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«J_üdinnen»: wo Gender-Furor den Respekt vermissen lässt

Die FU macht Naziopfer zu «J_üdinnen». Geschlechtergerechtigkeit muss erreicht werden, nicht ideologisiert. Aber bei Opfern der NS-Gewaltherrschaft zu gendern, ist geradezu zynisch.

Julien Reitzenstein  6 April 2021 – NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Es gibt viele Gründe, Menschen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, grundsympathisch zu finden. Denn von Anbeginn ist es die Idee von Gerechtigkeit, die den Massstab jeden menschlichen Zusammenlebens definiert. Betrachtet man aber dieser Tage Versuche in diese Richtung durch die Schaffung neuer Wortformen, drängen sich Fragen auf: Wo sind die Grenzen dieser Entwicklung? Soll Sprache für Gerechtigkeit in Gegenwart und Zukunft sorgen – und: Muss sie das auch für die Vergangenheit?

Worüber sich nicht debattieren lässt: Unpassende Vergleiche und Geschmacklosigkeiten im Zusammenhang mit der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Deutsche sind zu vermeiden. Auf Raub von Besitz und Heimat folgte die Vernichtung.

Rassistische Forschung

Manche Opfer des Nationalsozialismus mussten nach ihrer Ermordung der Forschung dienen und wurden nicht ordentlich bestattet. So ging es Opfern des Verbrechens der Strassburger Schädelsammlung, aber auch jenen, die nach ihrer Ermordung zu «Forschungszwecken» in das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) an die Ihnestrasse 22 in Berlin-Dahlem verbracht wurden. Die wissenschaftliche Einrichtung stand Anfang der vierziger Jahre unter der Leitung von Otmar Freiherr von Verschuer in engem Austausch mit dem Genetiker und SS-Arzt Josef Mengele in Auschwitz. Die Liegenschaft gehört heute der Freien Universität (FU). Unlängst wurden verscharrte sterbliche Überreste von Opfern aufgefunden, worauf ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen wurde, um dieses düstere Vergangenheitskapitel akribisch aufzuarbeiten.

Der hochkarätig besetzte wissenschaftliche Beirat verheisst seriöse Forschungsergebnisse. Auf der Homepage des «Projekts Ihnestr. 22» ist zu lesen: «In der Ihnestr. 22 forschten Wissenschaftler_innen schliesslich auch an den Körpern von Personen, die in nationalsozialistischen Vernichtungslagern und Heilanstalten ermordet wurden. Insbesondere Sinti_zze und Rom_nja, J_üdinnen, schwarze Personen und Menschen mit Behinderung fielen den Arbeiten des KWI-A zum Opfer.» Solches darf man da mehrfach lesen. Und ja, dort steht tatsächlich: J_üdinnen.

In dieser Ausprägung findet man geschlechtergerechte Sprache selbst an der progressiven FU nicht allzu oft.

Menschen aus unserer Mitte geschah unermessliches Unrecht. Man nahm ihren Besitz, ihre Familien, ihre Würde, ihr Leben, schändete ihre Leichen – und versucht nun den Ermordeten mit geschlechtergerechter Sprache wozu genau zu verhelfen? Gerechtigkeit? Das wirkt geschmacklos, das ist übergriffig und vor allem – wem ist damit geholfen?

Eine Frage des Respekts

Man muss mit Eifer für die Chancengerechtigkeit aller kämpfen. Es ist eine Frage des Respekts, jeden so anzusprechen, wie er angesprochen werden möchte – egal, was im Duden steht. Aber es darf nie zur Normalität werden, dass Menschen, nachdem sie als Opfer des grauenvollsten Verbrechens der Geschichte in grösstmöglicher Weise geschändet worden sind, ohne ihr Wissen und Wollen abermals zum Teil einer Ideologie gemacht werden. Die in der Ihnestrasse 22 verscharrten Opfer mörderischer Rassisten haben eine würdige Bestattung und ein angemessenes Gedenken verdient. Wer diese Opfer aber instrumentalisiert, um sich selbst als Zelebrator*in der Gerechtigkeit zu präsentieren, schändet sie ein weiteres Mal.