Syrien : Eine neue Koalition gegen Assad

12.11.2012 ·  FAZ – Rainer Hermann – DOHA – Unter Druck hat sich die zerstrittene syrische Opposition in Doha zusammengeschlossen. Nun soll die „Nationale Koalition der Syrischen Revolutionären und der oppositionellen Kräfte“ die neue legitimierte Vertretung für Syrien sein.

Die Einigung kam, als fast niemand mehr damit gerechnet hatte. Dabei wusste jeder, dass der Sieger eines Scheiterns der Gespräche von Doha nur Baschar al Assad hätte heißen können. Der Syrische Nationalrat stellte sich dennoch eine Woche lang stur und widersetzte sich der Aufforderung, Teil einer umfassenden nationalen Oppositionskoalition zu werden. In Doha beobachtete auch jeder den Einsatz des bekannten Oppositionellen Riad Seif, der unablässig zwischen den beiden Tagungshotels pendelte, dem Ritz Carlton, in dem der Syrische Nationalrat beraten hat, und dem Sheraton, wo sich die Mitglieder von Seifs inoffizieller „Syrischen Nationalinitiative“ niedergelassen hatten.

Er werde nicht aus Doha abreisen, bevor nicht eine Übereinkunft unterzeichnet sei, sagte der frühere Abgeordnete und Geschäftsmann, dem sich unabhängige Oppositionelle wie der frühere Ministerpräsident Riad Hidschab angeschlossen haben. Am Samstag sah es fast danach aus, als ob er doch unverrichteter Dinge werde abreisen müssen. Störrisch und hartnäckig widersetzte sich der Syrische Nationalrat der Initiative Seifs. Sie wäre fast daran gescheitert, dass der Nationalrat sich nicht mit der ihm zugedachten Anzahl der Sitze im neuen Gremium bescheiden wollte. Zudem versteckte sich der Nationalrat hinter dem Argument, Seif habe ja keine konkreten Hilfszusagen der westlichen Unterstützer für Gelder und Waffen geben können.

 Nur wenig hat sich verändert

Und so war der Syrische Nationalrat zunächst wieder einmal weitgehend mit sich selbst beschäftigt. In Doha wählten Delegierte die 41 Mitglieder des Generalsekretariats neu, von ihnen sind 31 Muslimbrüder. Aus ihren Kreis bestimmten sie den Christen George Sabra, einen Reformkommunisten, zum neuen Vorsitzenden und Nachfolger von Abdulbasit Saida, Stellvertreter wurde der Muslimbruder Faruq Tayfur. „Die Organisation hat kein Interesse mehr an der Schaffung eines demokratischen oder säkularen Syrien“, kritisierte kopfschüttelnd Rafif Jouejati, Sprecherin der Lokalen Koordinierungskomitees von der Basis in Syrien. Als der Syrische Nationalrat der Initiative Seifs weiter die kalte Schulter zeigte, legten die Koordinierungskomitees, die in Syrien die Proteste und Kundgebungen organisieren, ihre Mitgliedschaft im Nationalrat entnervt nieder.

Immer mehr glaubten, dass sich seit 1958 nicht viel verändert habe. Damals sagte der syrische Staatspräsident Schukri al Quwwatli bei der Vereinigung Syriens mit Ägypten, die drei Jahre Bestand hatte, zum ägyptischen Präsidenten Nasser: „Ich übergebe Ihnen ein Land, das zu 95 Prozent aus Führern besteht.“ Gegen den Nationalrat war am häufigsten die Kritik erhoben worden, seine Mitglieder seien, getrieben von ihrem Ego, lediglich an ihren Ämtern interessiert, nicht aber am Sturz des Regimes Assad, geißelt Jouejati. Wäre es bei ihrer Blockadepolitik geblieben, die Beziehungen der westlichen und arabischen Kritiker des syrischen Regimes zur Opposition hätten sich weiter verschlechtert.

„Opposition muss sich erst einen“

Letztlich konnte sich der Nationalrat dem Druck aus Syrien und aus der Staatengemeinschaft nicht länger entziehen. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton sagte direkter als jeder Europäer, die „Opposition muss sich erst einen“ – sie betonte „muss“ – und ein Ansprechpartner werden, bevor sie Hilfe erhalten könne. Und die lokalen Koordinierungskomitees machten klar, dass die Exilopposition den Kontakt zur „Straße“ verloren habe und irrelevant geworden sei.

Gespalten sind die Aufständischen aber auch in Syrien selbst. In der Rebellenhochburg Homs bestehen etwa nebeneinander drei Allianzen von Bewaffneten, die unabhängig agieren. Zu den Salafisten gehört die „Brigade al Ansar“, zur „Freien Syrischen Armee“ bekennt sich die „Brigade Faruq“, und im offiziellen Militärrat, dem die „Brigade Faruq“ nicht angehört, sammelt sich die bewaffnete „Union der Revolutionäre“. Zuletzt zeichnete sich jedoch ab, dass die „Brigade Faruq“ über Homs hinaus Bedeutung erlangt.

