Russlands Syrien-Initiative: Assads unüberschaubares Arsenal

Von Raniah Salloum, Beirut – AFP – SPIEGEL ONLINE – 10.9.2013

Moskau will Syriens Chemiewaffen unter internationale Kontrolle bringen. Damaskus zeigt sich für den Vorschlag offen. Denn Baschar al-Assad kann so einen US-Schlag vorerst abwenden und Zeit für sein Regime gewinnen.

Damaskus hat sich ein paar Hintertürchen offen gelassen, als am Montag Syriens Außenminister Walid al-Muallim erklärte: “Die Syrische Arabische Republik begrüßt die russische Initiative.” Gemeint war der Vorschlag des russischen Außenministers Sergej Lawrow, Syrien solle seine Chemiewaffen internationalen Kontrolleuren übergeben, die sie dann vernichten würden. Allerdings nur, wenn Washington im Gegenzug von Militärschlägen gegen Baschar al-Assads Militär Abstand nehmen würde. Muallim versicherte, man stehe für “eine vollständige Zusammenarbeit mit Russland” bereit.

Muallims Formulierungen mahnen zur Vorsicht. Dass Damaskus die Idee begrüßt, heißt noch nicht gleich, dass man dem Plan tatsächlich zustimmt. Dass das syrische Regime bereit ist, mit seinem Verbündeten Russland zu kooperieren, kommt noch keiner Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft gleich, wie von Lawrow gefordert. Wer die “internationale Aufsicht” sein könnte, bleibt unklar, wie so vieles an Lawrows Vorschlag – allem voran der Zeitplan.

Tatsächlich hätte Assad Interesse daran, auf den Vorschlag der Russen einzugehen. Es ist eine diplomatische Idee, wie sie bereits seit Ende August von dem israelischen und mehreren westlichen Außenministerien verfolgt wird, berichtete die israelische Zeitung “Haaretz”. Die Wahrscheinlichkeit, dass Syrien tatsächlich seine Chemiewaffen aufgibt, schätzten die Diplomaten allerdings als sehr gering ein.

Dem Überleben des Regimes ordnet Assad alles unter

Doch um diese Frage geht es erst einmal nicht für Assad. Er kann bereits als Erfolg für sich verbuchen, dass der Plan überhaupt ernsthaft diskutiert wird. Das syrische Regime hat mehrere Gründe, sich für die Vorschläge des russischen Außenministers offen zu zeigen – und auch US-Präsident Barack Obama scheint der Plan gelegen zu kommen.

Das syrische Regime sieht sich durch einen US-Angriff ernsthaft bedroht. Assad muss alles daran setzen, diesen abzuwenden. Das Überleben seines Regimes hat für ihn oberste Priorität, der er alles andere unterordnet. Dies hat er im vergangenen Jahrzehnt mehrfach bewiesen, besonders eindrücklich 2011 und 2012. Lieber ließ Assad die wichtige Industriestadt Homs in Trümmer legen und weite Teile Syriens verwüsten, als auf Forderungen einzugehen, die das Ende seiner Herrschaft hätten einläuten könnten. Mit Gesprächen über seine Chemiewaffen kann Assad einen US-Schlag weiter verzögern, möglicherweise sogar ganz abwenden.Stimmt Assad dem Vorschlag Russlands zu, käme dies einer Garantie dafür gleich, dass er über die nächsten Jahre hinweg offizieller Vertreter Syriens bleibt. Er wäre der Ansprechpartner der internationalen Gemeinschaft, schließlich sind die Chemiewaffendepots weiterhin unter Kontrolle seines Clans. Mit Washingtons Forderungen, Assad möge zur Seite treten, wäre es damit erst einmal vorbei.

Obwohl das syrische Regime seine Zustimmung zum russischen Vorschlag zeigt, bleibt überaus fraglich, ob es darüber hinaus auch an einer tatsächlichen Umsetzung des Plans interessiert sein könnte.

Die Zusammenarbeit zwischen Damaskus und der Uno ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Das syrische Regime verzögerte über ein halbes Jahr die Einreise von Uno-Chemiewaffeninspektoren – lange vor dem Angriff vom 21. August. Dabei sollten die Kontrolleure lediglich feststellen, ob Chemiewaffen in Syrien eingesetzt wurden, nicht von wem, was für Damaskus wohl sehr peinlich würde. Die Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay fordert seit zwei Jahren das syrische Regime auf, sie und ihr Team einreisen zu lassen – ohne Erfolg.

Für Assad haben die Chemiewaffen eine wichtige Abschreckfunktion. Sie sind seine Versicherung, dass jeder Gegner zweimal darüber nachdenkt, sich mit ihm anzulegen.

Gäbe Assad nun einfach so nach, käme das in den Augen seiner Anhänger daher einer großen Blamage gleich. Damaskus inszeniert sich gern als Teil des Widerstandes gegen Israel. Zur Rhetorik gehörte es daher bislang auch, dass das syrische Regime seine Chemiewaffen erst dann aufgeben würde, wenn Israel seine mutmaßlichen Atomwaffen vernichtete.

Eine der größten Hürde dürfte jedoch die praktische Umsetzbarkeit sein.

Still und heimlich hat Syrien sein Chemiewaffenarsenal aufgebaut. Nun fordert man von dem geheimniskrämerischen Regime eine vollständige Offenlegung. Wie könnte man sicher sein, dass Damaskus tatsächlich alle Depots benennt? Die Chemiewaffendepots sind an vielen Orten des Landes versteckt, nicht alle dürften dem Westen bekannt sein. Wie solche Diskussionen verlaufen können, ist aus den endlosen Atomverhandlungen mit Iran bekannt oder dem über ein Jahrzehnt andauernden Streit über die Chemiewaffen Saddam Husseins.

Syrien beginnt nun wirklich dem Irak zu ähneln, allerdings nicht dem von 2003, sondern eher der Lage von 1991. Damals erschütterten Aufstände das Land. Washington hoffte auf einen Putsch, schaute dann aber lieber zu, wie Saddam seine Gegner umbrachte. Die Uno kam ins Land und vernichtete die Chemiewaffen. Doch weil der Irak mal mehr, mal weniger mit der Uno kooperierte, war man sich nie wirklich sicher, ob denn nun wirklich alle Depots zerstört worden waren oder nicht. Es folgten harte internationale Sanktionen, die vor allem Iraks Bevölkerung trafen, 1998 eine US-Bombenkampagne und 2003 ein US-Einmarsch des damaligen Präsidenten George W. Bush, der mit Lügen gerechtfertigt wurde, und nicht mehr wirklich etwas mit Massenvernichtungswaffen zu tun hatte.

In Syrien tobt ein brutaler Krieg. Die Aussichten sind schlecht, dass er in den nächsten Jahren beendet sein könnte. Dass die Sicherheitslage in Syrien die Arbeit von internationalen Kontrolleuren erlauben würde, ist mehr als fraglich.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-baschar-al-assad-geht-auf-vorstoss-zur-chemiewaffen-abgabe-ein-a-921368.html