MESOP NEWS : DIE ERBÄRMLICHSTEN GESTRANDETEN VON ISRAEL AUF DEM WEG NACH DEUTSCHLAND

Auf der Welt verloren –Von STEFAN TOMIK und JOCHEN STAHNKE – FAZ 4. Febr 2018

Ende Januar demonstrieren afrikanische Flüchtlinge vor dem Parlament in Jerusalem gegen Israels Abschiebepolitik. Bald sollen sie vor die Wahl gestellt werden: Ausreisen oder Gefängnis. – 5.02.2018 · Israel schickt afrikanische Flüchtlinge in einen angeblich sicheren Drittstaat: Ruanda. Doch sie werden aus dem Land gedrängt und fliehen weiter – manchmal bis nach Deutschland.

S aid O. glaubte den Versprechen der israelischen Beamten. Er würde Arbeit finden, sagten sie, und eine Wohnung. Er würde sicher leben und eine Ausbildung machen können. Deshalb ließ er sich im April 2016 auf die Reise in ein Land ein, das ihm völlig fremd war: Ruanda. Dort angekommen, lösten sich die Versprechen in Luft auf. Für Said begann eine weitere Odyssee, lebensgefährlich wie die erste, die Flucht aus seiner Heimat, Eritrea. Jetzt sitzt er in Berlin.

Gerade in Ruanda angekommen, geriet Said O. in die Fänge von Schleppern. Jetzt lebt er in Berlin.

Said erzählt seine Geschichte so: Mit achtzehn wird er in die eritreische Armee eingezogen. Das bedeutet ein Leben unter harten Umständen, Zwangsarbeit, drakonische Strafen. Nur einmal im Jahr darf er seine Familie sehen. Zusammen mit Freunden passiert Said nachts die Grenze zu Äthiopien, in einem Fußmarsch von zwölf Stunden. In Äthiopien geht er in ein Lager des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, aber dort gibt es nichts zu tun. „Die Menschen warten einfach nur“, sagt Said. „Es ist unmöglich, sich dort ein Leben aufzubauen.“

Wie Europa, bloß leichter zu erreichen

Er macht sich auf nach Sudan, mit dem Bus und zu Fuß. Dort hört Said zum ersten Mal von einem Staat namens Israel. Unter Flüchtlingen hat Israel damals den Ruf, wie Europa zu sein, bloß leichter zu erreichen. Said kommt in Kontakt mit Leuten, die versprechen, ihn dorthin zu bringen. Er weiß nicht, dass der Beduinenstamm, dem er sich anvertraut, eine berüchtigte Schlepperorganisation ist.

Die Beduinen behandeln die Flüchtlinge wie Vieh. Sie werden in Autos eingepfercht und auf nächtliche Fußmärsche geschickt. Als Said endlich den Sinai erreicht, landet er, damals 21 Jahre alt, in einem Folterlager. Er muss seine Familie anrufen, und während er am Telefon um Geld fleht, wird er mit Kabeln geschlagen und mit heißen Eisenstangen misshandelt. Seine Schreie sollen die Familie dazu bringen, ein hohes Lösegeld zu zahlen. Said wird täglich geschlagen. Er sieht, wie andere Flüchtlinge zu Tode gefoltert werden.

Jahrelang verlief die Standardfluchtroute von Afrika nach Israel durch den Sinai. Viele Flüchtlinge wurden hier von ihren Schleppern in Folterlagern festgehalten und gequält, bis ihre Familien Lösegeld zahlten. Auf dem Bild zeigt einer von ihnen seine Folterspuren, verursacht durch in die Haut gedrückte Zigaretten. Foto: dpa

Nach zwei Wochen hat seine Familie die 3500 Dollar zusammen. Das Geld wird nachts einem Repräsentanten des Beduinenstamms in Eritrea übergeben. Nun darf Said mit 120 weiteren Flüchtlingen zu Fuß zur israelischen Grenze marschieren.

