MESOP : UNICEF KRITISIERT KINDERSOLDATEN DER PKK/PYD / IN DEUTSCHLAND UNTERSTÜTZT MARTIN GLASENAPP MEDICO INTERNATIONAL DIESE PARTEIEN

Kopfschuss für die kleinen Ungehorsamen

Samstag, 30.05.2015, 00:00 · von FOCUS-Autorin Andrea-Claudia Hoffmann

© UNICEF/Mann Die PKK entführt in Syrien Minderjährige, um sie für den Kampf gegen Islamisten auszubilden. Hier im Bild: Kindersoldaten, die Unicef im Südsudan befreit hat. Kurdische Kämpfer aus Syrien verschleppen Minderjährige und bilden sie für den Kampf gegen die Islamisten aus. Die 14-jährige Norman berichtet über ihre Entführung – direkt vom Schulhof

Eine Konferenz für Kinder sollte es sein. Die Direktorin des Mädchen-Gymnasiums im syrischen Qamishli hatte Norman Ibrahim eingeladen, daran teilzunehmen und bereits alles arrangiert. Ein Mitglied der örtlichen Kurdenpartei, der Partei der Demokratischen Union (PYD), sollte die Neuntklässlerin mit dem Auto dorthin fahren. Doch Norman kam bei der Konferenz nie an.

Schuldirektorin hat Entführung eingeleitet

„Schon als wir losfuhren, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte“, sagt Norman. Der freundliche Chauffeur und seine Begleiterin entpuppten sich als Zwangsrekruteure der PYD; das ist der syrische Ableger der türkischen PKK. Sie verschleppten die 14-Jährige vom Schulhof geradewegs in ein Militärcamp. Die Schuldirektorin hatte mit den Parteikadern gemeinsame Sache gemacht.

Jetzt spricht die Schülerin mit seltsam ruhiger Stimme über ihre Entführung, den Drill und die Qualen, die sie fast zwei Monate ertragen musste. Bis ihr die Flucht in den Nordirak gelang. Von ihrem Versteck dürfen die Häscher der PYD nichts wissen, nach Hause, zu den Eltern und acht Geschwistern, kann sie nie mehr. Selbst im Irak ist sie nicht sicher vor dem langen Arm der mächtigen Kurdenorganisation, die von Abdullah Öcalan gesteuert wird und einen Pakt mit der syrischen Regierung geschlossen hat. Schüler, die zwangsrekrutiert wurden, schweben in der Gefahr, erneut als Kindersoldaten verschleppt zu werden. Sie sollen niemandem von ihren Erlebnissen berichten können. Norman macht es trotzdem: Sie will, dass die Welt erfährt, was die PKK, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, ihr angetan hat. Vor allem jetzt, da die Partei als Gegnerin des Islamischen Staats (IS) bei manchen salonfähig wird.

Gezwungen, gegen den IS zu kämpfen

„Vom Wagen aus sah ich zufällig meinen Bruder Mohammed Nur auf der Straße“, erinnert sich das Mädchen mit dem Kurzhaarschnitt und dem ernsten, verschlossenen Blick an den 5. November vorigen Jahres. Norman fing an zu schreien, schlug von innen an die Scheibe, um den Bruder auf sich aufmerksam zu machen. Eine Milizionärin hielt ihr ein Gewehr an den Kopf. „Sei still!“, befahl sie. Aber Norman schrie noch lauter. Die Frau hieb ihr mit dem Gewehrkolben auf den Hinterkopf, sodass sie ohnmächtig wurde.Sie erwachte in einem militärischen Trainingslager der PYD im syrischen Dorf Mela-Marze. Außer ihr befanden sich noch zehn Minderjährige im Camp. Einige waren entführt worden, andere hatten sich von den Parolen der PYD verführen lassen und waren freiwillig, aber gegen den Willen ihrer Eltern gekommen, um sich für den Krieg gegen den IS ausbilden zu lassen. Sie versuchten, Norman davon zu überzeugen, dass die Organisation für eine gute Sache kämpfe. Aber sie wollte nichts davon wissen. „Ich möchte sofort meine Familie anrufen!“, forderte sie. „Vergiss deine Familie“, antworteten die Milizionäre. „Wir sind jetzt deine Familie.“ Sogar ihren Namen sollte Norman vergessen, ab sofort hieß sie „Jiyan Ahmed“.

Gehirnwäsche durch die Terrororganisation PKK

Der Tagesablauf war strikt und hart. Nachts schlief sie zusammen mit den anderen Mädchen auf dem blanken Boden. Eine Parteimilizionärin hielt Wache, damit keiner weglaufen oder mit den anderen tuscheln konnte. Um 3.30 Uhr mussten alle aufstehen und ums Dorf joggen, oft mit Lasten bepackt. Für das Frühstück um sieben Uhr waren vier Minuten vorgesehen. Danach begannen politische Sitzungen, die bis zum Abend dauerten. Eine Art Gehirnwäsche. „Es ging viel um Menschen- und vor allem um Frauenrechte. Die Parteikader sagten uns, dass der Vorsitzende Öcalan für Gleichberechtigung, Sozialismus und Demokratie steht“, erzählt Norman. „Dreimal mussten wir einen Schwur ablegen: auf die Freiheit Kurdistans und die Freiheit ihres Führers Abdullah Öcalan.“

