THE FELLOW TRAVELLERS : Zur Anatomie des Intellektuellen als stalinistischen Mitläufers

Von Robert Lucas

David Caute: „The Fellow Travellers. A Postcript to the Enlightenment”; Weidenfeld & Nicolson, London 1973; 433 S, 5 75 £.

Am Ende seines Besuchs in Moskau schrieb George Bernard Shaw in das Gästebuch des Hotels „Metropole”: „Morgen verlasse ich dieses Land der Hoffnung und kehre zurück in die westlichen Länder der Verzweiflung Das war 1931, und in dem „Land der Hoffnung” hatten die Stalinschen Terrorprozesse bereits begonnen. Shaws groteskes Fehlurteil war charakteristisch für die Sprache der Fellow Travellers, deren Geschichte und Motive ein englischer Sozialhistoriker jetzt analysiert hat:

David Caute: „The Fellow Travellers. A Postcript to the Enlightenment”; Weidenfeld & Nicolson, London 1973; 433 S, 5 75 £.

Die Fellow Travellers, die Compagnons de schen Äquivalente zu verwenden: die „Sympathisierenden”, die „Mitläufer”, waren jene westlichen Intellektuellen, die in den dreißiger Jahren ideologische Pilgerfahrten” in die Sowjetunion unternahmen. Ein erstaunliches Schauspiel: Männer und Frauen, die zur kulturellen Elite des Westens gehörten, umschwärmten wie Motten das trügerische Licht, das Lenin in Rußland entzündet hatte. Während Stalin seine Rivalen vernichtete, während sich die Zwangsärbeitslager füllten, während bei der Kollektivierung der Landwirtschaft Millionen Menschen umkamen, während Schdanow die Künste zu Handlangern der Propaganda erniedrigte, sahen diese berühmten deutschen, französischen, englischen und amerikanischen Schriftsteller, Naturwissenschaftler, Soziologen, ja selbst einige Kirchenmänner in der Sowjetunion die große Hoffnung der Menschheit. „Ich möchte meine Liebe zu Rußland in die Welt hinausschreien, ich möchte, daß mein Ruf gehört wird und Bedeutung hat”, verkündete Andre” Gide „Man erzählt uns, daß Stalin manchmal nachts auf die Moskauer Güterbahnhöfe geht, um selbst mitanzupacken!”, schwärmte der Biologe Julian Huxley „Zu wissen, daß es einen solchen Staat gibt, macht mich glücklich”, schrieb Heinrich Mann, und seine Verblendung ging so weit, daß er die grauenhaften Moskauer Prozesse als einen Beweis für die „Intellektualität der Revolution” betrachtete. Jean Richard Bloch in Frankreich und die Fabier Sidney und Beatrice Webb in England bekräftigten angesichts der Selbstbeschuldigungen und Hinrichtungen der alten Bolschewik! ihre unerschütterliche Bewunderung für die Sowjetjustiz.

Wie ist die Verirrung zu erklären? Diese Männer waren keine Kommunisten. Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Romain Roland, Frederic und Irene Joliot Curie, Jean Paul Sartre -Paul Langevin, Sean OCasey, Stephen Spender, Theodor Dreiser, Upton Sinclair, John Dos Passos, Louis Fischer, J. Robert Oppenheimer besaßen niemals die Mitgliedskarte der Partei. Sie waren nur „Sympathisierende”, und sie sympathisierten weiter — trotz allen Terrors. Sie liebten die Sowjetunion nur aus der Distanz, wiewohl es manchen von ihnen gar nicht übel behagte, gelegentlich auf Einladung der Sowjets im „Arbeiter- und Bauernstaat” auf Banketten gefeiert zu werden. Manche fanden schon nach wenigen Jahren den Ausweg aus:dem Irrgarten, die meisten (aber;nicht Heinrich Mann, Bert Brecht und Arnold Zweig) wurden durch den Stalin Hitler Pakt von 1939 von ihrer Infektion geheilt.

Rückblickend mag man sich allerdings fragen, ob sich die hochfliegenden “Hoffnungen; erfüllt haben, die man im Kreml auf die intellektuellen Mitläufer setzte. Stalin erkundigte sich einmal zynisch, über wie viele Panzer der Papst verfüge. Was war das Panzer Äquivalent der, Fellow Überfalls auf die Sowjetunion?

