MESOPOTAMIA NEWS : ROBESPIERRE & SAINT JUSTE FÜHRER DER REGENBOGENFAHNE AM FALLBEIL – STILL ALIVE !
Die «New York Times» datiert das Gründungsjahr der Vereinigten Staaten um – die Fakten sind dabei nicht so wichtig – Die Zeitung verheddert sich bei ihrem Versuch, die amerikanische Geschichte neu zu schreiben.
Markus Schär 12.10.2020, 05.30 Uhr NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – In Amerika steht zur Debatte, an welche Geschichte man sich erinnern soll.
«Amerika war noch nicht Amerika, aber das war der Moment, in dem alles anfing», behauptete der Artikel gleich zu Beginn. Und die «New York Times» sah als diesen Moment nicht den Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten ab 1775 an oder die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787, sondern ein Ereignis, das zuvor kaum ein Historiker beachtet hatte:
«Im August 1619 erschien ein Schiff am Horizont nahe Point Comfort, einem Hafen in der britischen Kolonie Virginia. Es brachte mehr als zwanzig versklavte Afrikaner zum Verkauf an die Kolonisten.»
Die Sklaven von Point Comfort kamen als erste in die englischen Kolonien in Nordamerika. Den 400. Jahrestag im August 2019 nahm die «New York Times» deshalb zum Anlass, um mit dem Project 1619 «endlich unsere wahre Geschichte zu erzählen»: Die Ausbeutung von Sklaven aus Afrika führte zum Aufstieg der USA und prägt ihre Wirtschaft und ihre Gesellschaft noch heute.
Sadomasochismus der Progressiven
Mit dem ehrgeizigen Projekt wollte die «New York Times» die Geschichte des Landes umschreiben und ihre Sicht auch an den Schulen durchsetzen. Ein Jahr später, nach vernichtender Kritik von Experten und der unvermeidlichen Intervention des Präsidenten, krebst das mächtige Medienhaus aber zurück. Ja, es lässt sogar stillschweigend die These fallen, dass die amerikanische Geschichte 1619 begann. Ist das Project 1619 eine Fallstudie für die Selbstüberschätzung von Journalisten, die sich in den Aktivismus verirren?
Der mediale Kreuzzug, der «1619 als unser wahres Gründungsjahr» im Bewusstsein der Bürger verankern und «die Folgen der Sklaverei sowie die Leistungen von schwarzen Amerikanern» ins Zentrum der nationalen Geschichtsschreibung hieven soll, zeigt jedenfalls bereits Wirkung. Es gibt Podcast-Serien, Programme für Schulen aller Altersstufen und Pläne von Oprah Winfrey, die neu geschriebene Geschichte filmisch umzusetzen.
Die «National Review» warnt deshalb bereits davor, «dass alles an der Geschichte dieses Landes, was nicht dem Sadomasochismus von Unternehmen und reichen weissen Progressiven dient, in dieser Medien-Apokalypse ausgelöscht wird».
Der Sturm auf das Geschichtsbild hat am 20. August 2019 mit einer Sonderausgabe des «New York Times Magazine» begonnen, die heute auf Amazon für 275 Dollar angeboten wird. Darin führt der weisse Princeton-Soziologe Matthew Desmond die Brutalität des amerikanischen Kapitalismus auf das Leiden in den Sklavenplantagen zurück. In anderen Essays wird darüber geklagt, «warum immer alle schwarze Musik stehlen», «weshalb die Segregation die Schuld an Staus trägt» oder «wie falsche Glaubenslehren zu Rassenunterschieden immer noch die Medizin prägen».
Fotos zeigen Nachfahren von Entrechteten, die jetzt als Rechtsanwälte arbeiten, daneben gibt es Gedichte und Erzählungen von Schwarzen, die für eine «New Literary Timeline of African-American History» stehen sollen. Der einleitende Essay stammt von der Projektleiterin Nikole Hannah-Jones, einer 44-jährigen Journalistin, die mit einem schwarzen Vater und einer Mutter von tschechisch-englischer Herkunft in Iowa aufwuchs und die katholische University of Notre Dame in Indiana mit einem Bachelor in African-American Studies abschloss.
Steile Thesen
«Die weisse Rasse ist der grösste Mörder, Vergewaltiger, Plünderer und Dieb der modernen Welt», so zeterte sie schon in Leserbriefen an die Universitätszeitung, «Kolumbus und seinesgleichen waren nicht besser als Hitler.» Diesen Feldzug gegen die Weissen setzt die Journalistin seit 2015 bei der «New York Times» fort: Auf ihrem Twitter-Account nennt sie sich Ida Bae Wells, in Anlehnung an Ida B. Wells (1862–1931), eine Kämpferin für Gleichberechtigung, die als berühmteste Schwarze Amerikas galt.
