Syrien Ehemaliger UN-Waffeninspekteur Blix geht von Giftgas-Einsatz Assads aus

27.08.2013  – Tagesspiegel – von Albrecht Meier – In der Syrien-Krise scheinen sich die USA auf einen Militärangriff festgelegt zu haben. Aber möglicherweise hat Washington nach dem mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz bei Damaskus dieses Mal bessere Beweise als 2003 vor dem Irakkrieg, sagt der ehemalige UN-Chefwaffeninspekteur Hans Blix im Interview.

Herr Blix, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass in der vergangenen Woche Chemiewaffen durch Soldaten oder Milizen des syrischen Präsidenten Baschar al Assad eingesetzt wurden?

Die Indizien sprechen derzeit eher dafür, dass es einen Chemiewaffeneinsatz gab, hinter dem die Regierung in Damaskus steckt. Man kann zwar nicht ausschließen, dass die Chemiewaffen durch die Rebellen eingesetzt wurden, aber das Ausmaß des Angriffs spricht eher dagegen. In jedem Fall scheinen einige Staaten allerdings vorschnelle Schlüsse ziehen zu wollen, bevor ein Bericht über den Einsatz vorliegt.

Sie sind also dagegen, wenn eine Koalition mehrerer Staaten ohne UN-Mandat demnächst einen Militärschlag gegen Syrien ausführen sollte?

Das wäre problematisch, um es zurückhaltend auszudrücken. Wir müssen den Grundsatz in der Charta der Vereinten Nationen, der Staaten den Einsatz von Gewalt verbietet, stärken – und nicht schwächen. Dagegen vertreten die USA, Großbritannien und Frankreich die Ansicht, dass die großen westlichen Staaten die Verantwortung für den Einsatz einer Art Weltpolizei werden übernehmen müssen, bevor man überhaupt zu einem Urteil gekommen ist. Aber wollen wir überhaupt, dass die großen westlichen Staaten oder die Nato die Rolle des Weltpolizisten spielt? Eine einmütige Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat und eine verstärkte Anstrengung, auf dem Weg über Friedensgespräche zu einer Übergangsregierung zu kommen, wäre besser.

Aber die US-Regierung scheint inzwischen zu einem Militärschlag in Syrien entschlossen – unabhängig vom Ergebnis der Untersuchungen der UN-Inspekteure. Wie deuten Sie das?

Die öffentliche Debatte über einen Militäreinsatz wird insbesondere in den USA vorangetrieben. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich US-Präsident Barack Obama gegen den Vorwurf der Opposition verteidigen muss, er trete in der Syrien-Krise zu zögerlich auf. Gleichzeitig sind Obamas Kritiker nicht sehr erpicht darauf, dass sich der Bürgerkrieg in Syrien zugunsten der islamistischen Rebellen entscheidet. In den USA herrscht Konsens darüber, dass ein islamistisches Regime in Damaskus nicht wünschenswert ist. Aber gleichzeitig haben die Rebellen in Syrien haben ein großes Interesse daran, dass die USA gegen die Regierung in Damaskus einschreitet.

Wie groß ist das Risiko, dass sich ein begrenzter Schlag zur Ahndung des mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatzes zu einem Flächenbrand ausweitet?

Es ist schwer zu sagen, welche Folgen eine Intervention hätte. Ich glaube nicht, dass Russland eingreifen würde.

Wie läuft die Untersuchung der UN-Inspekteure weiter ab, nachdem vor Ort Blut-, Urin- oder Bodenproben genommen worden sind?

Es ist extrem wichtig, dass die Vereinten Nationen mit professionellen kriminaltechnischen Methoden ermitteln. Ich gehe davon aus, dass die entnommenen Proben an eine ganze Reihe von unabhängigen Laboren zur Auswertung geschickt werden.

In wie weit unterscheidet sich die gegenwärtige Mission der Kontrolleure der Vereinten Nationen von Ihrem Einsatz als UN-Chefwaffeninspekteur vor zehn Jahren, als Sie nach Massenvernichtungswaffen im Irak suchten?

Unsere Aufgabe war einfacher, wir waren im Gegensatz zur derzeitigen Untersuchung nicht der Gefahr durch Heckenschützen ausgesetzt. Wir hatten mehr Zeit zur Verfügung, und wir suchten nicht nach Opfern, sondern nach versteckten Lagerstätten für Massenvernichtungswaffen.

Die Massenvernichtungswaffen im Irak wurden nie gefunden, und trotzdem begann der damalige US-Präsident George W. Bush einen Feldzug gegen den Irak, weil er ohnehin einen Regimewechsel in Bagdad wollte. Gibt es eine Parallele zur aktuellen Situation?

Ja – und zwar insofern, als sowohl die USA als auch Saudi-Arabien ein Interesse daran haben, dass Assad verschwindet, weil er den Iran unterstützt. Aber gleichzeitig haben die USA und Saudi-Arabien ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie ein künftiges Regime in Damaskus aussehen sollte. Saudi-Arabien ist massiv in den Bürgerkrieg in Syrien verwickelt – aber Riad geht es dabei nicht um den Schutz von Menschenrechten.

Nach den Angaben von US-Außenminister John Kerry verfügt Washington über zusätzliche Informationen zu dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in der vergangenen Woche. Die Informationen könnten korrekt sein – und doch kommen unliebsame Erinnerungen an den damaligen US-Außenminister Colin Powell auf, der den UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 mit angeblich unumstößlichen Beweisen für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak konfrontierte. Ist nicht jetzt wieder etwas Skepsis angesichts der Ankündigungen aus Washington angebracht?

Im Grunde schon. Schließlich ist das erste Opfer eines Krieges immer die Wahrheit. Gerade deshalb müssen die Vereinten Nationen eine neutrale Untersuchung garantieren. Aber um es noch einmal zu sagen: Mein Eindruck ist, dass immer mehr Indizien dafür sprechen, dass es sich in der vergangenen Woche um einen Einsatz handelte, der von der Regierung in Damaskus ausging. Der natürliche Gang der Dinge wäre, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten und dort den Bericht der Inspekteure gemeinsam mit allen anderen zusätzlichen Informationen vorzulegen. Die USA haben diesmal möglicherweise bessere Beweise als 2003 vor dem Irakkrieg. Es ist grundsätzlich nichts Falsches daran, wenn die USA Indizien sammeln, wie sie es schon eine Weile tun.