PrEcht ! – STAATSFERNSEHEN ALS VOLKSEMPFÄNGER AB 1. JANUAR 2012

Das sogenannte ICH (II)

Von Adorno sollten wir lernen, daß das

„Kriterium des Wahren …. Nicht seine unmittelbare Kommunizierbarkeit an jedermann“ (Negative Dialektik) sei.

Mehr noch:

„Wahr“ schienen ihm nur die Gedanken zu sein, „die sich selber nicht verstehen“, weswegen gegen den herrschenden Ungeist des Zeitalters der Vorwurf ergeht,

„kein Gedanke ist immun gegen seine Kommunikation“ (Minima moralia).

PReCHT !

Der öffentlich-rechtliche Sender, der nun schon seit Jahren seinen Vorteil darin sieht, mit einer Behinderungsgeste für die Qualität seines Programms zu werben, hat in diesem Sommer den Altherrenverein seines »Philosophischen Quartetts« verabschiedet und einen neuen Cicerone engagiert. Echt oder fake?

Die Frage zu beantworten, macht sich bereits der Titel der Sendung anheischig – mit den Mitteln rhetorischer Typographie: »PrEcht« heißt sie, und das »E« ist hochbedeutsam auf die schiefe Bahn gebracht. Der Name der Sendung ist nach den Bestsellererfolgen des Autors Richard David Precht  ebenso werbewirksam wie in sachlicher Hinsicht geschickt, denn von Philosophie ist damit explizit nicht die Rede, sodass die Protagonisten mit dem allgemeinen zeitgeistigen Programm des philosophiefernen Sprechens über alle möglichen Problemehier allemal auf der sicheren Seite sind.

Nun kommt das postmodernistische Mätzchen mit der Binnenschrägstellung des Buchstabens E ziemlich verspätet – hat aber den Vorteil, dass wir deutlich merken: Auch hier wird der Vulgärkult der Authentizität gefeiert.

In der ersten Sendung am 3. September 2012 ging es um ein von alters her, seit Platon, nobilitiertes Thema der Philosophie. Precht hatte sich den Neurophysiologen und Pädagogen Gerald Hüther eingeladen, und die beiden Herren zelebrierten unter dem Titel »Macht Schule dumm?« ihre Einhelligkeit in der Forderung, das gegenwärtige Bildungssystem zu revolutionieren. Die gut begründbare Kritik am Cartesischen Dualismus nahm hier hypertrophe Formen an: Folgt man den Statements der beiden Gesprächspartner, so käme es nämlich beim Prozess des Lernens, den die Schule zu vermitteln habe, allein auf die Förderung der Leidenschaften, der Empathiefähigkeit, der Sensibilität in der Wahrnehmung des eigenen Körpers an.

Die armen Kinder werden so im Eifer der utopischen Spiegelfechterei glatt mit dem Bade ausgeschüttet. Denn dass es beim Lernen und bei der Bildung immer auch (!) um Kenntnisse geht, um objektivierbares Wissen, das kam in diesem Gespräch nicht mehr vor – außer in der satirisch-kritischen Verzerrung, dass die Schüler nur für Klausuren lernten, ein Zustand, den es natürlich abzuschaffen gelte. Ebenso wurde der jedem Wissenden und Gebildeten naheliegende Hinweis vergessen, durch den mancher partikulare Inhalt des Curriculums denn doch in einem ganz anderen Licht erscheint: dass es beim Lernen niemals positivistisch bloß um den jeweils behandelten einzelnen Gegenstand geht, sondern dieser vielmehr die exemplarische Gelegenheit zur Aneignung der Methode des Lernens bildet.

Wenn eine Person eine andere loben will, indem sie sagt: Er ist so klug. Und er ist auch so schön – dem aber hinzufügt: Aber im Grunde sind alle klugen Menschen schön, dann sabotiert sie, auch für wenig geübte Denker deutlich erkennbar, die Geltung der einen ihrer Aussagen durch die andere. Es mangelt an Logik. Sie weiß nicht, was sie da sagt.

Im Grunde war es das gleiche Bild, das leider auch die beiden einträchtigen Herren 45 Minuten lang boten. Jedes Kind ist hochbegabt, propagiert Hüther und verbindet damit die Forderung nach einer Pädagogik, die sich auf die individuelle Hochbegabung jedes Einzelnen einzustellen bereit ist. Nun haben political correctness und Diplomatie die pragmatische Gemeinsamkeit, höchst effiziente Mittel der Pädagogik zu sein.

Günstigen Falles zeitigen sie schöne Erfolge von mittlerer Reichweite in der »Menschenführung«, und sofern sie es tun, erübrigt sich die Wahrheitsfrage, weil die Dynamik der self-fulfilling prophecy für die Realität des Behaupteten sorgt.

