MESOPOTAMIA NEWS : LINKE MAX-PLANCK-DIDAKTIK = JE DÜMMER DESTO BESSER ! RUNDFUNK – MEDIEN = wollen mehr Zuhörer*innien bekommen
KULTURKAHLSCHLAG IM RUNDFUNK: Mobbing gegen Bildungsbürger – VON JAN BRACHMANN – FAZ – AM 03.2021-06:23
Ton der schnoddrigen Inkompetenz: Wie im Hörfunk von WDR und RBB „Empfehlungen“ zufolge künftig über Kultur geredet werden soll, ist alarmierend.
In den Kulturprogrammen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gärt es. Gabriele Riedle, seit dreißig Jahren Stammhörerin von RBB Kultur, legte vor wenigen Wochen in der „taz“ dar, warum sie jetzt abschalte: Klassische Musik sei zum Ausnahmefall geworden zwischen lauter Softpopkitsch und Neoklassikgesäusel, und die Sprache in ihrer übergriffigen Inkompetenz sei nicht mehr zu ertragen: „Während vor Urzeiten nur die ans Mikrofon durften, die etwas von dem verstanden, wovon sie sprachen, gibt es längst ,Moderatoren‘, die alles wegmoderieren, was anfällt, und ihre Ahnungslosigkeit gekonnt mit Phrasen, Stereotypen, Klischees unterfüttern.“
Er zahle ungern Rundfunkbeiträge für seine Unterforderung, gab auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum kürzlich zu Protokoll. Bezogen auf Medienberichte zum Hörfunkprogramm von WDR 3, warnte Baum im Interview für den Evangelischen Pressedienst vor einem „Weichspülen“ des Kulturauftrags: „Es wird versucht, Hörer zu binden, indem man die Qualität senkt.
Das ist hochgefährlich.“
Hintergrund von nicht nur Baums Besorgnis sind Berichte zur Neuausrichtung der Auswahl von und des Sprechens über Literatur und Musik auf WDR 3. Das Online-Magazin VAN hatte im Februar publik gemacht, dass der WDR schon im Jahr 2019 eine Hörerstudie hatte durchführen lassen, in deren Ergebnis Kunstlied, Chormusik, Oper, Operette und Jazz als „kritische Genres” eingestuft wurden.
Sie seien im Frühprogramm des Magazins „Mosaik” möglichst zu vermeiden. Den Vorzug dagegen genießen instrumentale „leichte Klassik” wie der „Frühlingsstimmenwalzer” von Johann Strauß oder „romantische/getragene Klassik” wie die „Gymnopedies” von Erik Satie. Häufiger vorkommen im Programm sollen Stücke der „Neoklassik” von Nils Frahm, Max Richter und Philip Glass, daneben symphonische Filmmusik.
An der Studie selbst wäre sowohl die Rubrifizierung der Musikgenres zu diskutieren als auch die Auswahl der Teilnehmer, deren Präferenzen beim Radiohören mehrheitlich bei ganz anderen Programmprofilen lagen als dem von WDR3. Doch nun müssen die Ergebnisse umgesetzt werden.
Man kennt diesen Marschbefehl schon von NDR Kultur, wo in weiten Teilen des Sendeschemas die Software „Music Masters” die Musikauswahl trifft. Menschen dürfen nur noch “moderieren”. Diese Bedenken aber will Matthias Kremin, Wellenchef bei WDR3, auf Anfragen der F.A.Z. sofort zerstreuen: „Die Musikauswahl in WDR 3 wird weiter wie bisher von Musikredakteur*innen verantwortet — in manchen Strecken auch von Autor*innen, die in Absprache mit der Redaktion gestalten und präsentieren.”
Der Druck auch innerhalb seiner eigenen Anstalt ist zu spüren, wenn Kremin vorab bemerkt: „Da in den vergangenen Wochen immer wieder Dinge falsch berichtet wurden, möchte ich zunächst folgende Punkte klarstellen: WDR 3 macht keine Reform. WDR 3 wird auch kein Literaturangebot streichen, sondern in der Form verändern und variieren — an manchen Stellen sogar erweitern. Die Literatur wird neue Sendeplätze mit mehr Zuhörer*innien bekommen. Auch die Musik auf WDR 3 wird in ihrer Vielfalt und hohen Qualität das Profil des Senders bestimmen.”
Mitarbeiter verlassen den Sender
Prominente Mitarbeiter der Welle empfinden das anders. Kalle Burmester sah für sich bei der Sendung „Klassik Forum” keine Zukunft mehr und gab Anfang März auf. Auch Michael Stege-mann, seit 34 Jahren dabei, nahm am 13. März seinen Abschied. In seiner letzten Sendung verglich er sich mit einem Eisbären auf schmelzender Scholle. Für das, was er und wie er es mitzuteilen habe, gäbe es offenbar im Sender immer weniger Unterstützung. Stege-mann schied ohne Groll und Vorwürfe vom Mikrofon, aber er bot noch einmal einen Einblick in das, was ihn selbst ausmacht: sein Kompositionsstudium bei Olivier Messiaen in Paris, seine Förderung durch den Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus, seine Tätigkeit als Herausgeber der Werke von Camille Saint-Saens, seine Beschäftigung mit Glenn Gould und Franz Schubert, dem er 1997 mit dem täglichen „Schubert Almanach” die umtangreicnste oeedung gewidmet hatte, die je von der ARD produziert worden war.