Ihr Essay im «New York Times Magazine» trägt den Titel «Amerika war keine Demokratie, bis es schwarze Amerikaner zu einer machten». Sie attackiert darin nicht nur den offensichtlichen Widerspruch, dass die Gründerväter in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 allen «gleich erschaffenen» Menschen das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück verhiessen, ihre schwarzen Sklaven davon aber ausnahmen. Sie dekretiert sogar, dass die Kolonisten ihren Unabhängigkeitskrieg nur führten, um sich vor der wachsenden Kritik an der Sklaverei im britischen Mutterland zu schützen – deshalb sei nicht 1776, sondern 1619 das wahre Gründungsjahr.
Die steilen Thesen der «New York Times» kamen sofort unter Beschuss. Sean Wilentz, Geschichtsprofessor in Princeton, suchte Verbündete unter anderen Spezialisten. Viele sagten ab, weil sie sich vor dem Aufruhr in den Medien fürchteten oder weil sie bei aller Kritik eine stärkere Gewichtung der schwarzen Geschichte Amerikas wünschen. Schliesslich kamen fünf Unterzeichner eines Briefes zusammen, darunter auch Sozialisten: «Wenn wir sagen, die Zustände seien seit je so», meinte der New Yorker Professor James Oakes, «dann glauben wir nicht an den Wandel.»
Die «New York Times» druckte den Brief der fünf Historiker ab, allerdings mit einer Entgegnung des Magazin-Chefredaktors Jake Silverstein. Der schrieb: «Wir wehren uns gegen die Kritik, dass wir uns bei unserem Projekt auf falsche Fakten stützen und uns von Ideologie statt historischer Erkenntnis leiten lassen.»
Die eigene Geschichte geklittert
Deshalb legte Sean Wilentz in einem Aufsatz im Magazin «Atlantic» nach. Der stark beachtete Historiker, der auch zu Bob Dylan forscht, für den «Rolling Stone» schreibt und den Clintons nahesteht, widerlegte die Thesen von Nikole Hannah-Jones. Und er monierte: «Kein Einsatz, das Publikum aufzuklären, um soziale Gerechtigkeit durchzusetzen, rechtfertigt die Missachtung der grundlegenden Fakten.»
Einerseits bestreitet Sean Wilentz die Behauptung, die Kolonisten hätten sich von Grossbritannien gelöst, weil dort Kritik an der Sklaverei herrschte: «Die Kolonisten hatten selber schon 1769 bis 1774 entscheidende Schritte gemacht, um den Sklavenhandel über den Atlantik zu beenden. Die Kritik in London kam dagegen erst 1787 auf.»
Anderseits verteidigt der Historiker den Präsidenten Abraham Lincoln, den Nikole Hannah-Jones trotz seinem Einsatz gegen die Sklaverei als Suprematisten hinstellte: «In seiner letzten Rede forderte er öffentlich eine weitergehende Emanzipation der Schwarzen. Dies stachelte einen Zuhörer, John Wilkes Booth, endgültig dazu an, ihn zu ermorden.»
Den Essay über die Brutalität des amerikanischen Kapitalismus nahm sich der Wirtschaftshistoriker Phillip W. Magness vor. Gestützt auf die umstrittene «New History of Capitalism» behauptet Matthew Desmond darin: «Wenn ein Buchhalter einen Aktivposten abschreibt, um Steuern zu sparen, oder ein Manager einen Nachmittag lang sein Excel-Spreadsheet ausfüllt, wiederholt er Geschäftsprozesse, die auf Sklavenarbeitslager zurückzuführen sind.» Und: Die Vervierfachung der Baumwollernte zwischen 1801 und 1862 lasse sich damit erklären, dass die Sklavenhalter ihren Zwangsarbeitern immer strengere Ziele vorgaben, die sie mit grausamen Strafen durchsetzten.
Dagegen wendet Phillip W. Magness im Konsens mit den meisten Kollegen ein, dass sich die doppelte Buchhaltung samt Abschreibungspraxis schon im Mittelalter in italienischen Städten entwickelte und dass die Steigerung der Baumwollerträge auf bessere Anbaumethoden zurückging.
Nach dem Einspruch von republikanischen Spitzenpolitikern mischte sich im September auch Präsident Donald Trump in die Debatte ein: Mit einem Tweet drohte er Kalifornien, Bundesmittel zurückzuhalten, wenn der Staat das Project 1619 in die Lehrpläne aufnehme. Und die geballte Kritik, ob von Experten oder Ignoranten, zeigte Wirkung: In einem Interview mit CNN bestritt Nikole Hannah-Jones, dass sie 1619 als das wahre Gründungsjahr der USA bezeichnet habe.
Das liess sich allein mit ihrem Twitter-Feed leicht widerlegen; deshalb löschte ihn die Journalistin gleich ganz. Und schliesslich fanden Kritiker, dass die «New York Times» die umstrittene These in der Online-Version entfernt hatte, entgegen den guten Sitten ohne irgendeine Anmerkung. Das Medienhaus schreibt also nicht nur öffentlichkeitsheischend die amerikanische Geschichte um, sondern auch stillschweigend seine eigene Geschichte.