MESOPOTAMIA NEWS : FLÜCHTLINGSPOLITIK & CLAN-KRIMINALITÄT

Seit drei Monaten besteht für die Organisation ein Betätigungsverbot in Deutschland. Das hat vor allem innenpolitische Gründe. Allerdings hatte die Terrorgruppe auch in Deutschland Material gelagert, aus dem Sprengladungen hergestellt werden sollten.

Christoph Prantner, Berlin 23 Kommentare

Knapp dreitausend Tonnen Ammoniumnitrat sollen die Explosion im Beiruter Hafen verursacht haben. In Deutschland dürfte die Terrororganisation Hizbullah grosse Mengen des Stoffs gelagert haben.

Imago

2750 Tonnen Ammoniumnitrat sind am Dienstag im Lagerhaus 12 des Beiruter Hafens explodiert. In den Ermittlungen nach der enormen Detonation, die weite Teile der libanesischen Hauptstadt verwüstete, verweisen inzwischen mehrere europäische Sicherheitsbehörden darauf, dass die schiitisch-libanesische Terrororganisation Hizbullah in den vergangenen Jahren versucht habe, grosse Mengen der explosiven Chemikalie zu beschaffen. Eine entsprechende Operation habe es auch in Deutschland gegeben.

Tonnenweise Ammoniumsalz für Sprengladungen extrahiert

Um an das Ammoniumnitrat zu kommen, beschaffte der Hizbullah jahrelang in grossem Stil sogenannte Kältepacks. Aus diesen Kompressen, die Verletzte üblicherweise auf Schwellungen legen, extrahierte die Organisation die Chemikalie, um sie für Sprengladungen zu verwenden. In London wurden 2015 drei Tonnen Ammoniumnitrat in solchen Kältepacks sichergestellt, die in verschiedenen Wohnungen gelagert worden waren. Im gleichen Jahr wurde auf Zypern ein Hizbullah-Aktivist mit 2,8 Tonnen Ammoniumnitrat verhaftet und später zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er hatte das Ammoniumnitrat ab 2011 im Keller eines Hauses auf Zypern aufbewahrt.

2014 wurde auch der unter moldauischer Flagge fahrende Frachter «Rhosus» wegen Seeuntüchtigkeit von den libanesischen Behörden festgesetzt. Das Schiff hatte in Georgien jenes Ammoniumsalz geladen, das nun die Katastrophe verursacht hat. Laut Frachtpapieren war das Gut für Moçambique bestimmt. Allerdings geschieht nichts, was am Beiruter Hafen an Import- und Exportgeschäften abgewickelt wird, ohne Kenntnis des Hizbullah. Für Libanon-Experten ist es äusserst unwahrscheinlich, dass die Organisation nicht zumindest über die Lagerung der Chemikalie im Bilde war.

Terrorgruppe lagerte Kältepacks in Süddeutschland

Die deutschen Nachrichtendienste ermittelten, laut der «Times of Israel» nach einem Tipp des israelischen Partnerdienstes Mossad, dass eine grössere Menge ebensolcher mit Ammoniumnitrat gefüllter Kältekompressen im Auftrag des Hizbullah zwischen 2012 und 2016 bei einer süddeutschen Speditionsfirma gelagert worden war. Deren Zweck, heisst es vertraulich, sei der Bau von Bomben gewesen. Dafür hätte das Ammoniumnitrat allerdings noch abgeschieden werden müssen. Inzwischen seien diese mehrere hundert Kilogramm Kältepacks nicht mehr in Deutschland gelagert.

Der militärische Arm der libanesischen Organisation wird seit 2013 von der EU als Terrorgruppe geführt. Ende 2019 forderte der Bundestag auch, alle anderen Aktivitäten des Hizbullah in Deutschland zu verbieten – insbesondere diejenigen, die mit Geldwäsche und Terrorfinanzierung im Zusammenhang stehen könnten. Innenminister Horst Seehofer erliess am 30. April ein Betätigungsverbot für Hizbullah-nahe Vereine und Einrichtungen. Gleichzeitig rückten in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen Hunderte Polizisten aus, um Razzien in Moscheen, Gebetshäusern, Privatwohnungen und Büros von Funktionären der «Partei Gottes» durchzuführen. Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl der Hizbullah-Sympathisanten in Deutschland auf rund tausend Personen.

Als Treffpunkte der Aktivisten gelten unter anderem die Al-Irshad-Moschee in Berlin, die Al-Mustafa-Gemeinschaft in Bremen, das Imam-Mahdi-Zentrum in Münster und die Vereinsräume der Gemeinschaft libanesischer Emigranten in Dortmund. Die Räumlichkeiten aller dieser Einrichtungen wurden Ende April durchsucht. Dabei wurden Propagandamaterial und vor allem auch Datenträger sichergestellt, die derzeit von den Staatsanwaltschaften ausgewertet werden. Festnahmen gab es damals nicht. Auch Kältepacks wurden nicht sichergestellt.

«Verbot in erster Linie innenpolitisch begründet»

Israel lobte das Verbot und die Razzien damals explizit, Kritik an der deutschen Bundesregierung kam dagegen aus Iran. Allein: «Die Tatsache, dass der Hizbullah verboten wurde, ist in erster Linie innenpolitisch begründet und nicht aussenpolitisch», sagt der aussenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Bijan Djir-Sarai, der NZZ. Der Hizbullah sehe Deutschland als Rückzugsraum und Finanzplatz. Weil Iran aufgrund der internationalen Sanktionen gegen das Land als Hauptsponsor der Organisation zunehmend finanzschwächer werde, müsse der Hizbullah zu diversifizieren versuchen. Das geschehe durch Autoschiebereien, Drogenhandel und Geldwäsche in Europa, führt der iranischstämmige Politiker aus.

In Deutschland spielt dafür die Clan-Kriminalität eine grosse Rolle, die in den vergangenen Jahren stärker in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt ist.

Während des libanesischen Bürgerkrieges flohen etwa 200 000 Menschen von der Levante nach Deutschland. Mitglieder einiger Grossfamilien zogen kriminelle Netzwerke auf. Etwa ein Viertel – 11 der 45 Clan-Gruppierungen – wird im Lagebild des Bundeskriminalamtes zur organisierten Kriminalität aus dem Jahr 2018 als libanesisch eingestuft. Bei den dominierenden Staatsangehörigkeiten ist das Verhältnis noch deutlicher: Rund 40 Prozent der mutmasslichen Clan-Kriminellen sind laut dem Bundeskriminalamt (BKA) Libanesen.

Deutschland verzeichnet einen hohen Anteil an libanesischen Clan-Mitgliedern

Staatsangehörigkeit der Mitglieder von arabisch-/türkischstämmigen Gruppierungen der organisierten Kriminalität

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter schreibt in einem Positionspapier vom April 2019, dass etwa 25 Prozent der Delikte, die der organisierten Kriminalität allein in Berlin zuzuordnen seien, von arabischen Clans begangen würden. Laut dem BKA trifft das vor allem auf die Bereiche Drogenhandel, Eigentumsdelikte und Geldwäsche zu. Die meisten dieser Straftaten bleiben von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt. Nur spektakuläre Aktionen wie der Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze (Materialwert: 3,7 Millionen Euro) im Jahr 2017 aus dem Bode-Museum erregen grosse Aufmerksamkeit.

Drei Hizbullah-nahe schiitische Grossfamilien

Für den Hizbullah sind in dieser Szene drei schiitische Grossfamilien in Berlin und Nordrhein-Westfalen wesentlich: Mitglieder der Familien Chahrour, Berjaoui und Balhas sollen laut Ermittlern vor allem im Drogenhandel und in der Geldwäsche tätig sein. Das israelische Abba-Eban-Institute in Herzliya erklärte im vergangenen Jahr, es habe Belege für eine Verbindung zwischen einem schiitisch-libanesischen Gebrauchtwagenhändler in Düsseldorf über mehrere Mittelsmänner zum Hizbullah-Chef Scheich Hassan Nasrallah.

Die amerikanische Drug Enforcement Administration (DEA) beschreibt das Vorgehen zur Finanzierung des Hizbullah so: Gebrauchtwagen aus den Vereinigten Staaten würden in Südamerika mit Kokain vollgeladen, nach Westafrika gebracht und dort – ohne Kokain – verkauft. Das Rauschgift finde dann seinen Weg über die Sahara nach Europa. Ein Teil der Erlöse aus beiden Geschäften gehe dann über libanesische Banken an den Hizbullah. Der Umsatz aus diesen Aktivitäten soll laut den amerikanischen Ermittlern pro Monat bei 200 Millionen Dollar liegen.

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