MESOPOTAMIA NEWS : NECLA KELEK = FLÜCHTLINGS-THESEN !

Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling

Eine Absage an die Illusionen der deutschen Migrationspolitik in Form von zehn Thesen.

Necla Kelek 3.7.2018, 11:21 Uhr Neue Zürcher Zeitung

Politik kann einfach, nachhaltig und nachvollziehbar sein, wenn sie sich der Vernunft und der Erfahrung bedient sowie die Interessen der Menschen als Massstab nimmt. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls nach der Lektüre der Thesen zur Zuwanderungspolitik mit dem Titel «Weltoffenes Deutschland? Zehn Thesen, die unser Land verändern». Die drei Autoren – Gunter Weissgerber, Mitglied des Neuen Forums und der SPD in der DDR, Richard Schröder, Theologe, emeritierter Philosophieprofessor und Universitätspräsident, und Eva Quistorp, ebenfalls Theologin und Mitgründerin der Grünen, analysieren in zehn Thesen Ursachen, Stand und Perspektiven der Flüchtlingskrise.

Plädoyer für klare Regeln

Wenn 500 Millionen aus Nahost oder Afrika zu uns kommen wollen, «ergibt sich daraus zwingend, dass Europa die Immigration regulieren muss», schreiben sie und argumentieren, dass Afrika für seine Probleme verantwortlich sei und vor allem die Stärkung der Rechte von Frauen und Kindern regeln müsse. Sie sagen: «Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling», und unterscheiden zwischen Asylsuchenden, Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen. Und sie folgern daraus, dass diese Gruppen auch unterschiedlich aufgenommen werden sollten.

Sie plädieren für klare Regeln. Wer betrüge, könne nicht bleiben. Sie fordern konsequente Umsetzung von Entscheiden, und sie bestreiten, dass die vieldiskutierte Familienzusammenführung die Bereitschaft zur Integration hebt: «Man lebt dann in Deutschland, aber wieder wie zu Hause.»

Auch sehen sie bei muslimischen Migranten die von allen Gruppen geringste Integrationsbereitschaft. Ein Staat müsse wissen, wer sich innerhalb seiner Grenzen aufhalte. «Bei völlig offenen Grenzen ist ein Sozialstaat unmöglich, denn das bedeutete: unbegrenzte Ausgaben bei begrenzten Einnahmen. Und das funktioniert nie.» Verantwortung statt Moral – und das von zwei evangelischen Theologen.

Grundvertrauen beschädigt

Der amtierenden Politik attestieren sie flächendeckendes Versagen, was den Herbst 2015 betrifft, und konstatieren einen komplett falschen Politikansatz: «Die Deutschen haben sich an die Zugewanderten anzupassen, werden aber dazu nicht befragt.» Diese Haltung halten sie für fatal, weil eine solche Politik eine Lawine aus dem Grundvertrauen der Bevölkerung losgerissen habe, die sich noch immer unberechenbar talwärts bewege und die Parteienlandschaft der Bundesrepublik gewaltig zerzause. Doch was bei den Autoren als schlichte Tatsachen benannt wird, lässt andere in Furcht vor dem Verdacht von Fremdenfeindlichkeit verstummen. Das stört sie aber nicht, denn mit ihren Biografien sind sie über solchen Verdacht erhaben. Sie bieten klare Worte, eine kluge Analyse und konkrete Ideen für eine Politikwende. «Alle grosse politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist», zitieren die Autoren den Sozialdemokraten Ferdinand Lassalle. Das Buch füllt eine Lücke.

Gunter Weissberger, Richard Schröder, Eva Quistorp: Weltoffenes Deutschland? Zehn Thesen, die unser Land verändern. Herder, Freiburg i. Br. 2018. 144 S., Fr. 16.90.