Damals, im Jahr 2012, war die israelisch-ägyptische Grenze noch recht leicht zu überwinden. Erst danach wurde der fünf Meter hohe Zaun mit Stacheldrahtrollen fertig, der heute so gut wie jede Einreise verhindert. Said wird von israelischen Soldaten aufgegriffen. Er kommt für einen Monat in ein Auffanglager mitten in der Negev-Wüste. Danach erhält er eine befristete Aufenthaltserlaubnis, aber keine Hilfe. Weder bekommt er eine Unterkunft noch Essen oder Geld. Nachts schläft er im Levinski-Park im Süden Tel Avivs. Hier sammeln sich viele Flüchtlinge, es ist die Endstation der meisten Buslinien aus dem Negev.

Im Februar 2014 demonstrieren afrikanische Flüchtlinge tagelang dafür, dass sie in Israel einen Flüchtlingsstatus bekommen. Nachts schlafen sie im Levinski-Park im Süden von Tel Aviv. 

Vom Toilettenputzer zum Küchenhelfer

Bald kommt Said bei Freunden unter. Er findet einen Job als Toilettenputzer in einem Restaurant, und weil der Chef ihn mag, steigt er auf zum Küchenhelfer. Said arbeitet acht bis zwölf Stunden am Tag, für zunächst sechs, dann sieben Euro je Stunde. Das ist nicht viel in einer Stadt wie Tel Aviv, das viel teurer ist als Berlin.

Über die afrikanischen Flüchtlinge wird in Israel heftig gestritten. Die einen verweisen auf die Staatsräson: Wurde Israel nicht als ein sicherer Hafen für verfolgte Juden aus aller Welt gegründet? Viele israelische Organisationen setzen sich heute für die Flüchtlinge ein. Sie argumentieren, dass die 38.000 Afrikaner höchstens ein halbes Prozent der Bevölkerung ausmachten. Schließlich gibt es etwa doppelt so viele Gastarbeiter im Land, die auf geregelten Wegen kommen und in der Wirtschaft gebraucht werden.

Die anderen sehen in den Flüchtlingen eine Gefahr für die innere Sicherheit. Auch nähmen sie armen Israelis die Wohnungen weg und seien eine demographische Bedrohung der jüdischen Gesellschaft. Ein Eritreer im Süden von Tel Aviv sagt, die überwiegende Mehrheit seiner Landsleute in Israel seien Christen.

„Kommt morgen wieder“

Im Restaurant erlebt Said, wie Gäste seinen Chef ansprechen, wenn sie ihn in der Küche entdeckt haben. Sie beschweren sich, dass der Mann Schwarze beschäftigt. Said mag das Leben in Israel trotzdem. Es ist besser als alles, was ihm zuvor widerfahren ist. Sein Job erlaubt ihm, Geld beiseitezulegen und der Familie jeden Monat 400 Dollar zu schicken. In der Restaurantküche lernt er Hebräisch. Zum ersten Mal sieht er eine Perspektive für sich. Doch Israel will Said nicht.

Er bekommt das immer wieder zu spüren, wenn er seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern muss. Das geht nur in einem einzigen Büro in Tel Aviv. Said muss dafür einen ganzen Tag frei nehmen. In der Schlange stehen an die sechshundert Leute, aber es geht quälend langsam voran. „Die Beamten stehen da und rauchen Zigaretten. Und am Abend sagen sie: Kommt morgen wieder.“

Die Aufenthaltsgenehmigungen werden ohne Begründung mal um zwei Monate, mal nur um eine Woche verlängert. Als Said mal wieder bei der Behörde ist, eröffnet man ihm, er solle nach Holot gehen. Das ist ein Lager in der Negev-Wüste, in dem afrikanische Flüchtlinge interniert werden, angeblich eine „offene Einrichtung“. Die Insassen dürfen das Lager tagsüber verlassen. Aber was sollen sie machen, tief in der Wüste?

