MESOP WATCH BRUNO LATOUR: AUS DEN LOCKDOWNS JETZT DIREKTER ZUGRIFF AUFS GANZE ! –  DIE WIR/ HERDE ALLES NUR MONADEN – Jenseits von natura naturans

Lektionen aus dem Lockdown : Ökologie ist nicht grün

  • FAZ  1.12.2021- Es muss ohne „Natur“ und „Umwelt“ gehen: Bruno Latour nutzt wertvolle Lektionen aus dem Lockdown, um eine ganz neue Kartographie unserer Weltverhältnisse einzuüben.

Die gerade zu ihrer vierten Welle auflaufende Pandemie bietet zweifellos viele Lektionen.

Eine von ihnen ist die offenbar immer noch weite Verbreitung der Vorstellung, Wissenschaft könne nach Belieben sofort abfragbare und dabei definitive Einsichten an die Hand geben. Wozu noch das schwierige Verhältnis des Common Sense zu statistischen Sachverhalten kommt, obwohl den mit ihnen einhergehenden Wahrscheinlichkeiten bei Prognosen gar nicht zu entgehen ist, wenn erst einmal intrikat verschachtelte Wirkzusammenhänge unter nicht trennscharf herzustellenden Ausgangsbedingungen ins Spiel kommen – wofür das Virus sehr anschaulich und mit dramatischen Effekten sorgte.

Natürlich, es war nicht auf die Pandemie zu warten, um ein merkwürdiges Bild der Wissenschaften – als hätten sie es durchweg mit experimentellen Präparatwirklichkeiten physikalischer Provenienz zu tun – zu revidieren. Bruno Latour, renommierter Pariser Wissenschaftsforscher und -philosoph, hat diese Revision auch schon vor einiger Zeit vorangetrieben, bevor sie vor fünf Jahren zu einem zentralen Stück seiner weit ausgreifenden „Vorträge über das neue Klimaregime“ wurden, denen noch ein „Terrestrisches Manifest“ folgte. Jetzt liegt ein schmaler Band vor, der dort angestellte Überlegungen aufgreift und fortspinnt, nunmehr aber im Licht der Erfahrungen mit Pandemie und Lockdown.

Bunker, Marsflüge und Sci-Fi-Szenarien

Das Virus hat ja auf seine Weise klargemacht, was auch die Klimawissenschaften vorführen, dass wir in ein großes Geflecht von Akteuren eingebettet sind, menschlichen wie nichtmenschlichen, die als „Natur“ oder „Umwelt“ rein abzutrennen und uns gegenüberzustellen offensichtlich nicht mehr möglich ist. Illusorisch war diese scharfe Abtrennung zwar eigentlich schon immer, doch mittlerweile wird uns ihre Unmöglichkeit – von aufwendig hergestellten und abgedichteten Enklaven bestimmter wissenschaftlicher Praktiken abgesehen – nachgerade demonstriert. Wir bemerken dann, darauf will Latour hinaus, in dieses Geflecht, das mit jeder Forschungsanstrengung neue Agenten, Wechselwirkungen und Funktionsebenen erkennen lässt, eingeschlossen, also gewissermaßen zu einem Lockdown verurteilt zu sein. In einem Geflecht, aus dem es keinen Ausweg gibt, denn unsere unaufhebbare Abhängigkeit vom Eigensinn einer Vielzahl anderer Agenten lässt sich nur noch mit großer Anstrengung verleugnen.

Das klingt bedrohlich, und manche Effekte sind es natürlich auch. Aber für Latour steckt gerade in dieser Einschließung die dringend notwendige Befreiung von falschen Transzendenzen, also der Vorstellung vermeintlicher Auswege, die wir immer noch mitschleppen. Es geht darum, endlich wirkliche Immanenz zu erreichen, sich tatsächlich in diesem Geflecht der uns direkt oder mittelbar betreffenden Wirkmächte zu verorten, welche die sogenannte kritische Zone aufspannen, den dünnen, wenige Kilometer dicken Biofilm des Planeten, auf den wir angewiesen sind. Woran auch Bunker, Marsflüge und Sci-Fi-Szenarien von Fluchten aus unseren Körpern nichts ändern.