MESOP REPORT Nordirak: Kurdische Regierung (KRG) nimmt Jesiden ins Visier / FLUCHT NACH DEUTSCHLAND

DIE PRESSE WIEN – 7 April 2015 – Sicherheitskräfte der Kurdenregion verhafteten Jesiden-Kommandeur Haydar Shesho und wollen ihn vor Gericht stellen. Beobachter vermuten, dass sich Kurden-Präsident Barzani einen Konkurrenten vom Hals schaffen will.

Sie hatten sich gegen den Ansturm der Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) zu Wehr gesetzt, schienen auf verlorenem Posten, als sie nur mit einer Handvoll Kämpfer die jesidische Pilgerstätte Sherfedin verteidigten und dem IS den Zugang zu den zehntausenden jesidischen Flüchtlingen in den Bergen versperrten. Mittlerweile hat die Heza Parastina Shingal (HPS), die Verteidigungseinheit von Shingal, fast 3000 Mann gegen die IS-Extremisten im Einsatz.

Doch nun scheint die jesidische Miliz einer neuen Bedrohung gegenüberzustehen: Haydar Shesho, einer ihrer höchsten Kommandeure, wurde von Sicherheitskräften der kurdischen Regionalregierung im Nordirak verhaftet. Eigentlich waren sie in sein Haus in der Stadt Duhok gekommen, um seinen Schwiegervater festzunehmen. Als Shesho das verhindern wollte, wurde auch er abgeführt.

Wie am Dienstag bekannt wurde, will ihn die Regionalregierung wegen der „Gründung einer illegalen Miliz“ vor Gericht stellen. Zudem kursierten Berichte, dass auch noch andere Kommandeure der HPS verhaftet worden seien.Jesidische Beobachter sehen hinter diesem Vorgehen handfeste politische Gründe: Der Präsident der Kurdenregion, Massoud Barzani, will sich demnach potenzieller Konkurrenten im Kampf um die Macht in den Jesiden-Gebieten entledigen. Haydar Shesho hatte zuletzt unverhohlen Kritik an Barzani geübt: Erst habe die Kurdenregierung die Jesiden im Stich gelassen. Und jetzt fordere sie von ihnen im Gegenzug für Waffenlieferungen die Unterordnung, sagte Shesho in einem Interview. Als der IS im August die Jesidengebiete im Sinjar-Gebirge attackiert hatte, hatten sich Barzanis Peschmerga zurückgezogen. Viele Jesiden werfen der kurdischen Regionalregierung deshalb vor, sie anfangs den IS-Extremisten ausgeliefert zu haben.

Anschluss an Kurdenregion?

Die erste Hilfe von außen erhielten die Jesiden aus Syriens Kurdengebieten. Die mit der türkisch-kurdischen Untergrundorganisation PKK verbündeten Volksverteidigungseinheiten kämpften einen Fluchtkorridor frei. Im Dezember starteten dann auch Barzanis Peschmerga eine Großoffensive und drängten den IS in den Jesidengebieten zurück.

Sinjar oder Shingal, wie es die Kurden nennen, liegt außerhalb der Kurdenregion im Nordirak. Die von Barzani geführte Regierung in Erbil erwägt, Sinjar der Kurdenregion anzuschließen. Damit könnten die Jesiden in Zukunft besser geschützt werden, lautet das Argument. Auch unter den Jesiden waren viele mit diesem Ansatz einverstanden. Qasim Shesho, der Chef der HPS und Onkel des nun verhafteten Haydar Shesho, hatte bisher gute Beziehungen zu Barzani unterhalten. Er gilt als jesidischer Verbündeter des Kurden-Präsidenten.

Auch Qasims Neffe Haydar folgte offiziell diesem Weg. In der Vergangenheit gehörte er aber der Patriotischen Union Kurdistan (PUK) an, der Konkurrenzpartei von Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (PDK). Zuletzt soll Haydar auch Waffen und Ausrüstung von der irakischen Regierung in Bagdad angenommen haben. Das ist so gar nicht nach Barzanis Geschmack, der damit Einfluss auf die jesidischen Kämpfer verliert.

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 08.04.2015)