MESOP REPORT : SYRISCHE GIFTGASANGRIFFE AUF VIDEO / FORDERUN NACH ANKLAGE ASSADS WEGEN KRIEGSVERBRECHEN (FORDERUNGEN AN DEUTSCHE BUNDESREGIERUNG)

18 April 2015 – Markus Bickel – FAZ – Die Botschafterin der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, hat die Debatte um rechtliche Konsequenzen für den Einsatz von Giftgas in Syrien neu entfacht. Nach der Präsentation von Videobeweisen, die belegen sollen, dass in der Provinz Idlib im März Chlorgas eingesetzt wurde, sagte sie am Donnerstag in New York, dass „das Material eines Tages vor einem Gericht verwendet” werde. Syrische Oppositionelle hatten zuvor einen Film gezeigt, in dem Ärzte in der Gemeinde Sarmin vergeblich versuchten, drei kleinen Kindern das Leben zu retten, nachdem sie mit Chlorgas in Berührung gekommen waren. Derartige Bilder seien notwendig, um die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen eines Tages zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Power.

Der Angriff auf das Dorf war erfolgt, kurz nachdem der UN-Sicherheitsrat eine Resolution verabschiedet hatte, die den Einsatz von toxischen Kampfstoffen unter Androhung militärischer Maßnahmen ächtet. Augenzeugen berichteten, dass das Gift von Hubschraubern in Fässern auf die Gemeinden Sarmin und Qmenas abgeworfen wurde. Neben mehreren Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) seien die meisten Opfer Zivilisten gewesen. Die syrische Regierung unter Machthaber Baschar al Assad wies die Verantwortung für den Einsatz zurück. Bereits zuvor hätte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) festgestellt, dass allein das Regime in Damaskus über Hubschrauber verfüge, nicht aber Oppositionsmilizen.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) präsentierte Anfang der Woche Belege für den wiederholten Einsatz von Giftgas durch das Assad-Regime. Mindestens 206 Menschen seien allein in der zweiten März-Hälfte bei Fassbombenangriffen durch Chlorgas und andere toxische Stoffe in der Provinz Idlib verwundet worden, berichtete HRW unter Berufung auf Mediziner. Darunter fällt auch der Angriff auf Sarmin, bei dem insgesamt sechs Menschen getötet worden seien. Die Hauptstadt der an die Türkei angrenzenden Provinz war vergangenen Monat unter die Kontrolle von Oppositionseinheiten gelangt. In der Vergangenheit hatte das Regime wiederholt Giftgas eingesetzt, wenn-seine Bodentruppen militärische Verluste hinnehmen mussten.

Seit dem Angriff auf Oppositionsviertel vor Damaskus im August 2013 mit dem Nervengas Sann, bei dem mehr als 1400 Menschen getötet worden waren, .hat die OPCW mehrere Giftgasangriffe bestätigt, bei denen unter anderem Chlorgas eingesetzt wurde. Amerikas Präsident Barack Obama hatte im Sommer 2013 zunächst militärische Maßnahmen gegen das Regime in Damaskus angedroht, nach Assads Ankündigung, sein Chemiewaffenarsenal unter Aufsicht von OPCW-Inspekteuren vernichten zu lassen, jedoch von Angriffen abgesehen. Seitdem Mitarbeiter der Organisation im Mai vergangenen Jahres bei der Fahrt zum Ort eines angeblichen Giftgasangriffes beschossen wurden, war es ihnen jedoch nicht mehr möglich, unabhängige Untersuchungen anzustellen.

Unterdessen erhöht die syrische Opposition ihren Druck auf Mitglieder des Sicherheitsrats, die Verantwortlichen für den Einsatz von Giftgas zur Rechenschaft zu ziehen, wie in Resolution 2209 von An-fang März verlangt. Der Vorsitzende der Nationalen Koalition, Khaled Khoja, forderte, die „äußerste Missachtung internationaler Gesetze und Konventionen” durch das Assad-Regime umgehend zu ahnden, um weitere Opfer und eine Fortsetzung des Luftkrieges durch Regierungseinheiten zu verhindern. Zudem müsste die Freie Syrische Armee (FSA) mit besseren Waffen ausgestattet werden, um dem Regime militärisch entschiedener entgegentreten zu können.

Bereits nach den ersten Berichten über den Chlorgasangriff auf Sarmin hatten sich syrische Regimegegner gemeinsam mit irakischen Angehörigen der Opfer des Giftgasangriffs auf die irakisch-kurdische Gemeinde Halabdscha aus dem Jahr 1988 zusammengeschlossen, um ein Ende der Straflosigkeit für die Täter zu fordern. Ihre Kampagne „Breathless” verlangt auch Rechenschaft von der Bundesregierung, da deutsche Firmen sowohl bei der Entwicklung des irakischen Giftgasprogramms von Machthaber Saddam Hussein beteiligt gewesen sein sollen als auch bei der des syrischen Regimes: „Wer an Staaten, die bekanntermaßen an Programmen für Massenvernichtungswaffen arbeiten, Material zur Produktion und Konfektionierung chemischer Kampfstoffe liefert, kann sich nicht damit herausreden, von der militärischen Verwendung nichts geahnt zu haben.” Behauptungen des stell-vertretenden syrischen Außenministers Faisal Miqdad von November 2014, Oppositionsgruppen seien für den Einsatz von Giftgas verantwortlich, hat das Regime nie belegt.