MESOP TÜRKEI MENSCHENRECHTSBERICHT JANUAR 2016 – Todesopfer bei Ausgangssperren zwischen dem 25. Dezember 2015 & dem 8. Januar 2016
Demokratisches Türkeiforum
Am 9. Januar 2016 veröffentlichte die Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV) ein Informationsblatt mit einer Bilanz zu tödlichen Ereignissen unter Ausgangssperren für den Zeitraum zwischen dem 11. Dezember 2015 und 8. Januar 2016.[1] Zuvor (am 26. Dezember) hatte die TIHV einen Bericht über die “Verletzungen des Rechts auf Lebens während der zwischen dem 11. und 25 Dezember 2015 verhängten Ausgangssperren” veröffentlicht.[2] Dieser Bericht war vom DTF mit dem Titel Todesopfer bei Ausgangssperren im Dezember 2015 übersetzt worden. Die dort aufgeführten Ereignisse werden nicht wiederholt. Des Weiteren hat sich das DTF auch in dieser Übersetzung auf die in dem Bericht genannten Todesopfer beschränkt. Ein Folgebericht existiert unter Todesopfer bei Ausgangssperren zwischen dem 16. August 2015 und dem 21. Januar 2016. Übersicht:
Seit dem 16. August 2015 wurde in mindestens 19 Kreisstädten von 7 Provinzen (vor allem in Diyarbakır, Şırnak, Mardin und Hakkari 58 Mal eine Ausgangssperre, tagelang oder dauerhaft verhängt. Nach den Aufzeichnungen der TIHV verloren in diesen 5 Monaten mindestens 162 Zivilisten (darunter 29 Frauen, 32 Minderjährige und 24 Personen über 60 Jahre alt) ihr Leben in den Orten unter Ausgangssperre. Die Ereignisse haben sich nach dem 11. Dezember 2015 verschärft. Bei den seither verhängten Ausgangssperren (in Sur (Diyarbakır) wurde die am 11. Dezember ausgerufene Ausgangssperre einmal für 17 Stunden unterbrochen, die in Dargeçit (Mardin) verhängte Ausgangssperre wurde am 29. Dezember 2015 beendet, während in Cizre und Silopi (Şırnak) am 14. Dezemver 2015 ausgerufene Ausgangssperre andauert und die in Nusaybin (Mardin) geltende Ausgangssperre am 24. Dezember 2015 beendet wurde), d.h. in nur 29 Tagen wurden mindestens 79 Zivilisten (darunter 18 Frauen, 14 Minderjährige und 15 Personen über 60 Jahre alt) getötet.
Nach Zeugenaussagen waren darunter 22 Personen, die innerhalb der von ihnen bewohnten Häuser durch Panzergeschosse oder einschlagende Artilleriegeschosse, bzw. auch durch gesundheitliche Probleme in direktem Zusammenhang mit der bestehenden Situation ihr Leben verloren. Hinzu kommen 4 Personen,[3] die bei Demonstrationen gegen die Ausgangssperren außerhalb der Sperrzonen durch Feuer der Sicherheitskräfte umkamen.[4]
Die wichtigsten Daten hat die TIHV in einer Grafik dargestellt. Sie ist in Englisch und in Türkisch vorhanden.
Situation in Diyarbakır – Sur
Nach dem Zensus von 2014 leben in Sur 121.750 Personen. Hier wurde zuvor schon 5 Mal eine Ausgangssperre verhängt (längste Dauer: 9 Tage). In dieser Zeit wurden 6 Zivilisten (2 davon Minderjährige) getötet.
Die am 2. Dezember 2015 verhängte Ausgangssperre wurde am 10. Dezember 2015 für 17 Stunden unterbrochen. Die 6. Ausgangssperre dauert noch an.
In dieser Zeit verloren 10 Zivilisten (darunter jeweils 1 Frau, 1 Minderjähriger und 1 Person über 60 Jahre alt) ihr Leben und 10 Zivilisten wurden verletzt.