14-Jährige mit Kalschnikow, Granaten, Panzerfäusten (FOTO)

Nach etwa einer Woche erteilten die Milizionäre den Jugendlichen einen Marschbefehl in Richtung der syrisch-irakischen Grenze. In al-Malikya trafen sie weitere Teenager aus dem syrischen Kurdengebiet. Nachts brach die Gruppe zum Tigris auf. Ein kleines Boot, das zwischen den Ufern hin- und herkreuzte, brachte sie an der offiziellen Grenzkontrolle vorbei auf die irakische Seite. Es waren 60 Kinder in Normans Alter, 40 sogar noch jünger als sie selbst. Norman und weitere Jugendliche sollten den Haftanin-Berg, südlich der türkischen Grenze, besteigen. „Es war bitterkalt, und es herrschte Schneetreiben.“

Unter Aufsicht errichteten die Zwangsrekruten Zelte und Baracken auf dem Berg. Dann begann die militärische Ausbildung. „Wir lernten, mit allen möglichen Arten von Waffen umzugehen: mit der Kalaschnikow, mit Handfeuerwaffen, Granaten, sogar mit Panzerfäusten“, sagt Norman. Damit sollten sie ihre Heimat gegen die Terroristen des IS verteidigen, trichterten ihnen ihre Ausbilder ein. An die Mädchen appellierten sie: „Ihr seid Kurdinnen und starke Frauen. Ihr duldet keine Unterdrückung. Ihr verteidigt eure Freiheit mit der Waffe in der Hand.“

Mädchen vor den Augen der anderen mit Kopfschuss hingerichtet

Freiheit? Im Camp konnte davon keine Rede sein. Wer sich den Anweisungen der Ausbilder widersetzte, kassierte körperliche Strafen. „So mussten wir stundenlang Wasserkanister bis zur Quelle auf dem Rücken tragen“, sagt Norman, „oft reichte uns der Schnee bis zum Hals.“

Eines Abends wurden die Jugendlichen zu einer Sitzung mit 140 Kämpfern zusammengerufen – denn eines der Mädchen hatte versucht zu fliehen. Zum achten Mal.

„Sie war ein ganz ruhiges Mädchen aus Afrin. Ihr Kampfname war Beritan Tolhidan. Ich glaube, sie haben sie immer wieder eingefangen, weil sie nicht genug Selbstvertrauen hatte“, meint Norman. Das Mädchen musste sich auf eine Bühne stellen. „Berfin Agri, die Kommandantin, beschimpfte sie als Verräterin. Sie hielt ihr ein Gewehr an den Kopf und sagte, die Kugel sei eigentlich zu gut für sie . . .“ Norman stehen die Tränen in den Augen, während sie erzählt. Beritan, behauptet sie, sei mit einem Kopfschuss getötet worden. Sie und die anderen waren starr vor Schock, als das Mädchen in sich zusammensackte. „Keiner traute sich, etwas zu sagen. Nur ein Mann murrte leise. Da hat ihm ‘Freundin Berfin’ ebenfalls das Gewehr an den Kopf gehalten und gesagt, sie werde mit ihm dasselbe machen.“

Mit Gürteln und Kabeln geschlagen

Während einer politischen Schulung träumte Norman vor sich hin, kritzelte ein paar traurige Zeilen an ihre Mutter auf ihren Notizblock. Ihre Kameradin Jeldez beobachtete sie dabei. „Ich fühle genauso wie du“, flüsterte das Mädchen ihr abends, vor dem Schlafengehen, zu. Jeldez verriet Norman, dass sie den Weg ins Dorf kenne. Schnell waren sich die beiden einig: In einer der nächsten Nächte wollten sie gemeinsam die Flucht wagen. Doch bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnten, verriet sie einer der Jugendlichen.

Die Kader sperrten sie in eine Baracke, vier Tage lang, getrennt voneinander, ohne Nahrung. Das Gefängnis verließ Jeldez mit Wunden am ganzen Körper. „Sie war mit Gürteln und Kabeln geschlagen worden“, berichtet Norman.

“Das Rekrutieren von Schülern ist gang und gäbe”

Noch in derselben Nacht versuchten die Freundinnen es während einer Wachablösung ein zweites Mal. Beide stopften Kissen unter ihre Decken, damit es so aussah, als ob sie schliefen. Dann liefen sie los. Im Morgengrauen begegneten sie im Dorf Avia einer alten Frau, die ihnen den Weg zum nächsten Checkpoint der Peschmerga wies, der irakischen Kurden-Miliz. Sie gehören nicht zu Öcalans Leuten.

„Wir haben Dutzende Minderjährige aufgegriffen, die die PYD zwecks Militärtraining verschleppt hat“, bestätigt ein Mitarbeiter des Peschmerga-Geheimdienstes in Erbil. „Das Rekrutieren von Schülerinnen und Schülern ist gang und gäbe. Die Eltern können nichts dagegen tun: Sie fürchten die Allmacht der Partei.“ www.mesop.de