Niemand glaubt an Frieden – In der Schweiz soll über den Syrien-Konflikt verhandelt werden. Doch eine Lösung ist weiterhin nicht in Sicht.
von Thomas von der Osten-Sacken – 23-1-2014 – Wenige Tage vor dem Beginn der sogenannten Genf-II-Friedensverhandlungen sagte Ali Haidar, syrischer Minister für Versöhnung: »Erwarten sie nichts von Genf II. Weder Genf II noch Genf III noch Genf X werden die Krise in Syrien lösen.« Die Lösung, fuhr er fort, werde durch den »militärischen Triumph des Staates« erreicht.
Damit hat Haidar der offiziellen Position der syrischen Regierung Ausdruck verliehen. Er plane keineswegs zurückzutreten oder zu kapitulieren, gab Präsident Bashar al-Assad bekannt und die staatliche Syria Times bekräftigte: Das »noble und humanitäre Ziel« der Verhandlungen müsse darin bestehen, den Terrorismus und seine Sponsoren zu bekämpfen und zu vernichten.
Im offiziellen Sprachgebrauch des syrischen Staates gilt als Terrorist jeder, der mit der Waffe in der Hand gegen das Assad-Regime kämpft. Zu Recht also könnte man sich fragen, was es in Montreux, wo die Verhandlungen nun stattfinden sollen, eigentlich zu verhandeln gibt. Das Regime besteht auf seiner Legitimität und der Notwendigkeit, in Syrien den Terrorismus zu bekämpfen; die Opposition, so desorganisiert sie auch sein mag, insistiert auf dem sofortigen Rücktritt Assads sowie der Schaffung einer repräsentativen Übergangsregierung. Seit den ersten Genfer Verhandlungen 2012 hat sich also nichts Grundsätzliches verändert, außer dass weitere Zehntausende Menschen umkamen, Millionen mehr auf der Flucht sind, die Infrastruktur des Landes weitgehend zerstört wurde und Tausende zusätzliche ausländische Islamisten, ob von al-Qaida oder der Hizbollah, ins Land geströmt sind.
Die Konfliktparteien sind auch bislang keineswegs so entkräftet, bankrott und kriegsmüde, dass Verhandlungen sich als Alternative zum weiteren Blutvergießen anbieten. Sehr ungleich stellt sich zudem die Repräsentation beider Seiten dar, verfügt doch das syrische Regime über enge Alliierte, Russland, den Iran und die Hizbollah, die in der Vergangenheit in Wort und Tat ihre Bereitschaft bewiesen haben, mit immer mehr Waffen, Geld und Kämpfern Assad zur Seite zu stehen. Trifft also das Regime geschlossen und mit einem klaren Programm in Montreux ein, so war sich der größte syrische Oppositionsblock bis wenige Tage vor Beginn der Verhandlungen nicht einmal einig, ob er überhaupt mit Vertretern der syrischen Diktatur an einem Tisch sitzen will. Nur unter beträchtlichem Druck der USA, Großbritanniens und der Türkei, die offenbar sogar mit der Aufkündigung ihrer Hilfe drohten, votierte dann die exilierte »Syrian National Coalition« am Samstag bei vielen Enthaltungen für eine Teilnahme an den Gesprächen. Wichtige bewaffnete Rebellengruppen hingegen, wie die von Saudi-Arabien unterstützte »Islamic Front«, aber auch der in Syrien ansässige »National Coordinating Body for Democratic Change« erklärten, sie würden das Treffen boykottieren.
Die kurdischen Organisationen konnten sich ebenfalls weder einigen, ob sie eine gemeinsame Delegation entsenden, noch, wie diese zusammengesetzt sein soll. Gegen eine Teilnahme der PYD, des syrischen Ablegers der PKK, sprachen sich zudem die USA aus, die die PKK weiterhin als terroristische Organisation betrachten.
Dem Regime und seinen Verbündeten steht also eine geschwächte, uneinige und alles andere als repräsentative Opposition gegenüber, deren vermeintliche Schutzmächte, die als »Freunde Syriens« organisierten USA zusammen mit westeuropäischen Staaten, der Türkei und den Golfmonarchien, selbst untereinander zerstritten sind. Weil sie in den vergangenen drei Jahren die Rebellen in Syrien bestenfalls halbherzig unterstützt haben, kaum oder keine Waffen lieferten und auch ansonsten plan- und zahnlos agierten, haben die USA ihren Einfluss auf die kämpfenden Teile der Opposition weitgehend eingebüßt. Selbst wenn in der Schweiz irgendein Abkommen unterzeichnet werden sollte, dürften sich große Teile der Opposition und der unzähligen Rebellengruppen nicht daran gebunden sehen, die Jihadisten erst recht nicht.