Todesfälle in Ergänzung zum Bericht vom 26. Dezember 2015:
Am 24. Dezember 2015 wurden in der Nähe des Viertels Şehitlik die Leichen von Sezgin Demirok, Şoreş Mutlu und Cüneyt Yeni gefunden. In der Nähe wurden Handschellen aus Plastik gefunden. Dadurch kam der Verdacht auf, dass diese Personen erst festgenommen und dann hingerichtet wurden.
Es wurde erst später bekannt, dass am 23. Dezember 2015 im Stadtteil Hasırlı İsa Oran (21) durch Schüsse der Sicherheitskräfte ums Leben kam.
Am 8. Januar 2016 wurde bekannt, dass Aziz İlhan (47) am 24. Dezember 2015 getötet wurde.
Am 30. Dezember 2015 wurde im Stadtteil Hasırlı Ramazan Öğüt (16) durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet.
Am 3. Januar 2016 traf ein Artilleriegeschoss ein Haus im Stadtteil İskenderpaşa. Melek Apaydın (38) starb und zwei Bewohner wurden verletzt.
Situation in Mardin – Dargeçit
Nach dem Zensus von 2014 leben in Mardin-Dargeçit 28.621 Menschen. Zwischen dem 10. und 13. Oktober 2015 galt hier eine Ausgangssperre, in dessen Verlauf ein Minderjähriger getötet wurde.
Am 11. Dezember wurde eine 2. Ausgangssperre verhängt, die am 29. Dezember 2015 aufgehoben wurde. In dieser Zeit verloren 4 Zivilisten ihr Leben (darunter 1 Frau und 1 Personen über 60 Jahre alt.
Todesfälle in Ergänzung zum Bericht vom 26. Dezember 2015:
Am 23. Dezember 2015 wurde eine Wohnung im Stadtteil Safa beschossen. Zwei Personen (Necim Kılıç (67) und seine Tochter Sabahat Kılıç (28)) starben und drei Familienmitglieder wurden verletzt. Am 7. Januar 2016 erlag Fatma Kılıç ihren Verletzungen im Krankenhaus.
Situation in Mardin – Nusaybin
Nach dem Bericht vom 26. Dezember 2015 gab es keine neueren Erkenntnisse.
Situation in Şırnak – Silopi
Nach dem Zensus von 2014 leben in Şırnak-Silopi 121.110 Menschen. Zwischen dem 7. und 9. Oktober 2015 galt hier schon einmal eine Ausgangssperre.
Die am 14. Dezember 2015 verhängte Ausgangssperre dauert an. In dieser Zeit wurden 26 Zivilisten (darunter 5 Frauen, 6 Minderjährige und 1 Person über 60 Jahre alt) getötet und mindestens 13 Zivilisten verletzt.
Todesfälle in Ergänzung zum Bericht vom 26. Dezember 2015:
Am 25. Dezember 2015 wurde im Stadtteil Nuh Hasan Sanır (75) durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet.
Am 27. Dezember 2015 verlor Salihê Şirnexî (Salih Erener-75) im Stadtteil Karşıyaka sein Leben, da trotz seines kritischen Gesundheitszustands ein Rettungswagen nicht in sein Viertel gelassen wurde.
Am 29. Dezember 2015 wurde die Leiche von Seyfettin Sidar im Stadtteil Barbaros gefunden. Er galt seit vier Tagen als vermisst und wies Einschüsse auf.
Am 30. Dezember 2015 wurde die Leiche von İsmail Yevşan (55) ins Staatskrankenhaus von Şırnak gebracht. Er war im Stadtteil Nuh von einem Artilleriegeschoss getroffen worden.
Am 31. Dezember 2015 wurde die Leiche von Necati (Nejat) Öden (18) gefunden. Er galt seit drei Tagen als vermisst. Sein Körper wies Spuren von Folter und Schleifen über den Boden auf.
