MESOPOTAMIA NEWS : BIDEN’S TRUPPE FROM SECOND HAND

DIE ZEIT  14 Dec 2020

“Wer in diesen Tagen die mediale Berichterstattung verfolgt, trifft auf unverhohlene Entzückung über die Personalentscheidungen des künftigen US-Präsidenten Joe Biden. Der erste Latino-Heimatschutzminister, die erste weibliche Geheimdienstkoordinatorin und der erste schwarze Verteidigungsminister. Endlich, so der Tenor, spiegele sich die Vielfalt des Landes auch in der Besetzung der höchsten Regierungsämter wider.

Bei so viel Begeisterung für Äußerlichkeiten bleibt naturgemäß wenig Zeit für einen näheren Blick auf die politischen Überzeugungen und Verbindungen der Kandidatinnen und Kandidaten. Dass Bidens designierter Verteidigungsminister Lloyd Austin beispielsweise im Aufsichtsrat des Rüstungskonzerns Raytheon sitzt, war NBC nicht einmal eine Erwähnung wert, und auch die Nachrichtenmeldungen von CNN, der New York Times und der Washington Post beschäftigten sich nur in wenigen, knappen Zeilen mit diesem Thema.

Dabei gäbe es durchaus Gründe für kritische Nachfragen. Raytheon liefert unter anderem Waffensysteme für Saudi-Arabiens Krieg im Jemen und arbeitet zudem eng mit dem US-Militär und dem Pentagon zusammen. Dass nun jemand, der beste Verbindungen zur Rüstungsindustrie pflegt, einen der Hauptauftraggeber für lukrative Rüstungsprojekte führen soll – um die nicht zuletzt auch Raytheon konkurrieren wird –, das scheint den überwiegenden Teil der US-Medien kaum zu interessieren.

[…]

Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist die Kritik der Klimabewegung Sunrise Movement an Joe Bidens schwarzem Kandidaten für die Leitung des Büros für Interaktion mit der Öffentlichkeit, Cedric Richmond. Der bisherige Kongressabgeordnete kommt aus einem der Wahlbezirke des Landes mit der höchsten Luftverschmutzung und setzte sich im Parlament wiederholt für die Interessen der Öl- und Gasindustrie ein, die ihn auch finanziell großzügig unterstützen – eine Tatsache, die Sunrise kritisierte. Der New-York-Times-Redakteur Jonathan Martin schrieb daraufhin bei Twitter, dass dies wohl eine Vorschau auf das kommende Jahr sei, da man “direkt von Anfang an den einflussreichsten schwarzen Mitarbeiter im Weißen Haus attackieren” würde – obwohl Sunrise keinerlei Bezug auf Richmonds Hautfarbe genommen hatte und im Übrigen selbst ethnisch vielfältig ist.

Mit einer ähnlichen Logik kritisierte der schwarze Journalist und Autor Ta-Nehisi Coates vor einigen Jahren den linken US-Senator Bernie Sanders für dessen Pläne zur Erhöhung des Mindestlohns und für eine kostenlose Universitätsbildung. Denn schließlich würde, so Coates, kostenlose Bildung nicht den Gehaltsunterschied zwischen schwarzen und weißen Universitätsabsolventinnen und -absolventen verändern und eine Mindestlohnerhöhung die Jobchancen für Schwarze im Niedriglohnsektor nicht verbessern. Derweil zeigen verschiedene Studien, dass schwarze US-Amerikanerinnen und -Amerikaner überproportional von kostenlosen Bildungsmöglichkeiten und Mindestlohnerhöhungen profitieren würden.

[…]

Eine klassische Umverteilungspolitik mit höheren Steuern für Vermögende, höheren Löhnen im Niedriglohnsektor und einer allgemeinen Krankenversicherung würde Minderheiten überproportional helfen, weil diese in den unteren Einkommens- und Vermögensklassen deutlich überrepräsentiert sind. Viele schwarze Establishmentpolitikerinnen und -politiker, wie zum Beispiel der drittmächtigste Abgeordnete im Kongress, Jim Clyburn aus South Carolina, lehnen Maßnahmen wie die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung gleichwohl ab.

[…]

Auch in dieser Hinsicht ist Kamala Harris ein treffliches Beispiel für den gegenwärtigen Zeitgeist. Zwar stellt sie selbst ihre eigene politische Arbeit gern in die Tradition der Bürgerrechtsbewegung, war als Strafverfolgerin und später Justizministerin in Kalifornien allerdings eher als Law-and-order-Politikerin bekannt, deren rigoroses Vorgehen auch im Bereich der Bagatellkriminalität überproportional Schwarze geschädigt haben dürfte. Bei schwarzen (und den meisten anderen) Wählern kam Harris’ opportunistischer Stil erwartbar nie gut an: Während ihrer erfolglosen Präsidentschaftskampagne im vergangenen Jahr fand sich Harris die meiste Zeit am untersten Ende des Kandidatenfelds und schnitt in Umfragen bei schwarzen Wählerinnen und Wählern weit schlechter ab als die weißen männlichen Kandidaten Bernie Sanders und Joe Biden. Es ist vor allem der liberale Medienkosmos, der von Harris begeistert war und ist.”