In jenen zwielichtigen dreißiger Jahren waren, wenn man es genau überdenkt, die Fellow Traim linken Lager. Sie mächten die deutschen und österreichischen Hochschulen reif für die Gleichschaltung durch den Nationalsozialismus. Sie unterminierten die Widerstandskraft Frankreichs, lange bevor die ersten Panzer Hitlers über die Grenzen rollten. Wie ein englischer Kritiker sagte: Folgenschwerer als alle antifaschistischen Schriftsteller Kongresse war das Manifest Pour das im Jahr 1935, zur Zeit von Mussolinis Überfall auf Abessinien, von 850 französischen Intellektuellen unterzeichnet wurde, um den Völkerbund von Sanktionen gegen den Aggressor Hitler abzuhalten. Es verrät daher eine bedenkliche Einseitigkeit des Denkens und Argumentierens, wenn Dr. Caute die Frage der FellowLinken behandelt. Vermutlich wäre seine Interpretation etwas anders ausgefallen, hätte er seine Untersuchung nicht so linkshändig ausgeführt. Auf den ersten Blick hat Cautes Theorie allerdings etwas Bestechendes. Er will das Phänomen der. Fellow Travellers als ein „Postskript zur Aufklärung” verstanden haben, als „ein Bekenntnis zu Werten, die einstmals kühn proklamiert, aber später erodiert wurden”, als „eine Rückkehr zu der im 18. Jahrhundert entstandenen Vision einer vernunftgetragenen, gebildeten und wissenschaftlichen Gesellschaft, die auf der besten: Ausnützung aller Kräfte und der stetigen Verbesserung (wenn nicht Vervollkommnung) der menschlichen Natur beruht, so wie sie objektiven, vorurteilslosen Geistern vorschwebte”. Das ist natürlich die kommunistische Utopie. Aber es ist nicht die sowjetische Wirklichkeit. Es ist verständlich, daß die russische Oktoberrevolution als eine Manifestation des „geistigen und physischen Willens” interpretiert werden konnte, „das große Experiment neu zu unternehmen”. Aber es ist, nicht so leicht, zu begreifen, warum die, Herzen westlicher Intellektueller angesichts des Stalinschen Terrors höher schlugen. Die Bewunderung, die Poeten wie Stephen Spender, Cecil Day Lewis, Bert Brecht für die Sowjetunion empfanden, kann nicht damit erklärt werden, daß sie um den Terror nicht wußten. Im Gegenteil: sie bejahten ihn. Wo gehobelt wird, fallen Späne, und wenn eine neue Gesellschaft gezimmert wird — so dachten sie — kann es eben nicht ohne Opfer geschehen. Das war eine so einfache Aussage wie: 2 mal 2 macht 4. Es war nicht nur einfach, es war marxistisch, und es war „vernünftig”. Und die Vernunft, die im Zeitalter der Aufklärung und in der Großen Französischen Revolution Gott nur vorübergehend entthront hatte, schien ihnen in Sowjetrußland endlich und endgültig triumphiert zu haben. Es war die „Vernunftmäßigkeit” der Fünfjahrespläne, die Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger begeisterte, so wie die „Vernunft durch Wissen” Formel Beatrice Webb faszinierte.

Wenn man die Mitläufer auf der Linken und Rechten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen versucht, dann kommt man zu Schlüssen, die das Wesen des Phänomens treffender erklären als Cautes Theorie vom „Postskriptum zur Aufklärung”. Beiden Sorten ist die unkritische Bewunderung autoritativer Staatsformen gemein. Es ist leicht, die Motive dieser Bewunderung zu nennen: das Versagen des Liberalismus in den Nachkriegsjahren, das Scheitern des ökonomischen Liberalismus, die Unfähigkeit demokratischer Regierungen und demokratischer Parteien, mit der Massenarbeitslosigkeit und anderen Folgen der Weltwirtschaftskrise fertig zu werden — all dies schuf jene Atmosphäre der Verzweiflung, des Skeptizismus, der Ungeduld und des Fanatismus, die westliche Intellektuelle veränlaßte, ihr politisches Heil bei den Diktatoren der Linken oder der Rechten zu suchen.

David Caute weist mit Recht auf einen anderen Faktor hin, der die ideologische Mythenbildung in den dreißiger Jahren förderte: objektive Informationen über die Sowjetunion waren ungemein schwer, ja fast überhaupt nicht zu erhalten. Unter Stalin war das Informationsmonopol von Partei und Regierung bereits so fest etabliert, daß die sowjetische Propaganda das Feld vollkommen beherrschte. Jede kritische Stimme wurde kapitalistisch imperialistischer oder faschistischer Motive verdächtigt. Im Netz der kommunistischen Agitation gefangen, Opfer ihrer eigenen Illusion, bewiesen viele „Sympathisierende” einen Glauben und Fanatismus, der jenen der geeichten Parteimitglieder übertraf.

Die Ära der Rußland gerichteten Fellow Travellers ist beendet. – Die „Sympathisierenden” von heute blicken nach China, Kuba, Venezuela und Nord Vietnam. Doch Parallelen liegen nahe: Wieder handelt es sich um schwer zugängliche, von ideologischen Legenden umwobene Länder, wieder sind es amerikafeindliche autoritative Regimes, wieder glauben die enttäuscht und abgestoßen, in der Fremde die Erfüllung ihrer Träume zu finden. Aber David Caute hofft, daß die Attraktion dieser irdischen Paradiese verschwinden wird, sobald sie — so wie Sowjetrußland — größeren Wert auf den Fremdenverkehr legen als auf Fellow Travellers.