MESOPOTAMIA NEWS: MERKEL WILL NICHT NACH WASHINGTON / NACH PEKING ABER WOHL ?

Trump will G7 zu G11 erweitern : Eine neue Allianz gegen China?

Russland reagiert zurückhaltend auf Trumps Vorstoß, die G7 zu erweitern. Australien, Indien und Südkorea zeigen sich offener – ohne Amerika wären sie Vasallenstaaten Chinas, warnt ein früherer Außenminister.  – Von Christoph Hein, Singapur und Patrick Welter, Tokio  – FAZ  31.05.2020-15:53

Alexander Downer war ein furchtloser Politiker. Heute ist der frühere Außenminister Australiens ein politischer Analyst, der das offene Wort liebt: „Ohne die Vereinigten Staaten würden die meisten, wenn nicht alle Länder der indo-pazifischen Region Vasallenstaaten Chinas, was dann enormen Unmut und eine zerstörerische Angst freisetzte“, sagt Downer mit Blick auf das Ansinnen des amerikanischen Präsidenten, eine „G-11“ ins Leben zu rufen. Donald Trump hatte sie am Sonntag vorgeschlagen, um über China zu sprechen – die bisherige „Gruppe der 7“, deren Tagung im Juni in Camp David spätestens nach Absage Angela Merkels nicht stattfindet, sei angesichts der Weltlage sowieso „sehr überholt“. Der australische Ministerpräsident Scott Morrison kommentierte den Ansatz vorsichtiger, aber eindeutig: „Der Ausbau der internationalen Zusammenarbeit gleichgesinnter Ländern in Zeiten beispielloser Herausforderungen ist hochgeschätzt“, ließ Morrison seinen Sprecher sagen.

Viel Analyse braucht es nicht, um zu erkennen, dass Donald Trump eine solche Gesprächsrunde auf höchster Ebene als Werkzeug betrachtet, um noch mehr Druck auf Peking auszuüben. Würden einer solchen Konferenz doch neben den G-7-Staaten – unter ihnen Deutschland – auch Australien, Indien, Südkorea und Russland angehören. „Was ist allen diesen Ländern gemein? Zusammen mit Amerikas getreuem Anhänger Japan sind sie alle auf der Hut vor Chinas immer aggressiveren strategischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Manövern“, bringt der Autor Parag Khanna den Plan auf den Punkt.

Die vereinte „Quad“

Geht es nach Trump, dürften die Russen nach ihrem Rauswurf 2014 aufgrund ihrer Annexion der Krim erstmals wieder teilnehmen – die Politik Pekings scheint aus Trumps Sicht das Ende der Ausgrenzung zu rechtfertigen. Das indes erscheint unsicher, obwohl Trump damit eine weitere, in dieser Rolle meist übersehene pazifische Macht zurück an den Tisch holte – denn nicht alle G-7-Länder wollen Präsident Wladimir Putin aufwerten.

Keine persönliche Teilnahme : Merkel reist nicht zu G7-Gipfel nach Washington

Auch Russland selbst reagierte verhalten: Man sei nur bereit, sich auf Augenhöhe mit anderen Teilnehmern zu beteiligen. „Ein Platz als Zuschauer passt Russland nicht“, sagte Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im russischen Förderationsrat, am Sonntag der Agentur Interfax. Russland bevorzugt eigentlich die G20, wo führende Industrienationen und Schwellenländer zusammenkommen.

Sollte Trump „unter sich“ eine Allianz gegen andere Staaten, gemeint ist offensichtlich China, etablieren, „können wir das nicht annehmen“, sagte Kossatschow. Er lobte Trump aber dafür, dass dieser die G7 als veraltet bezeichnet. Die Gruppe sei nur ein Instrument der westlichen Welt, Einheit zu demonstrieren.

Gesetzt sind dagegen die anderen drei indo-pazifischen Länder aus Sicht Washingtons. Da Amerika und Japan sowieso schon der G7 angehören, wäre bei einer Erweiterung damit die „Quad“ vollständig vertreten. Bei ihr handelt es sich um den losen Bund der vier pazifischen Demokratien Amerika, Australien, Indien und Japan, die – ohne es auszusprechen – Pekings expansiver Außen- und Wirtschaftspolitik etwas entgegensetzen. Auch die Partner des „Trilateralen strategischen Dialogs“, Washington, Canberra und Tokio, wären vereint.

Aggressor Xi Jinping?

Downer stimmt dem Plan Trumps insofern zu, als er eine wichtigere Rolle für Canberra auf der Weltbühne anstrebt. Der erste Schritt war damit getan, dass die Regierung die Welt dazu anhielt, eine Untersuchung über den Corona-Ursprung in China einzuleiten – wobei China wohlgemerkt der wichtigste Geschäftspartner Australiens ist. Der chinesische „Aufstieg kann gelenkt werden, aber er muss mit großer intellektueller Genauigkeit und Vorsicht geführt werden. In den vergangenen Monaten haben wir beobachtet, wie China diese so notwendige Vorsicht in den Wind schreibt“, warnt Downer.

