Sipan Hemo (YPG): Unterstützung der Nordkurden für Rojava war unzureichend

25.9.2013 – RADIKAL / KURDMANIA. –  Die militärische Führungskraft der YPG, Sipan Hemo, hat für Radikal Mutlu Çiviroglus Fragen beantwortet. Während Hemo seine Behauptung, die Türkei würde die radikal-islamischen Gruppen, welche die YPG bekämpft, weiterhin unterstützen, wiederholt, beteuert er gleichzeitig, sie würden keine befriedigende Unterstützung von Kurden aus der Türkei erhalten.

Zuletzt haben wir Ende Juli ein Interview mit Ihnen geführt. Welche Veränderungen gab es seit diesem Tag? Wie sieht die Lage für die Kurden aus?

Sie wissen, das Kriegskonzept gegen die Kurden in Rojava hat seit Längerem begonnen. Seit 64 Tagen führen die Dschabhat al-Nusra, Vereinigung Islamischer Staat Irak & Levante (ISIS) und Ahrar al-Sham gewaltsame Angriffe auf die von Kurden bewohnten Regionen aus. Erbitterte Kämpfe gab es hauptsächlich in Dêrika Hemko, Girê Spî‎, Serêkanîyê, Tel Hasıl und Tel Aran. Es gab grosse Auseinandersetzungen, dabei waren die Kurden im Grossen und Ganzen erfolgreich. Und die Kräfte setzen ihren Widerstand fort. Jedoch wollen diese Gruppen ihren Kampf auch auf andere Weise ausführen. Insbesondere kurdische Gebiete werden mit Selbstmordanschlägen bedroht. Bis jetzt wurden gar 18 Selbstmordanschlagversuche unternommen. Selbstmordattentäter haben versucht, über die kurdischen Grenzübergänge mit Bomben beladene Fahrzeuge einzuschleusen, sie wurden aber an YPG-Kontrollpunkten enttarnt.

Die Kurden haben zu keinem Zeitpunkt dem Krieg den Vorrang gegeben, doch die verwirklichten Übergriffe haben die Kurden zum Kampf gezwungen. Wir haben gegenüber keiner Partei eine Feindseligkeit gehegt oder uns zu einer Seite bekennt. Mit diesen Übergriffen will man die Errungenschaften der Kurden zerstören.

Was denken Sie, werden die Angriffe fortgeführt oder nicht?

In einigen Gebieten will man die Kämpfe einstellen. Aber Gruppen wie die ISIS scheinen auf die Fortführung der Angriffe zu bestehen. Egal wie stark sie auf ihr Vorhaben beharren, wir werden sie nicht nach Kurdistan einlassen, sie werden ihr Ziel nicht erreichen können. Im Gegenteil, sollten sie weiterhin auf diese Angriffe bestehen, werden sie zu Schaden kommen.

In diversen Medien wurde berichtet, die YPG hätte grosse Verluste zu verzeichnen. Auch der Journalist Hüsnü Mahalli hat über sein Twitterkonto berichtet, dass ihr in Heleb zahlreiche Verluste hattet. Stimmt diese Information?

Auf keinen Fall stimmt sie. In Heleb haben wir insgesamt 7 Verluste, davon 4 YPG-Kämpfer und drei zivile Opfer, zu verzeichnen. Aber die Gegenseite hat Dutzende Tote zu beklagen. Zudem haben sich die Streitkräfte heute aus Heleb zurückgezogen, aktuell finden dort also keine Kämpfe statt.

Sind die kurdischen Viertel (in Heleb) immer noch unter Ihrer Kontrolle?

Ja. Alle kurdischen Viertel befinden unter unserer Kontrolle.

Manche Kreise behaupten, das Volk unterstützt sie nicht mehr wie früher und es hat aufgrund der aktuellen Lage sein Heim und Obdach verlassen, um in die Autonome Region Kurdistan zu flüchten. Wie sieht die Situation aus, wird die Wahrheit gesagt?

Wie sie wissen, hat sich der Krieg in Syrien sehr in die Länge gezogen. Die Menschen leiden darunter. Es herrscht eine Wirtschaftskrise, der Mangel an Gesundheitsversorgung und Behandlungsmöglichkeiten ist sehr gross. Aus diesem Grund sind die Leute gezwungen sich anderen Optionen hinzuwenden. Einige flüchten nach Südkurdistan, andere wiederum nach Nordkurdistan. Die Suche (nach einem Ausweg) dauert an. Wir können die Leute nicht aufhalten und sagen, sie sollen bleiben. Beispielsweise haben wir in (Rojava-)Kurdistan keine Impfungen für Kinder, besser gesagt keine mehr. Die Menschen kommen und sagen „Wenn ich mein Kind nicht impfe, wird es krank.“ Wenn sie diesem Bedürfnis nicht Genüge leisten können, können sie darauf auch keine Antwort liefern, es bleibt nichts zu sagen. Einige gehen auch, um ihren Geschäften nachzugehen. Trotzdem halten sich 80% des Volkes von (Rojava-)Kurdistan immer noch auf ihrem eigenen Boden. Wenn diese Orte hier tatsächlich verlassen werden, wie es manche behaupten, gäbe es die YPG nicht mehr. Denn die benannte YPG ist das Volk und dessen Kinder selber.