Aber wie weit kann man es damit bringen? Natürlich bürgt nicht schon die bloße Behauptung aus dem Repertoire eines so edlen wie schlauen Wunschdenkens, alle Kinder seien hochbegabt, auch verlässlich für ihre Entsprechung in der Wirklichkeit. Man muss, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt zu prüfen, vielmehr das praktische Engagement gleich mit einbeziehen, das der Sprecher in seiner Eigenschaft als Akteur seiner Theorie im Bereich ihrer Praxis zu treiben bereit ist.

Was ist da von den Protagonisten unseres »PrEcht«- Gesprächs zu erwarten? Wie vernünftig, wie klug, wie erfolgreich werden wohl die pädagogischen Konzepte und Strategien zur Förderung von Hochbegabung sein, wenn sie von zwei gebildeten Herren kommen, die ziemlich lange ruhig und konzentriert zusammensitzen, einer von ihnen sogar in anhaltend unveränderter Beinhaltung, und ihre Motorik allein als Mimik performieren, während sie einander ihre Gedanken mitteilen, die sie auf keine andere Weise erwerben konnten als durch die kultivierte Fähigkeit, lange stillzusitzen, und die nun auf diesem belastbaren Sockel mit revolutionärem Pathos anprangern, wie falsch es sei, dass die Kinder in den Schulen vor allem darauf trainiert würden, stillzusitzen?

Der Lapsus fällt unter die Kategorie des performativen Selbstwiderspruchs:

Mit dem, was man durch sein Tun bekundet, straft man Lügen, was man in seinen Aussagen behauptet. Im Aufweis dieser Fehlleistung liegt so ziemlich der schlimmste Vorwurf, den man sich einhandeln kann, besagt er doch, dass man unreflektiert mit den Voraussetzungen der eigenen Position umgeht, den philosophischen Charakter des Nachdenkens also in seiner grundlegenden Dimension verfehlt. Der Kritiker Maximilian Probst hat Precht noch einen anderen performativen Selbstwiderspruch vorgerechnet: Er propagiere Selbständigkeit und Kreativität und widerspreche der damit eingenommenen Position, indem er während der ganzen Dauer des Gesprächs keinen einzigen selbständigen Gedanken geäußert, sondern ohne jede Spur von Zweifel oder Frage nur vorgefertigte Weisheiten reproduziert habe.

Auch dieser Vorwurf ergeht zu Recht.

Nicht allein der performative Selbstwiderspruch, überhaupt die Inkonsistenzim Denken scheint das große Problem von Richard David Precht zu sein. Denn was auch soll man davon halten, dass er seinem Gesprächspartner, der eine Utopie des Lernens und der Schule zu entwickeln beansprucht, die Frage stellt, wie er mit dem Problem umgehen wolle, dass es dann demnächst achtzig Prozent Abiturienten gäbe?

Man traut seinen Ohren nicht. Was sollte denn im freilich nur grosso modo, dafür aber umso radikaler formulierten Ideal der ganz auf Leidenschaft gestellten Bildung eine konventionelle, dem kritisierten Ausbildungssystem verhaftete Marke wie »Abitur« noch zu suchen haben? Hier zeigt sich die Grenze des philosophischen Profils. Precht fragte zwar mit einer sachgesättigten theoretischen Neugier den Gesprächspartner nach einem konkreten und möglichst in einzelnen Schritten der Realisierung spezifizierten Szenario der Veränderung unseres Schulsystems (und bekam darauf keine Antwort), doch für die Konsequenz aus der radikalen Kritik reichte es nicht. Von den drei großen K des am Sokratischen Leitideal orientierten Gesprächs – Klarheit, korresponsive Zuwendung, Konsistenz – konnte man ihm deshalb nach dem ersten Gastgespräch das letztere nur absprechen.

Für die Dramaturgie dieses Abends hat der unter hohen Erwartungen angetretene Vermittler in der gesamtenMedienszene heftige Kritik einstecken müssen. Mit Philosophie habe das allein schon deshalb nichts zu tun gehabt, weil keine diskursive Auseinandersetzung stattgefunden habe, keine Kontroverse, sondern man sich in komfortabler Harmonie gegenseitig in die Tasche geplaudert habe. Doch er kann auch anders, wie das zweite Gespräch am 4. Oktober 2012 zeigte. In seiner ersten Sendung war Precht noch ganz freundlich, zugewandt, offen für seinen Gesprächspartner, und der Zuschauer konnte noch prägnant den angenehmen Kontrast zu den zahlreichen Talkshows empfinden, die ihre Gäste vor allem an die Unkultur des rücksichtslosen Kampfes um Sendeminuten konditionieren; doch der Mann, dem man als Pluspunkt gern zugute halten wollte, dass er es nicht nötig hat, verstohlen Karteikarten zu schieben, um das Gespräch voranzubringen, und der sich überdies auf den kommunikativen acte gratuit des Lächelns versteht wie sonst fast nur Frauen, war im Gespräch mit seinem zweiten Gast wie ausgewechselt. Damit hing es wohl auch zusammen, dass die Lampen über dem kahlen Tisch, die in der ersten Sendung noch ambivalent an OP-Leuchten erinnern konnten, in der unguten Performance der zweiten auf das Unangenehmste an Verhörlampen erinnerten.