Am 1. Januar 2016 wurde Ömer Yalman (45) von Spezialeinheiten der Polizei beschossen. Verwandte wollten ihn ins Krankenhaus bringen, aber er verstarb noch vor der Ankunft.
Am 2. Januar 2016 fand im Stadtteil Karşıyaka eine Operation statt, bei der Ömer Maslu (70) durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet wurde.
Am 3. Januar 2016 fielen Artilleriegeschosse auf ein Haus im Stadtteil Barbaros. Von den 4 verletzten Personen verstarb Yusuf Yağcı.
Am 4. Januar 2016 starben vier Personen (drei Frauen und ein Mann) in einem Kugelhagen. Während die Identität des Mannes erst am 7. Januar 2016 mit İslam Atak (20) ermittelt werden konnte, handelte es sich bei den Frauen um Sêvê Demir, Mitglied des Parteiparlaments der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), Pakize Nayır, Vorsitzende des Volksparlaments in Silopi und Fatma Uyar, Aktivistin des Kongresses der Freien Frau KJA (Kurdisch: Kongra Jinen Azad, Türkisch: Özgür Kadın Kongresi). Sie sollen gezielt erschossen worden sein, nachdem sie verletzt waren.[5]
Am 7. Januar 2016 wurde die Leiche von Hasan Yağmur (42) im Stadtteil Karşıyaka gefunden. Er war am 2. Januar 2016 in einem gepanzerten Fahrzeug “abgeholt” worden. Die Leiche wies einen Einschuss auf Hasan Yağmur soll verblutet sein.
Am 7. Januar 2016 wurde die Leiche von Aydın Mete (16) gefunden. Er galt seit vier Tagen als verschwunden, als er das Haus verließ, um einen Nachbarn zu besuchen.
Situation in Şırnak – Cizre
Nach dem Zensus von 2014 leben in Şırnak-Cizre 132.857 Menschen. Hier wurde zuvor 4 Mal eine Ausgangssperre verhängt, die längste davon dauerte 8 Tage. In diesen Zeit wurden 23 Zivilisten getötet.
Die am 14. Dezember 2015 verhängte Ausgangssperre dauert an. Bisher haben 36 Zivilisten (darunter 10 Frauen, 7 Minderjährige und 7 Personen über 60 Jahre alt) ihr Leben verloren und 36 Zivilisten wurden verletzt.
Todesfälle in Ergänzung zum Bericht vom 26. Dezember 2015:
Am 25. Dezember 2015 wurden im Stadtteil Sur Soulin İnce und ihr Baby Miray İnce durch Scharfschützen schwer verletzt. Der Großvater Ramazan İnce (80) wurde bei dem Versuch, sie ins Krankenhaus zu bringen, erschossen. Das Baby Miray İnce (3 Monate) verstarb im Krankenhaus.
Am 27. Dezember 2015 wurde im Stadtteil Cudi Ali Tetik (34) vor seinem Haus durch Schüsse schwer verletzt. Er verstarb am 5. Januar 2016 im Krankenhaus.
Am 28. Dezember 2015 verstarb Kumru Işık (85). Ihr Gesundheitszustand hatte sich aufgrund des ständigen Feuers der Sicherheitskräfte verschlechtert.
Am 28. Dezember 2015 verstarb im Stadtteil Hüseyin Ertene (16) durch Schüsse der Sicherheitskräfte.
Am 28. Dezember 2015 erschossen Spezialteams im Stadtteil Cudi Hüseyin Selçuk (5) durch einen Genickschuss.
Am 29. Dezember 2015 verstarb Zeynep Demir (65-70). Sie hatte am 27. Dezember 2015 einen Herzinfarkt erlitten.
Am 30. Dezember 2015 wurde der Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Gewerkschaftsmitglied Abdülaziz Yural (28) im Stadtteil Nur von Scharfschützen erschossen, als er einer verletzten Person helfen wollte.
