MESOPOTAMIE NEWS : NEUE RADIKALENERLASSE – diesmal vice versa

Der begehbare Giftschrank der Buchmesse 2018 /  Von Patrick Bahners – Frankfurter Allgemeine Zeitung  – (Aber nur die Junge Freiheit” wird an einem toten Punkt plaziert. Die diskriminierende Absicht hinter der kühlen Behandlung ist offenkundig. Jeden Messebesucher müsste es frösteln.)

 

Artikel 5 des Grundgesetzes bestimmt: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.”

Der zweite Teil des Satzes klingt tautologisch. Warum muss der Zugang zu Quellen, die allgemein zugänglich sind, ausdrücklich garantiert werden? In die Formulierung ist die Einsicht eingegangen, dass bei dieser Norm die Geltung nicht genügt, um die Wirksamkeit sicherzustellen. Wenn Meinungsfreiheit keine Leerformel sein soll, kommt es auch auf tatsächliche Bedingungen an – und an erster Stelle auf die Meinungen, die es schon gibt, auf ein Klima, das die Vermehrung von Meinungen und den Streit über Meinungen begünstigt

Wo im staatlichen Auftrag Informationsquellen vorgehalten werden, etwa in Bibliotheken, verbietet das Grundgesetz nicht nur Behinderungen des Zugangs, die dessen Allgemeinheit aufheben. Es verbieten sich auch Hindernisse, die nicht die Gestalt von Verboten haben, wie abschreckende Gebühren oder entlegene Magazine zur Aufbewahrung von brisantem Material.

1965 hob der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten ein Gesetz zur Regelung des Postverkehrs auf, das die Zustellung von “kommunistischer politischer Propaganda” aus dem Ausland davon abhängig machte, ob der Adressat eine Aufforderung zur Herausgabe der Sendung an das Postamt richtete. Der Zugang zu ordnungsgemäß frankiertem Propagandamaterial mit feindlichem Absender wurde nicht verhindert, sondern nur erschwert Die kommunistischen Broschüren wurden unter Vorbehalt beschlagnahmt, aber nicht sofort vernichtet Der vorgesehene Empfänger erhielt eine Postkarte, mit der er innerhalb von zwanzig Tagen die Aushändigung der roten Drucksachen veranlassen konnte.

Aber schon die Vorschrift, dass der an solchem Lesestoff interessierte Bürger sein Interesse den Behörden zur Kenntnis zu geben hatte, verstieß nach einstimmiger Ansicht der obersten Richter gegen die im ersten Zusatz zur amerikanischen Verfassung schrankenlos garantierte Freiheit der Rede, welche die Freiheit des Hörens und Lesens einschließt Aus diesem Urteil wird die Figur des „chilling effect” hergeleitet, die Überlegung, dass bei Regulierungen des freien Meinungsaustauschs, für die es einen guten politischen Grund gibt, das wahre Übel häufig in einer ausstrahlenden, einschüchternden Wirkung liegt, in der Abkühlung des Meinungsklimas: Wo Bürger der Regierung ihre Neugier auf ausländisches ideologisches Schrifttum anzeigen müssen, werden sie geneigt sein, auch im sonstigen Medienkonsum Vorsicht walten zu lassen.

Am Mittwoch beginnt die Frankfurter Buchmesse. Einer von 7300 Ausstellern ist die Wochenzeitung Junge Freiheit”, die seit 1991 mit einem Stand vertreten ist. In früheren Jahren war es möglich, die dort ausliegenden Zeitungsausgaben und anderen Schriften, die das Weltgeschehen aus dezidiert rechter Perspektive kommentieren, zu entdecken, wie man als Messebesucher Entdeckungen macht: im Vorübergehen. In diesem Jahr müssen Chefredakteur Dieter Stein und seine Kollegen auf Laufkundschaft verzichten. Der Zeitung, die zur AfD in einem ähnlichen Verhältnis steht wie früher die „taz” zu den Grünen, ist ein Platz am Ende einer Sackgasse zugewiesen worden, in der nur ein weiterer Aussteller seine Bude aufschlägt, ein ebenfalls auf Rechtsintellektuelles spezialisierter Buchverlag.

Das Messeangebot der Jungen Freiheit” bleibt allgemein zugänglich, denn wer sämtliche Gänge sämtlicher Hallen abläuft, kommt irgendwann auch bei ihr vorbei. Gleichwohl wird der Zugang behindert: In die Schmuddelecke wird sich nur verirren, wer im Gesamt-verzeichnis der Aussteller die Standnummern der Verbannten nachgeschlagen hat. Die Buchmesse ist keine staatliche Veranstaltung. Aber sie hat sich als weltweit größter Marktplatz für gedruckte Geistesprodukte selbst dazu verpflichtet, auf ihrem kommerziellen Hoheitsgebiet die Meinungsfreiheit in den Grenzen des deutschen Strafgesetzes streng zu gewährleisten.

Den Forderungen linker Lobbygruppen nach einem Hausverbot für rechte Verlage hat die Messe nicht entsprochen. Die Einrichtung des begehbaren Giftschranks wird mit Sicherheitserwägungen begründet: Im vergangenen Jahr hatte es eine Tätlichkeit während eines Vortrags eines Hausautors der „Jungen Freiheit” gegeben. Wer auf der Buchmesse in Aktfotobänden oder im Kommunistischen Manifest blättert, nimmt in Kauf, dabei gesehen zu werden. Ist es unzumutbar, dass die Klientel der ‚Jungen Freiheit” den Weg in die Sackgasse antreten muss, wenn diese Maßnahme der Sicherheit dient?

Fundamentalisten jeglicher Couleur stellen in Frankfurt aus, Staatsverlage aus Diktaturen und Exilverlage mit dem publizistischen Mut der Verzweiflung. Immer wieder kommt es an solchen Ständen zu Handgreiflichkeiten. Aber nur die Junge Freiheit” wird an einem toten Punkt plaziert. Die diskriminierende Absicht hinter der kühlen Behandlung ist offenkundig. Jeden Messebesucher müsste es frösteln.