MESOPOTAMIA NEWS : SIGNIFIKATE IN ZEITEN DER LBGTI-KUKTUR

Sex und Biogemüse  / Von Bettina Weiguny

Frauenzeitschriften schlagen mir aufs Gemüt: Egal, was ich durchblättere, ständig werde ich aufgefordert, mein Leben zu optimieren. Ich soll mich beruflich “neuen Herausforderungen stellen”. Schlanker werden. Fitter in den Frühling starten. Mich gesünder, leckerer und, Hauptsache, „bio” ernähren.  

Sie erklären mir, wie ich tolleren Sex und glänzendes Haar bekomme, mehr Geld beim Chef lockermache, warum eine Affäre die Ehe belebt und was ich auf keinen Fall machen darf: Mich hängenlassen. Das „Füße-hoch-Legen” mag gemütlich klingen, ist aber ganz schlecht für Körper, Geist und mein Wohlergehen. Das oberste Gebot aller Frauenblätter lautet: Raus aus der Komfortzone! Rein ins Abenteuer. 

Nun habe ich kaum Erfahrung mit Männermagazinen, ahne aber, Männer lesen dort das Gleiche in Grün. Sie sollen trainieren, Salat essen, auf das T-Bone-Steak verzichten, aber zugleich Grillmeister werden, dazu Unmengen „Challenges” erleben:

Jedes Land der Erde bereisen, Tauchen lernen, eine giftige Schlange melken, dazu wilden Sex haben, eine neue Sprache lernen und ein Super-Papi sein. Müssen wir das alle wollen? Was, wenn ich keine Lust habe? Wenn ich nicht ohne Sprit in einer Wüste in Oman stranden will, sondern lieber durch die Schweizer Berge wandere? Wenn für mich, auch nach 2o Jahren, der Journalismus immer noch der schönste Beruf auf Erden ist? Ich immer noch gerne für die Zeitung Menschen treffe, Bücher oder Kolumnen schreibe? Ich dazu glücklich verheiratet bin, obendrein mit einem nicht mehr ganz jungen, weißen Mann? Man mag es kaum laut sagen, natürlich gucken einen dann alle mitleidig an: Uh, da verkriecht sich eine in der Komfortzone. Wie lasch! 

Jeder Motivationstrainer predigt: „Das Leben beginnt am Ende deiner Komfortzone.” Da, wo das Unbekannte, die Gefahr beginnt Das plappern alle munter nach.  

Was fehlt in der Politik, damit es endlich vorangeht? Genau, wir müssen raus aus der Komfortzone. Wie kann die SPD wieder punkten? Klar, wenn sie die Komfortzone verlässt. Wie findet der FC Bayern München aus dem Stimmungstief? Sie ahnen es. Für Fußballer (genau wie Schauspieler, Dirigenten und sonstige Kreative) ist die Komfortzone eh ein Hort des Schreckens. Wer es nicht raus schafft, kommt darin um. In Wahrheit hält die Geschichte der Menschheit für uns Komfortzonen-Hocker Trost parat: „In the long run”, also evolutionär gesehen, überleben die Angstlichen, die Schisser.  

Da lege ich gleich mal die Füße hoch. 

FAZ/FAS 17. 3. 2019