden diktieren, werden die Positionen Kiews eine Rolle spielen.

Das Treffen in Davos zeugt davon, dass es die Schweiz trotz ihrer Sonderrolle geschafft hat, gute Beziehungen zur Ukraine zu pflegen. Sie legte im Jahr 2022 mit der Ukraine und westlichen Partnern den Grundstein für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes. Die Schweiz hilft Kiew bei der humanitären Minenräumung. Zudem unterstützt sie die Einrichtung eines Sondertribunals, um die russische Aggression zu untersuchen. Nun organisieren Bern und Kiew gemeinsam die Konferenz. Dass diese im Vorfeld des WEF erfolgt, zeigt, dass die Ukraine in Davos ein grösseres Thema sein dürfte. Im Zentrum wird wohl die wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung Kiews stehen.

 

Details zum Treffen liegen noch keine vor. Bern muss nun klären, was die Ukraine davon erwartet. Die Frage ist, was die beteiligten Staaten mit dem Format machen, das bis anhin auf der Ebene der nationalen Sicherheitsberater stattfindet. Die Schweiz unterstütze die Initiative – wie jedes Vorhaben, das als Grundlage für Verhandlungen über einen fairen Frieden dienen könne, sagte ein Sprecher des EDA.

Schweiz kam spät ins Spiel

Es handelt sich um das vierte dieser Art von Treffen, die die ukrainische Seite als Friedenskonferenzen bezeichnet. Zunächst handelte es sich primär um eine Zusammenkunft von Staaten, welche die Ukraine unterstützen. Am zweiten Treffen, das in Saudiarabien stattfand, nahmen auch nichtwestliche Länder teil. Diese sind gegenüber der Ukraine zurückhaltender, weshalb kein gemeinsames Schlussstatement möglich war. Die Schweiz kam erst am dritten Treffen in Malta ins Spiel. Das EDA hat sich offenkundig für eine Vorwärtsstrategie entschieden: Es engagiert sich da, wo etwas geschieht.

Zu den Forderungen der Ukraine gehört auch, dass das von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischja umgehend der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) und ukrainischem Personal übergeben wird. Die Schweiz bringt sich in diesem Bereich auf mehreren Ebenen ein. Sie beteiligt sich im Rahmen der Friedensformel in der Arbeitsgruppe «Nukleare Sicherheit». Als Mitglied des Uno-Sicherheitsrats organisierte Bern in New York dieses Jahr auch ein Treffen zur Gefährdung der Anlage von Saporischja, an dem der IAEA-Direktor teilnahm.

Es sind kleine Schritte der Berner Diplomatie. Und doch scheint es, dass die Schweiz im Ukraine-Krieg allmählich ihre Rolle findet.