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Wie Topf &Deckel: Antirassismus und islamische Propaganda – Der eingebildete Rassismus – Islamophobie und Schuld“ von Pascal Bruckner

Dass Pascal Bruckners Buch „Der eingebildete Rassismus – Islamophobie und Schuld“ nun auch in deutscher Sprache erscheint, dürfte für die hiesige Journaille kein Grund zur weiteren Beachtung sein. Denn dass ein angesehener, der politischen Rechten fernstehender Intellektueller sich abermals mit dem Rassismus der Antirassisten, der angeblichen Islamophobie und der tatsächlichen Islamophilie auseinandersetzt, sieht man in einem Land, in dem jede nicht handzahme Islamkritik als überhebliche und rassistische Störung des sozialen Friedens verunglimpft wird, nicht gern.

Zu tief sitzt der antrainierte Reflex, bei unangenehmen Themen prompt das Weite zu suchen oder zur Predigt über tief sitzende kolonialistische Stereotype hinterwäldlerischer Stammtischrassisten anzusetzen.

Da die kritische Auseinandersetzung des Islam somit Gefahr läuft, zum routinierten Spleen versprengter Individuen zu verkommen, tun Intellektuelle wie Pascal Bruckner gut daran, nicht zum dutzendsten Mal zu wiederholen, warum man den Islam überhaupt für kritikwürdig hält. Stattdessen versucht Bruckner mit „Der eingebildete Rassismus“, die Genese des Begriffs der Islamophobie zu verfolgen, wobei er anschauungsreich offenlegt, weshalb die Konvergenz zwischen Antirassismus und islamischer Propaganda alles andere als ein Missverständnis ist.

Die regressive Passion für das Exotische

Bruckner korrigiert dabei das vorherrschende Bild, dass Europa ein von Anfang an feindlicher Gegenpol zur islamischen Welt war. Stattdessen sei der europäische Blick auf den Orient stets von sehnsüchtigen Projektionen in dessen scheinbare Exotik geprägt gewesen. Das Ergebnis dieser Glorifizierung: eine bis heute anhaltende, der Inhumanität gegenüber blinden „Vergötterung des Archaischen“, die sich aufgeklärt inszeniert, obwohl sie den Ländern des arabischen Raums nicht einmal zugesteht, jenen Fortschritt zur Zivilisation vollziehen zu können, den die westliche Welt unter schwersten Strapazen absolviert hat. Schon der Verweis auf die Rückständigkeit islamisch geprägter Regionen – Geschlechterapartheid, drakonische Vergeltungsjustiz, Hass auf Juden und Homosexuelle, mangelnde Bildung, das Primat der Tradition vor der Mündigkeit des Individuums – hätte ausnahmslos empörte Reaktionen von islamischer, aber auch von europäischer Seite zur Folge.

Die einen wollen Toleranz für ihre barbarische Religion, die anderen verlieren bei der eilfertigen Sichtung islamophober Diskurse und Narrative schnell die Realität aus den Augen. Proportional zum Schweigen über den Islam nehmen die Entdeckungen jener stetig sich erweiternden Rassismen zu: „Der konsequente Antirassist ist ein Spürhund, der jeden Morgen eine neue Form der Rassentrennung findet und überaus zufrieden damit ist, diese der Gesamtklassifikation des progressiven Denkens hinzuzufügen.“

Die Lösung erblicken die hauptsächlich linken Claqueure des Islam in sensibler Sprachpolitik: Je mehr Begriffe als rassistisch enttarnt und aus dem Wortschatz der Guten verbannt werden, desto reiner ist das Gewissen. Bruckner hält dazu pointiert fest, dass „Linkssein seit Jahrzehnten bedeutet, allenthalben nach Gründen zu suchen, sich zu grämen“.

Selbsthass und Opferromantik

Diese Lust an der Unterwerfung avanciert nach Bruckner jedoch zum übergreifenden Wesenszug Westeuropas: Zahllose Terroranschläge, die Ereignisse der Kölner Silvesternacht oder die Intoleranz zugewanderter Muslime gegenüber dem Rechtsstaat seien nicht Anlass gewesen, die Vorstellung des Islam als unterdrückter, aber verführerisch exotischer Religion zu hinterfragen. Europäische Intellektuelle suchten lieber die Schuld bei sich selbst – im Kolonialismus, in ihrem Lebensstil, in ihrer Islamophobie. Muslime seien ewige Opfer, die Mitleid und Verständnis vom schuldbeladenen Westen verdient hätten. Den Anhängern des Propheten nahm der Westen so die Rechtfertigung des Terrors vorweg.