Russland und der Iran haben ein großes Interesse am Fortbestand des syrischen Regimes. Für die russische Regierung geht es um die Sicherung ihres Einflussses in der Region, die Demütigung der USA und nicht zuletzt Rohstoffe, haben russische Firmen doch erst kürzlich einen Vertrag mit der syrischen Regierung unterzeichnet, der ihnen die Exploration der Gasfelder vor der syrischen Küste zusichert. Für den Iran ist Syrien eine wichtige Verbindung zur Hizbollah und in den Nahen Osten.
Für die USA und andere westliche Länder dagegen stellt der Syrien-Konflikt vor allem eine lästige Auseinandersetzung dar, in die man wenig investieren mag und bei der man vor allem nichts zu gewinnen hat. Im Zweifelsfall würden sie inzwischen sogar akzeptieren, dass Assad im Amt bleibt, wären da nicht die Golfstaaten, vor allem Saudi-Arabien, für das ein Verbleib des syrischen Präsidenten ein nicht akzeptabler strategischer Sieg des Erzfeindes Iran wäre.
Auch die jüngsten Entwicklungen in Syrien selbst deuten darauf hin, dass keiner der Akteure vor Ort an eine friedliche Lösung glaubt. Bei heftigen Gefechten an allen Fronten kamen in den vergangenen Tagen erneut täglich über 100 Menschen ums Leben. Sollte der syrische Außenminister einen Waffenstillstand in Aleppo in Aussicht stellen, so verweist die Opposition auf jene südlichen Vororte von Damaskus, die nach monatelanger Hungerblockade durch das Regime einer lokalen Waffenruhe zugestimmt hatten. Obwohl nach deren Abschluss im Viertel Modammiyah seit einiger Zeit wieder die Flagge der Regierung weht, ließ das Regime weiterhin kaum Nahrungsmittel durch und fordert zudem die Auslieferung von Oppositionellen, während Regierungsmedien die Abmachung als »Kapitulation der Terroristen« feiern.
Die syrische Regierung weiß spätestens nach dem Chemiewaffendeal im Sommer vergangenen Jahres, dass es zu keiner Intervention kommen wird, sie also den Westen nicht zu fürchten braucht. Solange Russland Waffen liefert, die Hizbollah Kämpfer und der Iran beides, kann sich das Regime über Wasser halten. Die zivilen Folgekosten des Krieges wälzt es größtenteils auf die sogenannte internationale Staatengemeinschaft ab. Bei einer Geberkonferenz in Kuwait sprach die Uno von 16 Millionen bedürftigen Syrerinnen und Syrern, die in Flüchtlingslagern oder innerhalb Syriens versorgt werden müssten. Dafür würden 6,5 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2014 benötigt. Gerade einmal zwei Milliarden hat die UN bislang gesammelt, obwohl der Syrien-Konflikt längst als größte humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten gilt, der nicht nur Millionen Menschen in Syrien ins Elend stürzt, sondern inzwischen auch auf fast alle Nachbarländer übergegriffen hat.
Eine diplomatische Lösung, sollte sie je zustande kommen, würde nicht nur entsprechende schriftliche Vereinbarungen erfordern. Milliarden müssten für den Wiederaufbau des Landes zur Verfügung gestellt, UN-Friedenstruppen entsandt und umfangreiche Rücksiedelungsprogramme finanziert werden. Dafür bräuchte es nicht nur das Geld, sondern auch den entsprechenden Willen. Den aber haben weder die USA noch die europäischen Staaten, von Russland und dem Iran ganz zu schweigen.
So spricht alles dafür, dass Genf II eine weitere absurde Veranstaltung wird, bestenfalls geeignet zu demonstrieren, wie gelebter Multilateralismus aussieht. Derweil wird in Syrien weiter gekämpft und gestorben. Aber vielleicht einigen sich die Teilnehmer von Genf II ja darauf, in einem Jahr eine Folgekonferenz abzuhalten. Jungle World Nr. 4, 23. Januar 2014ausland