Syrien Die Verzweiflung der Revolutionäre / Markus Bickel

23.07.2013 ·  Markus Bickel – Aufständische in Syrien sehen sich in einem Zweifrontenkrieg gegen Regime und Islamisten. Die Hoffnung, Assads Diktatur zu brechen, ist darüber stetig geschwunden. Das Land zerfällt in Einzelteile.

Im dritten Ramadan seit Beginn der Revolution herrscht Verzweiflung. Hofften viele Syrer im Sommer 2011 noch, mit friedlichen Demonstrationen die Diktatur Baschar al Assads zu Fall zu bringen, war der Optimismus der ersten Stunde schon ein Jahr später verflogen. Eine ausländische Militärintervention forderten im August vergangenen Jahres Oppositionelle oder zumindest die Einrichtung einer Flugverbotszone. Im Fastenmonat Ramadan des dritten Jahres seit Beginn des Aufstands glaubt kaum noch jemand an die Versprechen der internationalen Gemeinschaft, den Assad-Gegnern zur Seite zu stehen.

Aber aufhören können die Aufständischen nicht. „Die Menschen haben nur die Wahl, im Widerstand gegen ein faschistisches Regime zu sterben oder von dem gleichen Regime auf die schlimmstmögliche Art und Weise getötet zu werden“, schreibt Yassin al Haj Saleh, ein syrischer Schriftsteller, der Damaskus vor drei Monaten aus Furcht vor Verhaftung verließ, um in den sogenannten „befreiten Gebieten“ im Osten des Landes nahe Deir al Zur weiterzuleben. Von 1980 bis 1996 war er als politischer Gefangener inhaftiert. „Je länger die Syrer im Stich gelassen werden und zu Tode kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass radikale Gruppen erstarken und gemäßigte, vernünftige Stimmen an Kraft verlieren.“

Die Radikalisierung ist schon in vollem Gange, so dass die säkulare Opposition längst an zwei Fronten kämpft: Dschihadisten aus aller Welt bauen in Städten wie Raqqa und Aleppo an ihrem Gottesstaat, während Assads Repressionsapparat weiter foltert und mordet. Wie seit Beginn des Aufstands im März 2011 zählen nicht nur bewaffnete Kämpfer zu den Zielen, sondern ebenso friedliche Demonstranten. Das im Sommer 2012 eingerichtete Antiterrorismusgericht erließ zuletzt Urteile wegen der „Veröffentlichung terroristischer Taten“ – 15 Jahre Haft für bloße verbale Unterstützung der Opposition.

Was wurde aus der „schönsten Revolution der Welt“?

Mehr als hundert syrische Intellektuelle, darunter Saleh, der Philosoph Sadiq al Azam und der Autor Rafik Schami, bekräftigen dieser Tage in einer Erklärung, „dass sie an den Prinzipien der Volksrevolution festhalten, die im März 2011 begann, als da sind: Freiheit, Würde, soziale Gerechtigkeit und nationale Einheit“. Wegen ihres Kampfes für „ein pluralistisches demokratisches System“ unterstützten sie „die revolutionären Kräfte“ und „missbilligen, dass Syrien von den Mühlen der konfessionellen und strategischen Auseinandersetzungen der regionalen Kräfte zerrieben wird“. Das Land könne „nur durch den Sturz des Regimes mit all seinen Stützen aus dieser elenden Lage befreit werden“, heißt es in dem Aufruf.

Was vor zwei Jahren auch in westlichen Hauptstädten noch ein Gemeinplatz war, ist unter dem Eindruck erstarkender islamistischer Milizen in den Hintergrund getreten. Die Vorbereitungen für eine zweite Genfer Friedenskonferenz stocken, weil Assads Soldateska mit Hilfe der libanesischen Hizbullah zuletzt Geländegewinne erzielte. In seinen Verhandlungen mit Sergej Lawrow hat der amerikanische Außenminister John Kerry den Rücktritt Assads nie zur Bedingung gemacht. So rückt das von al Azam, Schami und ihren Mitstreitern erklärte Ziel, die „Macht unter der Aufsicht der Vereinten Nationen an eine Übergangsregierung“ zu übertragen, weiter aus dem Blickfeld.

Dem Regime sei es gelungen, „die Richtung der Revolution zu verändern und sie mehr und mehr in die Militarisierung zu drängen“, konstatiert auch Taha Khalil, ein Schriftsteller aus dem syrisch-kurdischen Qamischli. Aus der „schönsten Revolution der Welt“, voller Humor und Poesie, sei ein sunnitisch-alawitischer Konfessionskrieg geworden, den die Opposition nie gewollt habe. „Plötzlich schienen wir uns zwischen zwei Armeen entscheiden und auf eine der beiden Seiten schlagen zu müssen.“

Es droht ein Krieg im Krieg

Es sind indes nicht nur zwei, sondern Dutzende Milizen, die inzwischen die Macht ausüben. Das Land zerfällt, auch in den von den Aufständischen gehaltenen Gebieten. Die Nachricht, ein Kommandeur der Freien Syrischen Armee (FSA) sei in Latakia von Kämpfern der Gruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante erschossen worden, war Anfang Juli nur ein Höhepunkt einer Entwicklung, die den Konflikt seit Wochen prägt: Ein Krieg im Krieg droht zwischen der FSA und islamistischen Milizen. Zwischen Arabern und Kurden findet dieser Krieg bereits statt. Erst vergangene Woche lieferten sich Mitglieder der „Volksverteidigungseinheiten“ YPG, des bewaffneten Arms des syrischen PKK-Ablegers PYD, Kämpfe mit Einheiten der islamistischen Al-Nusra-Front. Je länger der Krieg dauert, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Konflikte innerhalb der Opposition ausweiten. „Die jetzige Situation ist eine direkte Folge der fehlenden Bereitschaft der großen Mächte, die syrischen Revolutionäre zu unterstützen“, schreibt der Schriftsteller Saleh.

Der Glaube der sogenannten Freunde Syriens, den Aufständischen werde es im Laufe der Zeit gelingen, das Regime zu zermürben, hat sich zerschlagen. Ebenso falsch sei die Vorstellung, dass es Assad eines Tages gelingen könnte, das ganze Land wieder unter seine Kontrolle zu bringen, schreibt die Denkfabrik International Crisis Group in einem gerade erschienenen Bericht. „Das ist eine naive, gefährliche und sehr teure Illusion.“

Auch Saleh wendet sich dagegen, ein Gleichheitszeichen zwischen „zwei ebenbürtige Übel“ zu setzen: Dabei handele es „sich um ein faschistisches Regime auf der einen Seite, das bereits mehr als 100.000 seiner eigenen Leute getötet hat, und einen vielfältigen Strauß an Revolutionären, von denen einige radikalisiert wurden, weil sie der Dauer des Konflikts nicht standhalten konnten und der Widerstand der syrischen Gesellschaft gegenüber dem Regime schwächelte“. Zu dessen Sturz, wie ihn die Oppositionellen seit 2011 fordern, gibt es für ihn weiter keine Alternative. „Assad abzusetzen“ werde eine „moderatere Dynamik in der syrischen Gesellschaft in Gang setzen und wird den Syrern erlauben, sich den Radikalen unter ihnen entgegenzusetzen“, ist er sich sicher.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/syrien-die-verzweiflung-der-revolutionaere-12292505.html