Abgesehen davon, dass das Bild des Islam als drangsalierter Religion spätestens seit der intensiveren Beschäftigung mit dem Sklavenhandel in der arabischen Welt ins Wanken gerät, seziert Bruckner diesen Opferkitsch als ahistorischen Versuch, den überlegenen Westen im Dienste der narzisstischen Kränkung der islamischen Welt zu delegimitieren. „Die Viktimisierung ist die Leidensversion des Privilegs“ und dass das wohl unzureichend aufgeklärte Europa auf diesen hohlen Trick, auf dieses kulturrelativistische Stockholm-Syndrom anspringt, ist bitter, aber nur folgerichtig. Denn für eine Verteidigung der universalistischen Werte der Aufklärung brauche es Selbstbewusstsein: ein aus der Vernunft entspringendes, meist jedoch nur noch von konservativer Seite erhobenes Beharren auf „ein Bündel von Individualrechten, die lustfreundlichen Lebensgewohneiten und Kapriolen der heutigen Weltbürger und damit nicht zuletzt das zivilisatorische Fundament, auf dem die Moderne gebaut ist.“

Der an sich selbst müde gewordene Westen hat im Islam jedoch einen ungleichen Verbündeten für den antiwestlichen (Selbst-)Hass gefunden: Er kapituliert ohne den Versuch einer Verteidigung.

Bruckners Analysen beruhen auf der Erkenntnis, dass ein schwacher Westen, dessen frappante Naivität sich in der Einforderung von Toleranz und Multikulturalismus um jeden Preis bestätigt, einer aggressiven, gekränkten und expansionswilligen Religion nichts entgegenzusetzen hat. Die Lösung bestehe im Stolz auf das, wofür man gehasst wird: „Frankreich wird von Fundamentalisten so verabscheut, nicht weil es die Moslems unterdrückt, sondern weil es sie befreit“; ihnen also die Möglichkeit einräumt, ihren angestammten Platz in der religiösen Sippschaft zu verlassen und ihr persönliches Glück fernab des islamischen Zwangskäfigs beziehungsweise im Schoße einer anderen Religion zu finden.

Eine ganz normale Religion?

„Der eingebildete Rassismus“ appelliert an republikanische und laizistische Werte, die in Frankreich eine lange, glorreiche Tradition haben, während sie in Deutschland kaum je ausgeprägt waren. Im Zeichen dieser Ideale proklamiert Bruckner schlussendlich die Banalisierung des Islam als oberstes Ziel. Der Islam solle eine Religion unter anderen werden, die sich durch nichts außer formelle Nuancen von Judentum und Christentum unterscheide. An dieser Stelle scheint Bruckner zu übersehen, dass die Banalisierung des Islam kein wirklich kritisches Unterfangen darstellt, solange nicht geklärt ist, ob diese Abschwächung der islamischen Radikalität überhaupt durchführbar ist.

Bruckner mahnt, Europa solle sich hüten „vor einem heimlichen Einverständnis der drei Monotheismen, die zu einer Koalition bereit sind, wenn es darum geht, unsere Errungenschaften anzugreifen“, als hätte er kurz vorher nicht selbst noch von den Islamisten als den „Erben der braunen Pest von gestern“ geschrieben. Nimmt man die letztere Charakterisierung, die dezidiert islam- und nicht nebulös religionskritisch ist, ernst, dann verbietet sich jede Gleichsetzung des Islam mit den anderen großen monotheistischen Religionen, welche zudem von Anfang an eine positivere Stellung zu Zweifel und Heterodoxie einnahmen. Im Namen abstrakter Gleichsetzung aller Religionen lassen sich die Besonderheiten des islamischen Glaubens, seines Herrschaftsanspruchs und seiner angekränkelten Gegenwarts-Konstitution nicht erfassen. Dass Bruckner trotz all der gebotenen, scharfsinnigen Verachtung, auf die seine Texte bauen, gelegentlich unfreiwillig Sabotage an der eigenen Kritik verübt, schmälert die Wichtigkeit von „Der eingebildete Rassismus“ nicht. Es verweist viel eher auf die Notwendigkeit, die Analysen dort kompromisslos fortzusetzen, wo andere noch mit sich hadern.

Der eingebildete Rassismus – Islamophobie und Schuld“ von Pascal Bruckner. Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse & Uli Krug, 2020, Berlin: Edition Tiamat, 240 Seiten, 24 Euro. .