MESOP NEWS DISCOVERY: WIEVIELE PANZER WAR DENIZ YUCEL WERT ? / VON BÜLENT MUMAY / GABRIELS „WAFFENEMBARGO“

Für Deniz Freilassung geschahen Dinge, die uns türkische Journalisten vor Neid erblassen ließen.

FAZ Feuilleton 22. Febr 2018 –  Deniz Yücel ist aus der Haft freigekommen, doch welchen Preis zahlt die Bundesregierung dafür an Erdogan ?

In dem Brief, den Sie soeben zu lesen begonnen haben, geht es ein wenig sentimental zu. Das Thema betrifft meine Journalistenkollegen und mich unmittelbar, da kann ich journalistische Objektivität nicht vollständig wahren. Das sei vorausgeschickt. Jeder freut sich darüber, dass Deniz Yücel frei ist, gleich ob er ihn persönlich kennt. Die Freude von Menschen wie mir, die mit Deniz befreundet sind, ist natürlich besonders groß. Er gehörte zu den wenigen, die es bekanntmachten und vor dem Gericht auf mich warteten, als ich eines Morgens nach dem Putschversuch 2016 aus dem Haus heraus festgenommen wurde.

Ein paar Jahre zuvor hatte die Jugendorganisation von Erdogans Partei die Zeitung, für die ich damals tätig war, wegen einer Meldung gestürmt. Nachdem mitten in der Nacht voll Steinen und Knüppeln die Scheiben zu Bruch gegangen waren, kam durch die Hintertür des Gebäudes einzig und allein Deniz zu einem Solidaritätsbesuch in die Redaktion. Er war gewissermaßen noch vor der Polizei bei uns. Deshalb traf mich seine Festnahme besonders, und dass er nun wieder bei seinen Lieben ist, gehört für mich zu den besten Nachrichten der letzten Zeit.

Nichts von alledem, was im Zuge seiner Freilassung geschah, kann die Freude über seine Freiheit überschatten. Ein Statement aus Berlin aber hat die mehr als 150 Journalisten, die noch hinter Gittern sitzen, die Zigtausenden Angestellten des öffentlichen Dienstes, denen Job und Pass genommen wurde, Hunderte Wissenschaftler und sämtliche politischen Gefangenen in der Türkei zutiefst verletzt.

Deniz Yücel war vor einem Jahr festgenommen worden. Vom Polizeipräsidium, wohin er zu Fuß gegangen war, um seine Aussage zu machen, wurde er dem Gericht überstellt und kam ins Gefängnis. Wie stets fiel es zunächst Erdogan und anschließend den von ihm kontrollierten Propagandamedien zu, sich gegen die wachsenden Proteste zu stellen und Argumente für die Verhaftung zu liefern. Wenige Tage nach dem Haftbefehl erklärte Erdogan bei einer Feier: „Deniz Yücel ist ein deutscher Agent und PKK-Terrorist. Uns liegt Bildmaterial vor, er ist ein Terrorist!” Kurz darauf sagte er in einer Livesendung im Fernsehen: „Solange ich im Amt bin, überstellen wir Deniz Yücel auf keinen Fall.” Für alle, die das Geschehen in der Türkei nicht ständig verfolgen, sei angemerkt: Erdogan ist nach wie vor im Amt.

Auf diese Erklärungen vom Palast hin wurde auch die regierungsnahe Presse aktiv. “Nicht Journalist, sondern PKK-Terrorist!”, „Terrorist wie man ihn kennt”, „Das sind Deniz` Terror-Aktivitäten”„,Deutschland hat Angst, dass Agent Deniz singt” —die Schlagzeilen sollten der Öffentlichkeit verdeutlichen, wie gefährlich Deniz Yücel sei, und seine Verhaftung legitimieren. Erdogans Worte wie auch diese hässlichen Schlagzeilen zielten selbstverständlich nicht auf Deniz Yücel allein. Er war für Forderungen an Berlin, das gegen Erdogan und seine Partei ein Auftrittsverbot für Deutschland verhängt hatte, als Geisel genommen worden. Eigentliches Ziel war es, den Nationalismus für das Referendum anzuheizen, das zwei Monate darauf stattfinden sollte. Alle, auch jene, die ihn inhaftierten, wussten, dass Deniz Yücel lediglich seinen Job als Journalist ausgeübt hatte. In der Zwischenzeit sorgte, ganz unabhängig von Deniz, noch vieles andere für Spannungen zwischen den beiden Ländern. Es gab Gespräche auf heimlichen Kanälen wie auch gegenseitige Provokationen.