Natürlich ist es zumindest unsensibel, solche Radiomacher und Musikkenner in verpflichtenden Schulungsseminaren der Kabarettistin Susanne Rohrer auszusetzen, die ihnen dann sagt, Worte wie „Libretto”, „fakultativ” ,Hammerflügel” und „Koloraturso-pran” müsse man — in einem Kulturpro-gramm mit Schwerpunkt „klassische Musik” wohlgemerkt — erklären und die Kollegen mögen doch einmal nachdenken über eine Anmoderation wie:
„Wollen wir wetten, meine Damen und Herren, dass die folgende Musik lauter ist als ihr Staubsauger?”
Betont werde zwar immer wieder, dass dies alles nur Empfehlungen, keine Anweisungen seien. Aber diese „Empfehlungen” häuften sich, so Stege-mann im Gespräch mit der F.A.Z. in letzter Zeit immer mehr. Von der „Teamleiterin Musik” Wibke Gerking habe er — vor Zeugen — zu hören bekommen: „Wir bezahlen Sie dafür, dass Sie tun, was wir von Ihnen verlangen. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann müssen wir Konsequenzen ziehen.”
Trotzdem ist es im „Klassik Forum”, wo die Autoren täglich zwischen neun und zwölf Uhr ohne Nachrichtenunterbrechung Musik senden und darüber reden dürfen, immer noch möglich, die Stücke frei auszuwählen, vollständig auszuspielen und ohne redaktionelle Eingriffe zu reden. Fremdsprachige Textrezitationen sind keine Seltenheit, auch avancierte, recht ungeschmeidige Werke der Moderne werden ausgestrahlt. Sogar im Morgenmagazin »Mosaik” hört man weiterhin Interpreten-namen und Opuszahlen der Werke, obwohl „Empfehlungen” im WDR den Verzicht darauf nahelegen. Zu befürchten bleibt bei dem geschilderten massiven Druck von innen, dass dies nur noch für eine Übergangszeit so bleiben wird.
Radio für die „Tchibo-Hausfrau”
Mit bis zu 300 000 Hörern muss sich das „Klassik Forum” nicht verstecken. Woher rührt aber dann der Handlungsdruck? Auf die Frage, ob denn die zwei Prozent aller Menschen über vierzehn Jahren, die WDR 3 im Sendegebiet täglich erreiche, zu wenig seien, antwortet Matthias Kremin: „,Zu wenig’ passt nicht, da wir keine Vorgaben haben. WDR 3 bietet jeden Tag hochwertigstes Programm für viele Menschen — wir freuen uns natürlich immer über neue Hörer*innen und betrachten es auch als unsere Aufgabe, immer wieder neue Kultur- und Klassikinteressierte für das Programm zu begeistern.”
Im Klartext: Es sind doch „zu wenig”. Wobei zu fragen wäre, ob es je mehr waren. Die „Tchibo-Hausfrau” und „mein Fleischer, der zwar keine Ahnung von Musik hat, aber doch regelmäßig ins Konzert geht”, werden in den Schulungsseminaren immer als Beispiel für Adressaten einer hörerfreundlicheren, zugänglicheren Ansprache des Publikums genannt. Was aber, wenn diese bisherigen Nichthörer von WDR 3 ganz glücklich mit dem sind, was sie stattdessen hören, während die Stammhörer mit dem, was sie künftig geboten bekommen solle, unglücklich werden ?
Wie solche Ansprache klingen soll, beschreiben nämlich schon die Richtlinien für die Moderation von Musiksendungen auf RBB Kultur: „Auf Jahreszahlen können wir gerne verzichten. Sie sind ein sicheres Indiz dafür, dass die Sache, über die geredet wird, vorbei ist. Gleiches gilt für historische Erzählungen, die man auch an anderer Stelle nachlesen kann. Damals? Langweilig! Auch die Vornamen der Beethovens und Mozarts zum Beispiel braucht niemand dringend.” Erschrickt man hier über die Nötigung zur Geschichtsvergessenheit, so schlägt einem in der nächsten Bemerkung kaltschnäuzige Schlamperei entgegen: „Unser Publikum prüft uns nicht, ob wir kulturbeflissen alles richtig machen. Und die drei Studienräte, die es dennoch tun, halten wir aus. Denn jede Kompetenz hat Lücken. Wichtiger ist: Unser Publikum ist interessiert, will begeistert und unterhalten werden.” Reaktionen von Hörern belegen das Gegenteil: Bislang hatten sie nichts dagegen, bei der Unterhaltung auch etwas über Musik zu lernen.
Nachdem erst der Programmetat für RBB Kultur um zwanzig Prozent gekürzt wurde und das Programm selbst „urban, modern, überraschend anders” zu werden hatte, ist nun ein Schwund der Stammhörerschaft zu befürchten, ohne dass er durch neue Hörerschichten, etwa Jugendliche, kompensiert werden könnte. Nach der nächsten Medienanalyse läge dann die völlige Streichung des Programms nahe.
Gewiss müssen sich Programme immer wieder erneuern, genau wie die Sprache sich ständig ändert. Doch durch den schnoddrigen Ton der Moderationsleitlinien wird populistisches Bildungsbürgermobbing plötzlich gebührenwürdig.
JAN BRACHMANN