MESOP NEWS : FAME & FICTION – SUSAN SONTAG EXPLOITS HANNAH ARENDT

Susan Sontag und Hannah Arendt : Worin unsre Stärke besteht

Von Kai Sina FAZ – 1.12.2021 Hannah Arendt war für Susan Sontag ein intellektuelles Vorbild, und dennoch hat sie sich nie eingehend über sie ­geäußert. Warum? Ihr Nachlass ermöglicht eine begründete Spekulation.

Wenn es um Hannah Arendt ging, sparte Susan Sontag nicht mit starken Worten. In ihrer Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2003 bezeichnete sie Arendt als ein „Muster an Ernsthaftigkeit“, im Tagebuch ist von ihr als entscheidendem Einfluss auf die eigene „geistige Formung“ die Rede. Sontags Werk steht dazu allerdings in einem auffälligen Missverhältnis: In ihren Essays äußert sie sich nur selten über ihr „Muster“, und dort, wo sie auf Arendt zu sprechen kommt, geschieht dies eher oberflächlich. Dieser Befund erstaunt auch deshalb, weil sich Sontag ansonsten stets ausführlich mit ihren europäischen Vorbildern auseinandergesetzt hat – mit Albert Camus, Walter Benjamin und E. M. Cioran, mit Thomas Mann, W. G. Sebald und Simone Weil etwa. Was also hat es mit ihrer Wortkargheit ausgerechnet in Bezug auf Hannah Arendt auf sich?

Auch die Durchsicht der mittlerweile ziemlich umfangreichen Literatur über die 2004 verstorbene Schriftstellerin gibt kaum weiteren Aufschluss über diese Frage. Zwar wird der Name Arendts in den einschlägigen Veröffentlichungen immer wieder angeführt, ohne dass Sontags eigenen Äußerungen jedoch Wesentliches hinzugefügt würde: Vor allem als Intellektuelle und Frau sei Arendt für Sontag ein Vorbild gewesen, liest man in Benjamin Mosers im Original 2019, ein Jahr später auch auf Deutsch bei Penguin erschienener Biografie. Für Moser ist die Bezugnahme Sontags auf Arendt offenbar von so unmittelbarer Plausibilität, dass er auf weitere Erläuterungen nahezu verzichtet. Was er stattdessen anführt, sind Anekdoten und Details, aus denen argumentativ kaum etwas folgt: Arendt, die 1963 einen Werbetext für Sontags Debütroman „The Benefactor“ (deutsch 1966 „Der Wohltäter“) verfasst, die beiderseitige Zugehörigkeit zum Autoren- und Leserkreis der Zeitschrift Partisan Review, die gemeinsame Freundin Mary McCarthy – und so fort.