MESOP NEWS BACKGROUNDER: BARZANI’S & TALABANI’S KURDISTAN PLEITE!?

Nordirak: Der Mythos der Einheit – Die Bundeswehr bildet im Nordirak Peschmerga-Kämpfer aus, das Mandat soll bald verlängert werden. Aber Kurdistan ist wirtschaftlich am Boden und politisch tief gespalten.

Von Birgit Svensson, Erbil  – 14. Januar 2017, 19:16 Uhr  – DIE ZEIT

Es tropft im Internationalen Flughafen von Erbil. Vor den Schaltern von Iraks staatlicher Fluggesellschaft fangen Plastikschüsseln das Wasser auf. Die Passagiere müssen einen Bogen um sie machen. Auch vor dem Gepäckband tröpfelt es von der Decke. Dabei ist das Flughafengebäude erst sieben Jahre alt. Mit einem pompösen Festakt wurde es 2010 eingeweiht.

550 Millionen Dollar hat sich die kurdische Regionalregierung das Prestigeobjekt kosten lassen. Geschwungene Dachkonstruktion, offene, helle, transparente Hallen aus Glas, Chrom und Metall. Der Flughafen war das Symbol einer aufstrebenden Region, nun ist er ein Symbol für den heutigen Zustand von Kurdistan.

Vor vier Tagen hat die Bundesregierung eine Verlängerung des Nordirak-Mandats beschlossen. Bis zu 150 Bundeswehrsoldaten sollen für ein weiteres Jahr irakische Streitkräfte ausbilden, vorwiegend kurdische Peschmerga-Kämpfer in Erbil. Die Zustimmung des Bundestages gilt als sicher. 100 Millionen Euro Militärhilfe hat Deutschland im vergangenen Jahr für den Irak bereitgestellt. Damit werden neben der Ausbildungsmission auch Waffen und militärische Ausrüstung für die Peschmerga finanziert.

Am Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) beteiligen sich 65 Staaten, die EU, die Arabische Liga und Interpol. Neu ist das Engagement der Nato, die ab diesem Jahr als Bündnis im Irak aktiv wird und sich ebenfalls am Aufbau irakischer Sicherheitskräfte beteiligen wird. Das wurde während des Warschauer Gipfels im Juli 2016 beschlossen.

Die Anstrengungen im militärischen Bereich wachsen und zeigen im Kampf zur Rückeroberung von Mossul langsam Wirkung. Doch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation wird in Irak-Kurdistan von Monat zu Monat schwieriger. Meistens hätten sie nur zwei, höchstens vier Stunden Strom am Tag, klagen Menschen in Erbil; Wasser gäbe es auch nicht genug.

In Kurdistans zweitgrößter Stadt Sulaimaniyya kommt Wasser nur ein Mal in der Woche aus dem öffentlichen Netz. Riesige Wassertanks auf den Hausdächern sind die Folge. Bei den derzeitigen Minusgraden kann es sein, dass nicht ein Tropfen in die Waschbecken läuft, weil die Leitungen eingefroren sind. Treibstoff für die unentbehrlichen Generatoren ist nahezu unerschwinglich geworden. Überall stehen verlassene Baukräne herum. Kaum ein Haus wird derzeit fertig gebaut.

Kinder gehen nicht zur Schule

Einzig die behelfsmäßigen winterfesten Container oder Wohnwagen für die Flüchtlingslager lassen die Hersteller noch verdienen. Das Geld dafür kommt von unterschiedlichen Geberländern und internationalen Hilfsorganisationen. Investitionen aus dem Ausland, mit denen vor zehn Jahren der Aufschwung in die autonome kurdische Region gekommen war, fließen nicht mehr.

Die meisten ausländischen Ölfirmen haben Kurdistan verlassen. Die Regionalregierung hat ihre Gewinnanteile nicht mehr bezahlt, genauso wenig wie die Gehälter von Lehrern, Universitätsdozenten und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst. Fünf Monate lang mussten sie ganz auf ihren Lohn verzichten oder bekamen lediglich 25 Prozent ausbezahlt.

In den Provinzen Sulaimaniyya und Halabja traten Lehrer und Universitätspersonal deswegen in den Streik. Seit September gibt es keinen Unterricht mehr. Der kurdische Bildungsminister droht nun, das komplette Schul- und Studienjahr abzuerkennen. Wer kann, geht weg. Unter den Hunderttausenden irakischen Flüchtlingen in Europa sind vor allem in Deutschland viele Kurden aus dem Nordirak.

