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CATHERINE DENEUVE  ET AMIS! Das französische Spiel des Lebens  / Gegen die neue Unfreiheit  –

Hundert Frauen stellen sich offen gegen die #MeToo-Kampagne — aus Angst vor neue Unfreiheit

PARIS, 11. Januar. Das Spiel der Verführung ist nicht nur ein Thema der französischen Literatur, es bestimmt wie kein anderes die gesellschaftlichen Handlungsmuster in Frankreich. Zu diesem Schluss kommt die amerikanische Publizistin Elaine Sciolino in ihrem bemerkenswerten Buch „La Seduction: How the French Play the Game of Life”. Es darf deshalb nicht erstaunen, dass sich ausgerechnet in Frankreich Widerstand gegen die aus Amerika herüberschwappende #MeTooWelle regt. Mit einem Feminismus, der das Antlitz „des Hasses auf die Männer und auf die Sexualität” trage, wollen hundert namhafte Französinnen nichts zu tun haben. Zu ihnen gehört auch die Schauspielerin Catherine Deneuve, die Anfang der siebziger Jahre den Aufruf der „343 Schlampen” zur Legalisierung der Abtreibung unterzeichnete. Aus Sicht der Französinnen steht eine seit Generationen eingeübte Form des Miteinanders von Mann und Frau zur Disposition, wenn jeder Versuch, dem anderen Geschlecht zu gefallen, unmittelbar den Generalverdacht, sexueller Belästigung nach sich zieht.

„Eine andere Stimme von Frauen” sollte ursprünglich die Überschrift des Auf-rufs „der 100 Französinnen” heißen. Das berichten die fünf Verfasserinnen, die Schriftstellerinnen Catherine Millet, Sarah Chiche, Catherine Robbe-Grillet, Peg-gy Sastre und Abnousse Shalmani. Doch die Redaktion von „Le Monde” entschied sich, einen Satz aus dem Text in den Titel zu stellen, der aufgrund einer nachlässigen Übersetzung maßgeblich zur Entrüstung beitrug. Denn die 100 Unterzeichnerinnen fordern nicht etwa „ein Recht, belästigt zu werden”, wie es zu lesen war, sondern „die Freiheit, behelligt zu werden” („la liberté d’importuner”).

Dahinter steht die Idee, dass jede Frau selbst entscheiden solle, wie sie mit männlichen Annäherungsversuchen umgeht. Gleich im ersten Satz schreiben sie, dass Vergewaltigung ein Verbrechen sei. „Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Delikt und eine Galanterie auch keine chauvinistische Aggression”, stellen ‘sie klar. Die Autorinnen geben sich damit als Verteidigerinnen eines sehr französischen Modells zu erkennen, das in den Salons der höfischen Gesellschaft, bei Madame de Stael Madame de Lafayette oder Madame du Chatelet entstand. Die Lebensentwürfe dieser selbstbewussten Frauen nahmen, wie es die Feministin Elisabeth Badinter in ihrem Buch über Emilie du Chatelet schrieb, heutige berufliche Freiheiten der Frauen vorweg. Unterwürfig und dem Manne untergeben waren diese Frauen keineswegs, sondern sie prägten einen spezifisch französischen Feminismus, der weibliche Verführungskunst mit Emanzipation verbindet.

Der deutsche Soziologe Norbert Elias hat herausgearbeitet, wie stark der Zivilisierungsschub von der Monarchie in Versailles auf die gesamte Gesellschaft in Frankreich ausstrahlte. Für das Selbstver-ständnis vieler französischer Frauen ist dieses Erbe Hoch immer bestimmend. Die Galanterie ist dabei eine tief verwurzelte Haltung, die unausgesprochen vorausgesetzt wird. Das Spiel mit der Verführungskunst wird schließlich seit Generationen beherrscht. Wer Choderlos de Laclos’ Briefroman „Gefährliche Liebschaften” gelesen hat, weiß, dass in diesem Spiel die Frauen nicht unterlegen sind. Die Marquise de Merteuil bringt den Verführer Valmont kühl zu Fall. Verführung sei in Frankreich die zivilisierte Form des Geschlechterkriegs, schreibt die Amerikanerin Sciolino. Der Eindruck, die #MeTooKampagne bedrohe letztlich auch die französische Lebensart, steht hinter dem Aufruf.

Den Anstoß gab die Autorin Sarah Chiche, die zugleich als Psychoanalytikerin arbeitet. Sie war von ihrem Verleger aufgefordert worden, in ihrem Manuskript stärker „die Traumata der Frauen” herauszuarbeiten. Chiche empfand dies als ungeheuerlichen Eingriff in ihre künstlerische Freiheit, Frauen in einer Opferrolle darstellen zu müssen. Ein anderer Verleger wiederum bedeutete der Schriftstellerin Catherine Millet, dass ihr 2001 veröffentlichter provokanter Roman „Das sexuelle Leben der Catherine M.” heute nicht mehr verlegt werden würde.

„Diese zwei Erlebnisse gaben den Anstoß, einen offenen Brief zu verfassen”, sagt die Schriftstellerin Abnousse Shalmani. Shalmani stammt aus Iran und sieht angesichts der #MeToo-Kampagne die Gefahr, dass ein moralisierendes Kulturverständnis ähnlich wie in Iran überhandnimmt. Deshalb prangern die Verfasserinnen in ihrem Text an, dass Verbotsforderungen vor einer Retrospektive des französischpolnischen Filmemachers Roman Polanski in Paris laut wurden. Die amerikanische Justiz ermittelt seit vierzig Jahren wegen des Verdachts von Sexualdelikten gegen den Regisseur. In dem Aufruf werden auch die jüngsten Versuche beklagt, Kunst zu zensieren. So wurden Werbeplakate für eine Retrospektive in Wien mit Aktzeichnungen des Malers Egon Schiele in Köln, Hamburg und in London überklebt, weil der Anblick der dargestellten Genitalien als unzumutbar empfunden wurde. Ein deutscher Werbeflächenanbieter lehnte die Plakatierung der Aktbilder ab, da diese zu anstößig seien. Überall in Europa mache sich eine neue Prüderie breit, warnen die Französinnen.

In Frankreich hat die #MeToo-Kampagne indessen bei einer neuen Generation von Feministinnen auch hohe Wellen ge-schlagen. Die Journalistin Sandra Muller führte eine Denunzierungsoffensive unter dem Hashtag #balancetonporc (etwa: verpfeif dein Schwein) ein, mit großem Erfolg. Die in New York lebende Französin ist stark vom amerikanischen Feminismus geprägt. Aber gerade gegen die anonyme, undifferenzierte Denunzierungskampagne auf Twitter lehnen sich die hundert Französinnen auf. Denn statt der Wahrheitsfindung zu dienen, drohe jetzt ein neuer Puritanismus: „Es wird uns vorgegeben, wie wir reden sollen . . ., und wer sich dem verweigert, wird als Verräterin, als Komplizin angesehen.” Die zahllosen entrüsteten Reaktionen zeigen, dass sich die Verfasserinnen nicht irrten, als sie ihren Angriff auf die Mainstream-Meinung niederschrieben. Die französische Philosophin Genevieve Fraisse sagt, die französische Debatte Sei ein Zeichen für einen lebendigen Feminismus: „Wir sind so zahlreich, dass wir auch uneinig sein können.”