Zum Nichtstun verdammt: Das Flüchtlingslager Holot liegt weit ab von jeder Stadt kurz vor der ägyptischen Grenze. Bald soll es geschlossen werden. Foto: Jim Hollander

In die Verzweiflung getrieben

Morgens und abends müssen sie sich melden, nach 22 Uhr gilt eine Ausgangssperre. Kleinste Vergehen wie eine Verspätung beim Appell werden mit Gefängnis bestraft. Es liegt gleich gegenüber. Auch Holot wird vom israelischen Gefängnisdienst betrieben. Der frühere Innenminister Eli Jischai gab als Ziel aus, afrikanische Flüchtlinge dort in die Verzweiflung zu treiben, damit sie Israel freiwillig wieder verlassen.

Holot Flüchtlingslager SaharonimGefängnis

Said soll ein Jahr in Holot verbringen. Ob er anschließend wieder arbeiten könne, lassen die Beamten offen. Er fragt, warum man ihn ins Lager schicke, wenn er doch schon Jahre im Land lebe und sich nichts habe zuschulden kommen lassen. „Sie sagten: Frag uns nicht, warum.“

Ein Anwalt würde Said 8000 Schekel kosten, fast 2000 Euro. Er könnte einen Aufschub von vielleicht zwei, drei Monaten erreichen, aber dann ginge das Spiel von vorne los. Andererseits ist da dieses Angebot der Regierung: 3000 Dollar Bargeld, Arbeit und eine Unterkunft bekomme er, sollte Said freiwillig nach Ruanda gehen. Er willigt ein.

Diese Insassen dürfen Holot verlassen. Das Oberste Gericht hat die Dauer der Verbringung auf 12 Monate begrenzt. Foto: dpa

Ein Bündel Dollar-Noten in die Hand

Eine Woche später wird er am Flughafen von Tel Aviv schon erwartet. „Bist du Said?“, begrüßt ihn ein Sicherheitsbeamter. Er bekommt ein Reisedokument, es besteht aus einem Blatt Papier. An der Tür zum Flugzeug, beim Einsteigen, drückt man ihm ein Bündel aus dreißig 100-Dollar-Noten in die Hand. Der Linienflug bringt ihn und eine Handvoll weitere eritreische Flüchtlinge über Istanbul nach Kigali. In Ruanda, sagt Said, sei ihm klargeworden, dass Israel ihn belogen habe.

Die ruandischen Beamten nehmen den Flüchtlingen die Reisedokumente ab. Einheimische fahren sie in ein Haus, das sie nicht verlassen dürfen. Der Eingang wird bewacht. Schnell wird den Flüchtlingen klargemacht, dass sie nicht in Ruanda bleiben können, da sie illegal im Land seien. Man bietet ihnen an, sie für 500 Dollar nach Uganda zu bringen. Anderenfalls müsse man die Polizei rufen, die sie einsperren oder nach Eritrea abschieben würde.

Said zahlt 500 Dollar und wird mit dem Auto und zu Fuß nach Uganda geschmuggelt. Da erwarten ihn ugandische Schlepper. Er muss wieder zahlen, um weiterzukommen. Dass die Eritreer aus Israel ein paar tausend Dollar bei sich haben, hat sich längst herumgesprochen.

In Khartum im Knast

Said ahnt, dass er auch in Uganda kein Asyl bekommen würde. Wieder zahlt er Schlepper, um über die Grenze nach Südsudan zu kommen und weiter nach Sudan. Unterwegs wird die Gruppe überfallen. Man droht Said, ihn zu töten. Er gibt den Rest seines Geldes und sein Handy ab und kommt davon. Hier in Sudan, wo er viereinhalb Jahre zuvor schon einmal gestrandet war und sich entschied, nach Israel zu gehen, sind seine 3000 Dollar Abschiedsprämie aufgebraucht.