Präsident Xi Jinping hält er für einen Aggressor. Schon 2019 hatte Australien auf Einladung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Gast am Tisch der G7 Platz genommen. Zuvor hatte es Paris den größten Rüstungsauftrag seiner Geschichte mit dem Kauf von Unterseebooten erteilt.

Südkorea war nicht vorab informiert

Aus dem Präsidialamt in Seoul kam eine neutrale bis positive Reaktion auf Trumps Vorstoß. „Wir werden das mit der amerikanischen Seite diskutieren“, sagte ein Sprecher. Südkorea sei über die Einladung nicht vorab informiert worden. Es steht nahezu außer Frage, dass Südkorea, das auf seinen Aufstieg in den Kreis der großen Industrienationen stolz ist, einen Beitritt in eine erweiterte Siebenergruppe nicht ablehnen würde.

Welche Vorteile es daraus außer einem Reputationsgewinn ziehen würde wäre freilich fraglich. Südkorea ist – wie auch Australien und Indien – Mitglied der OECD und der G-20-Gruppe und hat so viele Möglichkeiten, seine Stimme in internationale Absprachen einzubringen.

Noch tiefere Gräben

Peking aus einer G-11 auszuschließen, wird den bestehenden Konflikt weiter anheizen: Die Spaltung in eine Welt des „Guten gegen das Böse“, der Demokratien gegen die kommunistische Diktatur, würde vorangetrieben, die Gräben vertieft werden. Angesichts der Größe der Weltprobleme – neben Coronavirus und Klima-Krise zählen viele die wachsende Spaltung in Arm und Reich und einen zunehmenden Nationalismus dazu – stellt sich natürlich auch die Frage, inwieweit es Sinn macht, ohne den Gegenpol zu debattieren, als den Trump Peking betrachtet.

Insbesondere Australien und Südkorea kämen zudem in die Bredouille, nutzte Trump die Erweiterung der Gruppe, um noch mehr Druck auf China auszuüben. Beide sind in der Sicherheitspolitik enge Partner der Vereinigten Staaten, Südkorea steht unter dem amerikanischen nuklearen Schutzschild.

Wirtschaftlich aber hängt Australien ganz überwiegend von China ab, Südkorea zunehmend. Dessen Regierungen versuchen seit Jahren, ihre Interessen zwischen Amerika und China auszugleichen. Ein Beitritt zu einer erweiterten Siebenergruppe könnte diesen Balanceakt gewaltig stören.

China unter Druck setzen

Und Trumps neue Nadelstiche kommen in Zeiten, in denen sie Peking besonders schmerzen. Mitte dieser Woche werden Australien und Indien ihren Gipfel abhalten – per Telekonferenz. Morrisons geplante Reise nach Neu Delhi wurde wegen der verheerenden Feuer in Australien verschoben, nun bremst ihn Corona aus.

In Peking werden alle Ohren gespitzt sein, wenn Narendra Modi und Morrison am Mittwoch verhandeln. Denn natürlich geht es nicht nur um das Entsenden indischer Studenten nach Australien oder die Ausfuhr von Kohle nach Indien, sondern auch um Flottenmanöver im indischen Ozean. Auf der Telekonferenz wird es, kurz gesagt, darum gehen, China als wichtigsten Handelspartner der Australier durch eine wachsende Nähe zu Indien unter Druck zu setzen.

Wie Modi von Trumps Einladung profitiert

Während Neu Delhi noch schockiert ist von Trumps Behauptung, mit Ministerpräsident Narendra Modi über dessen Grenzkonflikt mit China telefoniert zu haben – was die Inder schnell dementierten, bekommen sie mit der Einladung ein neues Angebot.

Ihnen passt es in diesen Tagen genau ins Kalkül, von Trump als Mitglied eines „Weltrates“ ohne China aufgerufen zu werden. Denn Indien lässt, mit Washingtons Rückendeckung, seit Wochen die Muskeln spielen: Zum einen macht Modi angesichts seines wirtschaftlichen Fiaskos im eigenen Land keinen Hehl daraus, Investoren aus China weglocken zu wollen. Zum anderen versucht die Regierung zugleich, Pekings Vordringen im Himalaja etwas entgegenzusetzen. Dass es Modi innenpolitisch ins Konzept passt, sich durch eine Nähe zu Trump als bedeutender Staatsmann darzustellen, ist spätestens klar, seit er dem Amerikaner bei dessen Besuch in Indien vor wenigen Monaten für die eigene Imageförderung nutzte. Da hilft es natürlich ungemein, nun von Trump zum Partner einer imaginären „G-11“ geadelt zu werden.

Aus Sicht eines amerikanischen Präsidenten, der im eigenen Land massiv unter Druck steht und in den Wahlkampf zieht, machen eine „G-10“, besser noch eine „G-11“ Sinn. Eine solche Gesprächsrunde formalisierte eine Front gegen China. Nach dem Blockieren des Telekommunikationsausrüsters Huawei, dem Anheizen des Handelskonfliktes, der Wiederbelebung der „Quad“ und dem Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erscheint der Vorstoß fast als logischer nächster Schritt. Wie jede Konfrontation, könnten ihm daraus einerseits innenpolitische Gewinne wachsen. Erkauft würden sie allerdings über noch höhere wirtschaftliche Risiken.