Am gleichen Tage wurde ebenfalls im Stadtteil Nur Kazım Tonğ (51) von Spezialeinheiten schwer verletzt, als er Kinder nach Hause bringen wollte. Er verstarb am 4. Januar 2016 im Krankenhaus.
Am 30. Dezember 2015 wurde Hediye Erden (60) in einem Haus im Stadtteil Yafes durch ein Panzergeschoss schwer verletzt. Sie verblutete, weil sie nicht aus dem Haus gebracht werden konnte.
Am 1. Januar 2016 wurde im Stadtteil Cudi Cabbar Taşkın (40) in der Nähe seines Hauses angeschossen. Wegen den Schießereien in seinem Viertel konnte er nicht fortgebracht werden. Am Morgen wurde sein Tod festgestellt.
Am 3. Januar 2016 wurde im Stadtteil Yafes Sezai Burçin (43) durch Schüsse getötet.
Am 4. Januar 2016 wurde Besna Zırığ (50) im Stadtteil Dicle durch Bombenlärm schlecht. Sie verstarb an einem Herzinfarkt.
Am 5. Januar 2016 erlitt Fatma Acet (40) im Stadtteil Cudi einen tödlichen Herzinfarkt aufgrund der Schüsse von Panzern, die verhinderten, dass ein Rettungswagen zu ihr vorgelassen wurde.
Am 6. Januar 2016 meldete Radikal wurde im Stadtteil Cudi Bişeng Goran (12) von Kugeln getroffen wurde und und verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hatte mit seiner Familie versucht, mit einer weißen Fahne den Stadtteil zu verlassen.
Am 7. Janaur 2016 wurden die Brüder Nidar Sümer (17) und Halis Sümer (45) durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet, als sie versuchten, Wasser von einem Nachbarn im Stadtteil Dağkapı zu holen.
Am 7. Januar 2016 wurde Osman Tekin (50) von Sicherheitskräften in den Bauch geschossen. Weil kein Rettungswagen in die Straße gelassen wurde, verblutete er.
[1]Dieser Bericht kann sowohl in Englisch FACT SHEET on DECLARED CURFEWS in TURKEY BETWEEN 11 DECEMBER 2015 – 8 JANUARY 2016 als auch in Türkisch BİLGİ NOTU: 11 ARALIK 2015 – 8 OCAK 2016 TARİHLERİ ARASINDA SOKAĞA ÇIKMA YASAKLARI nachgelesen werden.
[2]Dieser Bericht kann sowohl in Englisch FACT SHEET on Declared Curfews Between 11-25 December and Violations of Right to Life Against Civilians als auch in Türkisch 11-25 Aralık 2015 Sokağa Çıkma Yasakları ve Sivillere Yönelik Yaşam Hakkı İhlalleri nachgelesen werden.
[3]Das waren Şerdıl Cengiz (21-Stadtteil Bağlar von Diyarbakır), Şiyar Salman (18-Stadtteil Bağlar von Diyarbakır) und Şiyar Baran (13-Stadtteil Seyrantepe von Diyarbakır) und Emire Gök (39-Stadtteil Gırnavas von Nusaybin, wo zunächst die Ausgangssperre nur in bestimmten Stadtteil, später in der gesamten Kreisstadt verhängt wurde).
[4]In diesem Bericht sind unter dem Begriff Sicherheitskräfte sowohl Einheiten des Dezernats für Terrorbekämpfung der türkischen Polizei der Polizei, Sondereinheiten der Polizei und der Gendarmerie, Militäreinheiten, die schnelle Eingreiftruppe (tr: Çevik Kuvvet), sowie die selbst ernannten und in der Öffentlichkeit unter diesen Namen bekannten Teams von JİTEM, Esedullah und Hançer gemeint.
[5]Vergleiche den Bericht vom Januar 2016