In Khartum sitzt Said vier Tage lang im Gefängnis, weil er keine Papiere hat. Er gilt als illegal und wird vor die Wahl gestellt, entweder 5000 Dollar zu zahlen oder nach Eritrea abgeschoben zu werden. Er bittet einen Freund in Israel, bei dem er einen Teil seiner Ersparnisse zurückgelassen hat, Geld zu schicken, und kommt frei.

Wenn Said in Berlin von seiner Flucht spricht, irren seine Augen im Raum umher. Er sitzt auf einer Stuhlkante, und es dauert eine dreiviertel Stunde, bis er sich zum ersten Mal zurücklehnt. Als er Israel verlassen habe, sei er beinahe durchgedreht, sagt er. Seine Gedanken seien nur darum gekreist, wie er die nächste Woche überleben könne. Und ihm sei klargeworden, dass es in Afrika für ihn keine Zukunft gebe. Damals habe er sich entschieden, die Überfahrt nach Europa zu versuchen.

Dafür muss sich Said wieder Geld schicken lassen. Diese Schlepper verlangen jetzt 6000 Dollar. Der Weg durch die Sahara ist lang und hart. Einmal fällt Said vom Wagen und bricht sich den Arm. Er sieht Flüchtlinge sterben vor Erschöpfung. Die Schlepper kümmert es nicht. Sie treiben die anderen zur Eile an, die Sterbenden bleiben liegen.

Vier Mal erwischen ihn Schweizer Zöllner

Im Norden Libyens bringen die Menschenschmuggler Said in ein Camp mit Hunderten Flüchtlingen, die auf die Überfahrt nach Italien warten. Sie dürfen das Lager nicht verlassen. Die Insassen hungern. Nur wer jetzt noch Geld hat, kann Essen und sogar Cola kaufen. Dann wird er mit etwa 500 anderen in ein Boot gezwängt, Frauen auf dem Oberdeck, Männer unten. Fünf Stunden schippern sie über das Mittelmeer, als das Schiff einer Hilfsorganisation sie an Bord nimmt und nach Italien bringt. Vier Mal versucht Said, mit dem Zug in die Schweiz zu kommen. Vier Mal erwischen ihn Schweizer Zöllner und schieben ihn zurück. Beim fünften Versuch kommt Said durch. In Basel wechselt er den Zug und erreicht schließlich sein Ziel: Deutschland.

Die zwei Fluchtrouten des Said O.

Abschiebung von Israel nach Ruanda, April 2016

Andere afrikanische Flüchtlinge aus Israel haben ihren Versuch, von Ruanda nach Europa zu gelangen, mit dem Leben bezahlt. Sie sind in Libyen von Islamisten getötet worden oder auf dem Mittelmeer ertrunken. Deshalb sind die Vereinten Nationen „ernsthaft besorgt“ über Israels Vorgehen.

In den vergangenen vier Jahren sollen 4000 Eritreer und Sudanesen nach Ruanda geschickt worden sein. Viele von ihnen haben dort keine Sicherheit gefunden. Neben Said O. gilt das auch für Tesfalem F. und Chakor, zwei Eritreer, die heute ebenfalls in Deutschland leben. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen dokumentierte achtzig Fälle zwischen November 2015 und Dezember 2017, in denen aus Israel ankommende Flüchtlinge zur Ausreise aus Ruanda gedrängt wurden und sich auf die lebensgefährliche Flucht nach Europa machten.