Was war anders? Precht hatte sich einen Gast eingeladen, dessen Auffassungen er nicht teilte: den Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG und Autor eines klugen Buches.

Döpfner erörtert darin das Problem, dass die Selbstverständlichkeit, mit der wir an die Garantie der Freiheitsrechte gewöhnt sind, uns bequem, permissiv und feige zu machen droht, wo diese durch antiliberale Ideologien und Machtansprüche bedroht sind. Daher der Titel der Sendung »Gefährliche Freiheit?«.

Unser Vermittler war nicht bereit, in seinem Gast einen Autor auf gleicher Augenhöhe anzuerkennen, er behandelte ihn einzig und allein als einen Protagonisten des Großkapitals. Das war deutlich daran zu merken, dass hier mit einem Mal jedes Mittel recht schien: Unterbrechen; ins Wort Fallen, wenn der Gesprächspartner sich gerade anschickt, die Frage, die man ihm gestellt hat, auch zu beantworten; und vor allem: diejenige Entsublimierung, die darin besteht, die krudesten Dogmen marxistischer Gesellschaftskritik wiederaufzutischen, die wir seit den sechziger Jahren kennen.

Gegenüber dem Großmanager musste offenbar Flagge gezeigt werden, und so kam es denn, dass der Gastgeber in seiner sehr schmalspurigen Erörterung der Freiheitsproblematik geradezu akrobatisch die Gesprächsperspektiven wechselte, wie es ihm passte, und von einemnachsichtig überlegenen Gesprächspartner gleich zweimal daran erinnert werden musste, dass Gleichheit nicht mit Gerechtigkeit zusammenfällt. Isolde Charim hat in ihrem taz-Artikel vom 2. September 2012 zur Vorbereitung auf seine erste Sendung einen Vorteil darin gesehen, dass nun Precht der »Übersetzer« den »Meisterdenker« des »Philosophischen Quartetts« ablösen werde; allein – was ist es eigentlich, das er auf solche Weise »übersetzt«?

Die eigene Ankündigung umzusetzen, das reale Problem, über das man diskutierte – Freiheit in der Marktwirtschaft und Chancengleichheit –, einmal »philosophisch aufzulösen«, war Precht jedenfalls im Eifer des Gefechts nicht fähig. Sie blieb im folgenlosen name dropping (Kant und Isaiah Berlin) stecken.

Und auch hier wieder die verräterische Neigung zur Inkonsistenz: Wenn der arrivierte Medienstar an die Adresse der Politiker den Vorwurf richtet, wer sein Gesicht in jede Kamera halte, der könne gar nicht mehr authentisch sein – merkt er dann wirklich nicht, dass er sich selbst das Urteil spricht?

Die Maske war gefallen, in hartem Stakkato, mit unfreundlicher Miene und vor allem: nicht willens, den Anderen zu Wort kommen zu lassen, geschweige denn, sich auf seine Überlegungen einzulassen, konfrontierte der echte Precht seinen Gast mit der geistlosen Fratze des pseudopolitischen Dogmatismus, indem er sich als Vertreter dessen präsentierte, was man landläufig als dialektischen Materialismus kennt. Der dümmste Satz, den Karl Marx jemals in die Welt gesetzt hat, wurde hier als sein klügster propagiert: »Das Sein bestimmt das Bewusstsein.« Tatsächlich lautet der Satz:

»Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.«

Generationen von wohlwollenden Hermeneutikern unter den Marxisten haben sich abgemüht, diesem Satz seine geistlose Spitze zu brechen, indem sie ihn zu kontextualisieren suchten. Keine Spur davon bei Precht, dem es auch nicht in den Sinn zu kommen scheint, dass er seine eigenen Bemühungen im Namen der Philosophie damit ad absurdum führt. Hielten wir den Satz für wahr, dann hätten wir jetzt des Rätsels Lösung für die Neigung zur Inkonsistenz, die an diesem Vermittler so unangenehm auffällt: Es wäre das Sein, das sein Bewusstsein bestimmt. Si tacuisses, philosophus mansisses – oder: Danke schön, Herr Döpfner!

Von Birgit Recki, Auszug aus: Merkur: 763, 2012.