12-Punkte-Plan wird erarbeitet

Und in Doha einigten sich am späten Sonntagabend alle wichtigen Oppositionsgruppen auf einen Zusammenschluss. Nun endlich gibt es einen Ansprechpartner für die „Freunde Syriens“, die sich rasch mit der geeinten Opposition treffen wollen. Dieser Zusammenschluss könnte im Fall eines Kollapses des syrischen Nationalstaats das Vakuum füllen. Die Helden des Verhandlungsmarathons sind am frühen Montag abgereist, mehrere Arbeitsgruppen feilen seither im Hotel Sheraton an den Einzelheiten des 12-Punkte-Plans zur Bildung einer breiten Oppositionskoalition. Offen ist weiterhin ihr Name. Sie soll nicht „Syrian National Coalition“ heißen. Dann ergäbe sich wieder die Abkürzung des Nationalrats, SNC. Offiziell heißt sie weiter sperrig „Nationale Koalition der Syrischen Revolutionären und der oppositionellen Kräfte“.

Im Prinzip befinden sich nun alle wichtigen oppositionellen Gruppen unter einem Dach; jeder kann sich ihr anschließen. Ziel ist, alle bewaffneten Verbände zu einen und nach der erwarteten diplomatischen Anerkennung als einziger legitimer Vertreter des syrischen Volkes eine Übergangsregierung aus zehn Ministern zu bilden. Sie sollen durch einen aus 60 Mitgliedern bestehenden Rat gewählt werden, in dem Exilpolitiker, die bisher den Syrischen Nationalrat dominiert hatten, sowie Aktivisten aus Syrien und bewaffnete Rebellen vertreten sind, vor allem aber erstmals Mitglieder der Minderheiten. In ein bis zwei Monaten will sich die Regierung in den befreiten Gebieten im Norden Syriens niederlassen. Die neue Koalition werde ihre westlichen und arabischen Verbündeten zudem um humanitäre Hilfen bitten sowie um eine Flugverbotszone im Norden Syriens, hieß es aus Kreisen der Delegierten.

Vertreter aus verschiedenen Reihen

Das Abkommen unterzeichnet haben am Sonntagabend George Sabra für den Syrischen Nationalrat, der damit seinen alleinigen Führungsanspruch aufgibt, und für die neue Koalition Moaz al Khatib. Der war zuvor, ohne Gegenkandidat, zum Vorsitzenden der neuen Koalition gewählt worden. Sein erster Stellvertreter ist Riad Seif, zweite Stellvertreterin die bekannte syrische Aktivistin Suhair Atassi. Die Kurden sollen den dritten Stellvertreter benennen. Zum Generalsekretär wurde der Geschäftsmann Mustafa Sabbagh gewählt.

Khatib kam als Kompromisskandidat an die Spitze der neuen Koalition. Der 1960 in Damaskus geborene Khatib stammt aus einer der angesehensten bürgerlichen Familien der syrischen Hauptstadt, die über viele Jahrhunderte die Prediger der großen Omayyadenmoschee gestellt hat. Moaz al Khatib studierte zunächst Geophysik, wurde danach ebenfalls Prediger an der größten Damaszener Moschee. Dort erwarb er sich den Ruf eines auf Toleranz und Ausgleich bedachten Muslims. Wiederholt war er wegen seiner Kritik am Regime und an Baschar al Assad inhaftiert worden. Während des Aufstands kritisierte er aber auch die syrischen Islamisten, dass sie sich zu stark in den Vordergrund gedrängt hätten. Im Juli 2012 setzte er sich schließlich nach Kairo ab. Khatib gehört der Muslimbruderschaft nicht an.

Eine neue legitimierte Vertretung

Entscheidenden Anteil am Zustandekommen der Einigung von Doha hat Riad Seif. Er gehört zu den wenigen Führern der Opposition, die Vertrauen in Syrien, bei den Exilsyrern und bei der Staatengemeinschaft genießen. Der 66 Jahre alte, krebskranke Seif war unter Hafez al Assad, der von 1970 bis 2000 mit eiserner Faust herrschte, einer der ersten, die grundlegende Reformen und eine Demokratisierung forderten. Mehrere Legislaturperioden war der Unabhängige bei Parlamentswahlen in Damaskus mit der höchsten Stimmenzahl gewählt worden. Noch unter Hafez al Assad hatte der Staat sein Sportbekleidungsunternehmen in den Konkurs getrieben. Über Jahre lud Seif wöchentlich zu politischen Debatten in sein Haus ein, bis er, wie viele andere Oppositionelle, in Assads Kerkern verschwand. Im Juni hat er sich aus Syrien nach Deutschland abgesetzt, wo er bereits früher wiederholt medizinisch behandelt worden war.

Die Einigung erfolgte wieder einmal in Doha, der Hauptstadt von Qatar und zunehmend auch der arabischen Diplomatie. Nach dem Ende der Konferenz der syrischen Opposition laufen in einem Hotel nahezu unbeachtet Gespräche zum Darfur-Konflikt weiter. Die Unterzeichnung im Sonntag ließ Erinnerungen an die Beendigung des Libanon-Kriegs von 2008 hochkommen. Wie damals flankierten in Doha abermals Vertreter von Qatar und der Türkei die Unterzeichnenden. Diesmal hatten die Außenminister Hamad Bin Dschassim Al Thani und Ahmet Davutoglu die zähen Verhandlungen begleitet. Scheich Hamad rief die Welt dazu auf, die neue Koalition als die einzige legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen, Davutoglu ermahnte die „Freunde Syriens“, dieser geeinten Opposition zu helfen. Dazu muss die Einheit der Opposition aber Bestand haben.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/syrien-eine-neue-koalition-gegen-assad-11958470.html