Tesfalem war 14 Jahre alt, als er in Eritrea ins Gefängnis kam. Seine Eltern gehören der verbotenen Pfingstbewegung an. Er bestach einen Wachmann und floh mit nur 15 Jahren nach Israel. Heute lebt er in Dresden. Um ein Praktikum oder einen Ausbildungsplatz zu finden, hat er einen Staplerschein gemacht und mehr als 70 Bewerbungen verschickt – bisher ohne Erfolg. Foto: Stefan Tomik
Auch Chakor (ein Spitzname) ist von seiner zweimaligen Flucht gezeichnet. In einem Folterlager auf dem Sinai musste er mit ansehen, wie Beduinen ein drei Jahre altes Kind töteten. Auf dem Weg von Ruanda nach Deutschland verlor Chakor seine Frau, als die beiden in Libyen von unterschiedlichen Banden aufgegriffen wurden. Sie ertrank im Mittelmeer, als ihr Boot unterging. Chakor nahm lange Zeit Beruhigungsmittel. Jetzt arbeitet er sechs Tage die Woche in einer Restaurantküche, um zu vergessen. Er wartet noch immer auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und möchte hier anonym bleiben. Foto: Stefan Tomik

Deportationsbescheide werden verteilt

Trotz der Kritik will Israel jetzt noch mehr Afrikaner des Landes verweisen. „Mistanenim“ werden sie dort offiziell genannt, „Eindringlinge“. Von 15.613 registrierten Asylanträgen wurde insgesamt nur zehn Eritreern und einem Sudanesen stattgegeben. Tausende weitere Anträge sind noch überhaupt nicht bearbeitet. Die Ausreiseprämie nach Ruanda ist auf 3500 Dollar erhöht worden. Die Flüchtlinge dürfen in Israel arbeiten. Doch werden seit einigen Monaten zwanzig Prozent ihres Einkommens auf einem staatlichen Konto einbehalten und erst bei Ausreise ausgezahlt. Neuerdings sind ihnen Geldüberweisungen ins Ausland verboten.

Im Dezember verabschiedete die Knesset eine Erweiterung des bestehenden „Eindringlingsgesetzes“. Es sieht vor, dass ab März alle Flüchtlinge abgeschoben werden. Wer sich weigert, muss auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis. Am vergangenen Sonntag hat die Einwanderungsbehörde damit begonnen, Deportationsbescheide zu verteilen. Binnen 60 Tagen haben die Adressaten das Land zu verlassen.

Derzeit leben in Israel etwa 7000 Sudanesen und 26.000 Eritreer. Innenminister Ariye Deri sagt, zunächst müssten nur junge Männer gehen. Das sind die meisten Eritreer. Das Ziel sind sechshundert Abschiebungen pro Monat. Dagegen regt sich Protest der israelischen Mittelschicht. Anwälte, Ärzte, Professoren und Schriftsteller haben Petitionen verfasst. Auch 36 Holocaust-Überlebende protestierten: „Wir Holocaust-Überlebende, die selbst Flüchtlinge waren, bitten Sie, Herr Ministerpräsident, daraus Lehren zu ziehen und nicht jene aus Israel zu deportieren, die in unserem Land um Asyl ersuchen.“ Piloten der Fluggesellschaft El Al kündigten an, sich Abschiebeflügen zu verweigern. Es ist ein symbolischer Schritt, El Al fliegt Ruanda nicht an.

5000 Dollar pro Flüchtling

Für die Regierung handelt es sich bei den Eritreern um Migranten, die allein des Geldes wegen gekommen sind. Dem Militärdienst entkommen? „Darüber kann ich nur lachen“, sagt ein Israeli, der Flüchtlinge als Nachbarn hat und selbst drei Jahre lang diente – allerdings in einer modernen Armee, die in Israel ein Karrieresprungbrett ist. Da die Eritreer über einen „sicheren Drittstaat“ – Ägypten – nach Israel „eingedrungen“ seien, gelte die Schutzverantwortung auch nicht. Politiker sagen, das Angebot der israelischen Regierung sei großzügig.