Im zuletzt geführten Interview mit Ihnen, haben sie sehr positive Aussagen über die Türkei gemacht. Sie sagten, sie seien keine Feinde der Türkei. Im Gegenteil, sie wollen gute Beziehungen zur Türkei aufbauen. Sehen Sie eine Verbesserung in der Haltung der Türkei seit dieser Zeit?

Leider ist die Haltung der türkischen Funktionsträger in dieser Hinsicht sehr negativ. Vielleicht denkt man sich, die jetzige Haltung dient den eigenen Interessen. Ihre aktuelle Einstellung wird aber später in sehr abschlägigen Ergebnissen resultieren. Viele Dinge sehen wir mit den eigenen Augen. Die Mitglieder radikaler Gruppen kommen über die Türkei. Sprich, selbst wenn sie vom Ausland kommen, kommen sie zunächst in die Türkei und werden so in das Land eingeschleust. Wir haben Kenntnis davon, dass diese radikalen Kräfte mit Munition aus der Türkei versorgt wurden, als in Kobane der Kampf ausbrach.

Türkei weist, solche von Ihnen vorgebrachten Behauptungen zurück…

Wenn die USA will, kann sie ihre Beobachter schicken und vor Ort unsere aufgestellten Behauptungen bestätigen. Scharenweise radikale Gruppen begeben sich über die Türkei in den Nahen Osten. Wie Sie auch wissen, wenn die beiden Mächte (USA und die Türkei) es nicht wollen, kann nicht einmal ein Vogel über die Grenze fliegen. Aber Gruppen von 400 bis 500 Personen kommen problemlos auf diese Seite der Grenze. Von dutzenden Grenzüberschreitungen radikaler Aktivisten bis hin über Behandlung der verletzten (islamischen) Militanten in türkischen Krankenhäusern wissen wir alles, sehen alles.

 

Denken Sie, Sie erhalten die notwendige Unterstützung von Kurden aus der Türkei?

Die Nordkurden haben versucht, Rojava mittels humanitärer Hilfe zu unterstützen. Sie haben also mit Nahrungsmitteln und Medikamenten karitative Hilfe geleistet. Diese Unterstützung ging aber nicht über humanitäre Hilfeleistung hinaus. Hinsichtlich politischen und kämpferischen Beistands waren sie unzureichend. Humanitäre Hilfe können sie für jedermann leisten, aber den eigenen Geschwistern muss man mit Leib und Seele beistehen. Sie sollten also in jeder Hinsicht ihren Beitrag leisten und ihre Unterstützung anbieten können.

In letzter Zeit wird in den US-Medien häufig über die Existenz der Al Kaida in Syrien berichtet. Zuletzt hat der seit Kurzem in den Ruhestand getretene ehemalige Beigeordnete des Stellvertretenden Direktors der CIA Mike Morell die Al Kaida in Syrien als die grösste Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas bezeichnet. Was meinen Sie dazu?

Wenn wir diesbezüglich die Situation der Vereinigten Staaten vor unseren Augen führen, sehen wir, dass sie für diese Geschehnisse verantwortlich ist. Sie ist sich dessen auch bewusst. Amerika kämpft seit vielen Jahren gegen diese Kräfte, aber wir haben innerhalb solch kurzer Zeit um einiges mehr Erfolge zu verzeichnen als die USA in ihrem jahrelang geführten Kampf gegen die Al Kaida. Natürlich kämpfen wir nicht im Sinne Amerikas gegen diese Kräfte. Diesen Kampf führen wir für uns und für die Menschheit, denn wir sehen in diejenigen, die gegen Humanität und Aufklärung sind eine grosse Gefahr. Die USA hat die Pflicht, gegen diese Kräfte vorzugehen und ihre Verantwortung wahrnehmen. Auch das amerikanische Volk steht den gleichen Gefahren, welcher wir ausgesetzt sind, gegenüber. Das Herz der Amerikaner muss für die Kurden schlagen. Sie wissen, die Anschläge vom 11. September wurden auf das amerikanische Volk verübt. Einen ähnlichen Anlauf wollte man gegen uns nehmen. Ob die Zwillingstürme oder die Angriffe in Serêkanîye, es spielt gar keine Rolle. In beiden Fällen wollte die Al Kaida der Welt die gleiche gefährliche Botschaft mitteilen. Ob Amerika oder Kurdistan, es spielt gar keine Rolle, es handelt sich um gefährliche Kräfte, die den Menschen feindlich sind. Aus diesem Grund erwarten wir vom amerikanischen Volk und der amerikanischen Regierung, dass sie uns unterstützen.

Notiz:     Das Interview von Mutlu Çiviroğlu mit Sipan Hemo, erschienen am 20. September 2013 in radikal.com.tr unter dem Titel „YPG Genel Komutanı Sipan Hemo: Kuzey Kürtleri Rojava’ya destekte yetersiz kaldı“, wurde von Zöhra Kul übersetzt und von der KM-Redaktion redigiert.