Ein Präsident, der nicht abtreten will

Es sei die dramatischste Wirtschaftskrise seit den 1990er Jahren, sagen die älteren Händler auf dem Basar in Erbil. Damals zeigte das UN-Embargo nach dem Kuwait-Krieg auch im Nordirak Auswirkungen, Lebensmittel waren nur noch mithilfe von Coupons erhältlich. Allerdings floss auch zu dieser Zeit schon Geld in den Nordirak, um die von Saddams Husseins irakischer Armee zerstörten kurdischen Dörfer und Städte wieder aufzubauen. Der Diktator in Bagdad hatte die Kurden beschuldigt, gegen ihn gemeinsame Sache mit dem Feind Iran zu machen, schickte Panzer und Giftgas und startete einen beispiellosen Feldzug gegen seine eigene Bevölkerung. Heute ist die Ursache der Krise eine völlig andere.

Die einstige Boomregion leidet unter dem Kampf gegen den IS, den vielen Flüchtlingen, dem Verfall des Ölpreises und der Korruption. Die politischen Kräfte sind heillos zerstritten. Die Anhänger des Kurdenpräsidenten Masud Barzani agieren gegen die des Ex-Präsidenten Dschalal Talabani und umgekehrt. Gorran, die Oppositionspartei, sitzt mittendrin und bereut, jemals Regierungsverantwortung übernommen zu haben. Sie wollten jetzt nur noch als Oppositionspartei agieren, sagt ihr Sprecher Shorsh Resool.

Von der Einheit ist nichts mehr übrig

Resool ist ein kleiner Mann und sehr erkältet, als er auf dem Gorran-Hügel, wie man in Sulaimaniyya das Hauptquartier der Partei nennt, zum Tee in sein Büro einlädt. Seitdem Barzani Gorran zum Feind erklärt hat, deren Mitglieder und Anhänger für alles verantwortlich macht, was in der Region schiefläuft, sind die alten politischen Konflikte wieder aufgebrochen, die als überwunden galten.

Der Sturz von Saddam Hussein 2003 hatte die zuvor in einen Bruderkrieg verstrickten Kurden geeint. Er brachte eine Einheitsregierung in Erbil hervor, an der alle kurdischen Kräfte beteiligt sein sollten. Es gab eine gemeinsame Linie gegenüber der Zentralregierung in Bagdad. Nie zuvor waren die Kurden so einflussreich im Irak, noch nie hatten sie so viel Autonomie. Nun sprechen die Kurden nicht mehr mit einer Stimme.

Als sich einige Unzufriedene 2009 aus der PUK (Patriotische Union Kurdistan) vom ehemaligen Präsidenten Dschalal Talabani abspalteten, gegen Korruption und Vetternwirtschaft der beiden großen Kurdenparteien opponierten und Gorran als eigene Partei gründeten, weckte das vor allem bei jungen Menschen Hoffnung. “Wandel” – auf Kurdisch Gorran – wurde Name und Programm. “Wir wollen ein parlamentarisches System in Kurdistan”, sagt Shorsh Resool.

Barzani provozierte einen Skandal

Barzani und seine KDP (Demokratische Partei Kurdistan) wollen mehr Macht für den Präsidenten – ein Präsidialsystem. Bei der Wahl im September 2013 wurde Gorran zweitstärkste Kraft hinter der KDP. Als, wie es die Regionalverfassung vorsieht, Barzanis Amtszeit nach zwei Amtszeiten zu Ende ging, dachte der 70-Jährige nicht an einen Abtritt. Das Regionalparlament sollte eine Weiterführung seiner Amtszeit um zwei Jahre beschließen, was es einmalig auch tat.

Anlässlich des zweiten Verlängerungsbegehrens kam es 2015 zum Eklat. Barzani verweigerte dem Parlamentspräsidenten, einem Gorran-Mitglied, die Einreise nach Erbil, schmiss die Minister der Wandel-Partei aus der Regierung und anderen öffentlichen Ämtern, wie dem Oberbürgermeisteramt der kurdischen Hauptstadt. Gorran hatte eine Mehrheit gegen eine weitere Verlängerung für Barzani organisiert. Bis heute ist das Regionalparlament nicht mehr zusammengetreten, Barzani regiert ohne Legitimität weiter.

Die Spaltung der Parteien klingt auch in einer Studie des Regionalparlaments über die Situation der Peschmerga an. Dort ist von 70.000 Kämpfern die Rede, die mehr oder weniger stark Barzanis KDP oder Talabanis PUK unterstellt sind. Die politische Rivalität der beiden Parteien erschwere auch Jahre nach der Einigung immer wieder die Koordination. Speziell im Raum Kirkuk würden beide um die politische Vorherrschaft kämpfen.

Auch innerhalb von Talabanis PUK gärt es. Die Gelder aus den Ölverkäufen würden von Erbil ungleich verteilt und nicht offengelegt, heißt es, in Sulaimaniyya käme nichts an. Einzig die Peschmerga würden derzeit in vollem Umfang bezahlt.

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-01/nordirak-kurden-peschmerga-kaempfer-ausbildung-kurdistan/komplettansicht