Eritreas Präsident hält es für lächerlich. Seine Landsleute hätten deutlich mehr als die 3500 angebotenen Dollar verdient, sagte Isaias Afwerki seinen Staatsmedien. Schließlich hätten die Migranten selbst einen „hohen Preis“ an Schlepper gezahlt und müssten nun eher in einer Größenordnung von 50.000 Dollar entschädigt werden. Für den Diktator Afwerki sind die Migranten eine Einnahmequelle, von denen er sonst nicht viele hat. Die Auslandsüberweisungen an die Familien in Eritrea sorgen dafür, dass die Wirtschaft im Land nicht vollends kollabiert. Zum eritreischen Nationalfeiertag besuchen jedes Jahr Hunderte Eritreer die Veranstaltung der eritreischen Botschaft in Tel Aviv.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hält Ruanda für eines der sichersten Länder Afrikas. Das hat auch das Oberste Gericht Israels bestätigt, das in der Vergangenheit oft zugunsten der Migranten entschieden hatte. Auf Fälle wie den von Said angesprochen, verweist eine Sprecherin der Einwanderungsbehörde nur auf das Abkommen zwischen Israel und Ruanda: „Wir haben keine anderen Instruktionen bekommen.“ Ihr Amtsbereich endet am Flughafen von Tel Aviv. Das entsprechende Abkommen zwischen Israel und Ruanda ist geheim, auch Knesset-Abgeordnete dürfen es nicht einsehen. Es heißt, Ruanda soll fünftausend Dollar pro ankommendem Flüchtling erhalten.

„Rassismus vom weißen Mann“

Dass sich deutlich mehr Ukrainer und Georgier illegal in Israel aufhalten als Afrikaner, findet keine Beachtung. Für die Osteuropäer gilt das Eindringlingsgesetz nicht, denn Ukrainer und Georgier sind legal mit dem Flugzeug eingereist und haben nur die Dauer ihres Touristenaufenthalts überschritten. Zehntausendfach. Rassismusvorwürfe lässt die Likud-Abgeordnete Anat Berko trotzdem nicht gelten. „Israel hat es in Jahrzehnten geschafft, mehr als fünfzigtausend jüdische Äthiopier zu absorbieren“, von denen sei keiner blond und weißhäutig. Da die Eritreer über den vom „Islamischen Staat“ kontrollierten Sinai kamen, müsse man zudem Schläferzellen in Israel befürchten. „Jetzt zu behaupten, dass Ruanda für die Ausreisenden nicht sicher sei, ist selbst Rassismus vom weißen Mann“, sagt Berko. Israel sei einfach ein zu kleines Land für so viele Probleme.

Teklit, ein 29 Jahre alter Eritreer in Tel Aviv, sagt, er müsse jeden Monat seine Aufenthaltsgenehmigung erneuern, Stunden stehe er dafür an, manchmal einen ganzen Tag lang vergeblich. Über Facebook hält er Kontakt zu anderen Eritreern, die sich freiwillig nach Ruanda bringen ließen. Alle hätten ihr Geld verloren, die meisten seien jetzt in Europa. Eher gehe er in Israel ins Gefängnis als nach Ruanda.

Was die israelische Regierung aber macht, wenn Tausende Flüchtlinge doch lieber ins Gefängnis gehen als ausreisen wollen, ist noch offen. Auch von Zwangsabschiebungen in Handschellen ist schon die Rede. Womöglich werden demnächst noch mehr von ihnen in Deutschland Schutz suchen, so wie Said O.

Said sagt heute, es sei ein Fehler gewesen, Israel zu verlassen. Er lebt jetzt in Berlin in einer Sammelunterkunft mit Hunderten anderen Flüchtlingen. Said lernt Deutsch, das Jobcenter zahlt den Kurs, aber er hat Schwierigkeiten, wirklich anzukommen. Er ist von seiner Flucht noch immer traumatisiert. Und die Behörden wollen ihn nach Italien zurückschicken, denn dort ist er in die EU eingereist, dort hat er seine Fingerabdrücke hinterlassen. Doch Said will nicht schon wieder weiterziehen.

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