Für Deniz` Freilassung geschahen Dinge, die uns türkische Journalisten vor Neid erblassen ließen. Autokorsos in Berlin, nicht enden wollende Proteste der Öffentlichkeit, deutsche Medien hielten die Verhaftung unablässig auf der Agenda, Politiker machten für Deniz’ Freilassung mobil — Dinge, die für uns nicht getan wurden.

Die für Ankara überzeugendste Erklärung aber, erst recht in den Tagen, da man eine zweite Front in Syrien eröffnet hatte, kam von Außenminister Sigmar Gabriel. Im Januar sagte Gabriel dem „Spiegel”, gegen die Türkei sei ein Waffenembargo verhängt, und das werde auch so bleiben, solange „der Fall Yücel nicht gelöst” sei. Dass Deniz, der im Gefängnis von diesen Worten hörte, sagte, nicht im Rahmen eines schmutzigen Deals freikommen zu wollen, änderte nichts. Deniz war auf nicht legale Weise als Geisel genommen worden,Verhandlungen zwischen Ankara und Berlin brachten ihm die Freiheit.

Einen Tag vor seinem Treffen mit Kanzlerin Merkel sagte der türkische Premierminister Yildirim: „Es ist Zeit, die Beziehungen zu Deutschland zu normalisieren. Ich hoffe, dass Yücel freikommt.” Bis dahin hatte Deniz vor keinem Richter gestanden, nun wurde in Blitzgeschwindigkeit die Anklageschrift ausgestellt.

Nach dem Yildirim/Merkel-Treffen wurde Deniz ohne Verhandlung freigelassen. Was für ein Zufall. Zwei Tage danach brachte Yildirim auf der Sicherheitskonferenz in München die Rede auf die Waffen. Über die Leopard-Panzer, zu denen es aus Deutschland hieß, man sei nicht informiert, ob sie in Afrin eingesetzt werden, sagte er: „Es ist unser natürliches Recht, sie dort einzusetzen.” Und das Waffenembargo sei durch ein Missverständnis zustande gekommen, er lud Deutschland ein, gemeinsam Panzer zu produzieren.

Es ist normal, dass ein Land alle nur möglichen Instrumente einsetzt, um einen Journalisten, einen eigenen Staatsbürger, freizubekommen Dass verhandelt wurde, ist nicht zu kritisieren. Es wäre schön, wenn auch wir Politiker hätten, die sich abstrampeln würden, um unsere inhaftierten Kollegen freizubekommen. Doch wir bitten Sie, nehmen Sie uns nicht auf den Arm. Vor allem Sie, Herr Gabriel. Im Mai 2017 sagten Sie: „Die Türkei entfernt sich Schritt für Schritt von demokratischen Standards und rechtsstaatlichen Prinzipien.” Doch nach Deniz’ fiel ihnen plötzlich ein, welch großartiger Rechtsstaat die Türkei sei, die türkische Regierung habe stets Wert darauf gelegt, die Justiz nicht politisch zu beeinflussen.

Wollen Sie tatsächlich die Freilassung von Deniz, der ohne jede rechtliche Grundlage, nur um als Trumpf bei Verhandlungen benutzt werden zu können, verhaftet worden war, mit der Unabhängigkeit der türkischen Justiz erklären? Ist das Ihr Ernst? Bitte verhöhnen Sie nicht meine mehr als 150 inhaftierten Kollegen und Zigtausende Menschen, deren Leben aufgrund von Urteilen der unter Regierungsbefehl stehenden Justiz aus der Bahn geworfen wurde. Fragen Sie Deniz. Oder lesen Sie das Statement, das er unmittelbar nach der Freilassung in seiner Wohnung in Istanbul aufnahm und über die sozialen Medien verbreitete: „So wie meine Verhaftung nichts mit Recht und Gesetz und Rechtsstaatlichkeit zu tun hatte, hat auch meine Freilassung nichts mit alledem zu tun.”

Wollen Sie sagen, er hat unrecht? Am selben Tag, als Deniz freikam, wurden drei Journalisten, die in demselben Gefängnis einsitzen, in dem auch er war, zu lebenslanger Haft verurteilt, von unserer Justiz, die angeblich unter keinerlei politi-schem Einfluss stehe.

Oder machen wir es so, wenn Sie wollen: Sagen Sie uns doch bitte, wie viele Panzer wir für die Freiheit von Ahmet Sik, Murat Sabuncu und all den anderen, die allein aufgrund ihrer Journalistentätigkeit inhaftiert sind, noch kaufen müssen.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe.