MESOPOTAMIA NEWS : BUNDESWEHRSOLDAT KÄMPFT IN YESIDISCHEN PKK-EINHEITEN

Offensive “Tigerpranke”:Türkisches Militär attackiert PKK im Nordirak

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar (r.) verfolgt eine Militäroperation. 

Die Operation, die nach türkischen Angaben auch Bodentruppen umfasst, überrascht durch ihr Ausmaß und ihre Intensität. Zugleich steigt im Land der Druck auf kurdische Politiker.

Von Tomas Avenarius, Istanbul, und Moritz Baumstieger, München / Süddeutsche Zeitung 18 Juni 2020

 

Mit dem Einsatz von Luftlandetruppen weitet die Türkei ihre Offensive gegen die kurdische PKK im Nordirak aus. Die Offensive “Tigerpranke” habe “nach intensivem Artilleriebeschuss” mit dem Einsatz von Kommandoeinheiten begonnen, so das türkische Verteidigungsministerium am Mittwoch. Eingesetzt würden im nordirakischen Grenzgebiet Haftanin neben den “heldenhaften Kommandos” auch Jets, Hubschrauber und Drohnen. Die Operation sei durch das internationale Recht zur Selbstverteidigung gedeckt, so das Ministerium. Die Truppen “neutralisieren die PKK und andere Terroristen”, welche die Sicherheit der Türkei gefährdeten.

Vorausgegangen war der Operation in den vergangenen Tagen die Luftoffensive “Adlerkralle”. Türkische Jets hatten im nordirakischen Kandil- und im Sindschar-Gebirge mehr als 80 Ziele der “Kurdischen Arbeiterpartei” bombardiert, die in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation klassifiziert ist. Getroffen wurde auch die Umgebung des Flüchtlingslagers Machmur, das nach türkischer Darstellung der PKK als Basis dient. In der Gegend leben nach ihrer Rückkehr auch wieder zahlreiche Jesiden, die 2014 vor der Terrormiliz Islamischer Staat geflohen waren, die die Volksgruppe auslöschen wollte.

 

Martin Klamper, ein Ex-Bundeswehrsoldat, der sich 2017 kurdischen Einheiten im Kampf gegen den IS angeschlossen hatte und heute als Freiwilliger bei einer jesidischen Selbstverteidigungseinheit im Nordirak dient, berichtet der SZ in Chatnachrichten von seinen Beobachtungen der Attacken. In der Nacht zum Mittwoch hätten türkische Jets in mehreren Wellen Stellungen der Miliz angegriffen, unter anderem eine nahe einer Krankenstation im Sindschar-Gebirge. Die Station selbst sei nicht zerstört worden, der Beschuss habe aber großflächige Feuer ausgelöst. Mindestens vier Menschen seien verletzt worden.

In der Kommandozentrale jubelte der Verteidigungsminister bei Treffern der türkischen Bomber

Als Grund für den ausgedehnten Militäreinsatz gab die türkische Regierung den Beschuss türkischer Polizei- und Militärposten im Grenzgebiet durch die PKK an. Man habe bereits zahlreiche PKK-Kämpfer “ausgeschaltet”, die sich in Höhlen verschanzt gehalten hätten. Türkische Medien zeigten Bilder aus der Kommandozentrale der Streitkräfte, auf denen Verteidigungsminister Hulusi Akar und Militärs zu sehen sind, die Bombentreffer bejubeln. Von der PKK, der irakischen Zentralregierung in Bagdad und der halbautonomen kurdischen Region im Nordirak kamen zunächst keine Reaktionen. Die irakische Regierung hatte allerdings am Dienstag den türkischen Botschafter einbestellt, um gegen die Verletzung der irakischen Souveränität zu protestieren.

Die linksgerichtete PKK kämpft seit den Achtzigerjahren gegen den türkischen Staat, mehr als 40 000 Menschen sind infolge der Kämpfe umgekommen. Ihr Rückzugsgebiet ist das nordirakische Kandil-Gebirge. Ihre Stellungen dort werden von den irakischen Kurden geduldet, von der türkischen Armee aber immer wieder aus der Luft angegriffen. Die jetzige Operation, die nach türkischen Angaben auch Bodentruppen umfasst, überrascht jedoch durch ihr Ausmaß und ihre Intensität, da Ankara parallel ausgedehnte Militäreinsätze in Syrien und Libyen betreibt.

Innenpolitisch fällt die Operation in eine Phase erneut wachsender Spannungen zwischen Regierung und den politischen Vertretern der Kurden im Land. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verstärkte den Druck auf die vor allem von den Kurden unterstützte Partei HDP in letzter Zeit, indem sie mehrere HDP-Bürgermeister des Amts enthob. Nachdem nun auch zwei ihrer Parlamentarier inhaftiert worden waren, hatte die HDP von Hakkâri im Osten und Edirne im Westen aus einen Sternmarsch auf Ankara organisiert. Örtliche Stadtverwaltungen verboten daraufhin Massenversammlungen und begründeten das mit der Corona-Gefahr; die Polizei ging mit Knüppeln und Gummigeschossen gegen Marschierende vor. Die Oppositionspartei CHP nimmt an den Protesten nicht teil, obwohl auch einem ihrer Parlamentsabgeordneten die Immunität entzogen wurde.