MESOP NEW FINANCE : NICHT DIE FATALE AfD ODER PREKÄRE LEUTE GEFÄHRDEN EUROPA – SONDERN DRAGHI & DIE FINANZKAPITAL SUPREMACY

Kommentar Christof Leisinger – Neue Zürcher Zeitung – Der nächste Crash ist nur eine Frage der Zeit – Die Börsen boomen. Nichts scheint derzeit den Aufschwung gefährden zu können. Dabei gehen die Anleger hohe Risiken ein, und das Finanzsystem ist fragiler, als es erscheint.

Mit den Börsen ist es wie mit einer Party. Am besten geht man, wenn es am schönsten ist. Doch wer weiss schon, wann das ist? Und wer möchte die gute Stimmung auf dem vermeintlichen Höhepunkt trüben, indem er die Tanzfläche vorzeitig verlässt? Schliesslich scheint in diesem Moment nichts näherzuliegen, als noch etwas zu bleiben, da man doch so beschwingt ist und weil die Musik allzu verlockend aufspielt – selbst auf die Gefahr hin, am nächsten Morgen ziemlich gerädert und vielleicht sogar mit einem gewaltigen Kater aufzuwachen.

Die Party ist noch zu schön

Genau so fühlt es sich derzeit an den Finanzmärkten an. Dort steigen die Kurse an den Aktienmärkten schon länger im allgemeinen Trend, während die Renditen an den Bondmärkten erstaunlich tief sind. In letzter Zeit scheint der Aufschwung nach einer kurzen Verschnaufpause im Sommer sogar wieder frische Dynamik gewonnen zu haben. Einzelne Börsenbarometer wie der Dow-Jones-Industrial, der S&P 500, der DAX oder auch der Swiss-Performance-Index erreichen beinahe täglich neue Rekordwerte. Kurzfristig ist wohl nicht ausgeschlossen, dass die an sich schon beachtlichen Avancen der vergangenen Monate nun auch noch von einem Jahresendrally getoppt werden.

Kaum jemand rechnet ernsthaft mit dem abrupten Ende dieses inzwischen ziemlich gealterten Bullenmarktes, wie es vor 30 Jahren passierte. Damals, am 19. Oktober 1987, hatte der Dow-Jones-Industrial-Average-Index an einem einzigen Handelstag knapp 23 Prozent seines Wertes verloren – so viel wie nie zuvor. Dieser «Schwarze Montag» zeichnete sich zudem durch die Panik aus, die er auslöste. Tatsächlich war der Börsencrash damals beinahe aus dem Nichts gekommen und erinnerte manche an die Turbulenzen der letzten Oktobertage im Jahre 1929. Zu jener Zeit hatte es an der Wall Street an drei aufeinanderfolgenden Tagen enorme Kursbewegungen gegeben, die nachträglich betrachtet als erste vage Hinweise auf die Grosse Depression der Jahre danach gelten können. Im Vergleich dazu nehmen sich das Platzen der Internet- und Technologieblase nach der Jahrtausendwende und der spätere Einbruch aufgrund der Lehman-Pleite beinahe harmlos aus.

Heute wird der 1987er Crash gerne relativiert und auf Sonderfaktoren zurückgeführt, was eine Wiederholung als unwahrscheinlich gelten lassen soll. Immerhin seien die Marktteilnehmer aus Erfahrung klug geworden und verliessen sich nicht mehr so blind auf mechanistische Risikomanagement- und Wertpapier-Handelsmodelle wie in der fraglichen Zeit. Damals hatte das Prinzip der «Portfolio Insurance» in der Finanzszene zunächst als letzter Schrei gegolten, später wurde es neben aufkommenden Inflations- und Zinssorgen mitverantwortlich für den rasanten Kurssturz gemacht. Fachleute wollen heute ausschliessen, dass so etwas wie damals wieder passiert. Sie ignorieren die Serie merkwürdiger «Flash-Crashes» der jüngeren Vergangenheit und argumentieren, die Finanzinfrastruktur sei leistungsfähiger und die Märkte seien liquider geworden. Ökonomisch betrachtet stehe ohnehin alles zum Besten. Die Weltwirtschaft stehe am Anfang eines synchronen Aufschwungs, die Unternehmen erzielten hohe Gewinne und schwämmen im Geld, die geldpolitischen Rahmenbedingungen blieben wohl auch künftig noch sehr generös – und durch geopolitische Wirren ausgelöste Kursrückschläge stellten meist gute Kaufgelegenheiten dar, heisst es. Kein Wunder, wähnen sich die Anleger derzeit in der «besten aller Welten».

Tatsächlich konnten sie bisher immer wieder neue Argumente finden, um optimistisch in die weitere Zukunft zu blicken. Erst waren «schlechte» Nachrichten «gute» Nachrichten, weil die Notenbanken in der Vergangenheit drohende Abstürze wiederholt mit immer mehr billigem Geld verhinderten. Wieso sollte sich das plötzlich ändern? Danach gingen die Anleger auf Renditejagd, in der Überzeugung, die Zinsen würden sehr lange sehr tief bleiben. Inzwischen scheinen sie das Mantra von ewig steigenden Unternehmensgewinnen bei sinkenden Steuern und inflationsfreiem Wachstum verinnerlicht zu haben. Fragt sich nur, ob ihre wirtschaftlich nicht ganz uneigennützigen Berater sie auch dann noch bei der Stange halten können, wenn ihre Erwartungen einmal richtig enttäuscht werden.

Mit Blick auf die vergangenen Jahre lässt sich ohnehin trefflich fragen, ob harte wirtschaftliche Fakten bei der Geldanlage überhaupt eine wesentliche Rolle gespielt haben. Skeptiker jedenfalls argumentieren, entscheidend sei gewesen, wohin die von den grossen Zentralbanken frisch geschaffene Geldflut im Gegenwert von 15 000 Milliarden Dollar geflossen sei, und liefern die Antwort meist auch gleich mit: in die Börsen und Bondmärkte. Dort machen sie nun eine «Doppelblase» aus. Tatsächlich legt der Blick auf traditionelle Bewertungsmethoden den Schluss nahe, dass Aktien amerikanischer Unternehmen so teuer sind wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. In anderen Regionen sieht es bei Berücksichtigung der monetär stark verzerrten Rahmenbedingungen und Daten nicht viel anders aus. An den Anleihe- und Kreditmärkten werden schon seit geraumer Zeit immer mehr Papiere angeboten, deren Preise in keinem vernünftigen Verhältnis mehr stehen zur Bonität der Schuldner, zur Höhe des Coupons, der Laufzeit und der schwachen Besicherung. Zusammengenommen haben die massiven Wertpapierkäufe der Notenbanken, Rettungsprogramme wie Tarp oder OMT sowie die extrem tiefen oder negativen Zinsen an den Finanzmärkten zu starken Aufwertungstrends bei geringsten Kursschwankungen geführt. Die tiefen Volatilitäten erwecken gar den Eindruck, als seien die Anleger in Trance versetzt worden.

Dabei hätten sie gerade jetzt allen Grund, kritisch auf die Lage an und auf die Strukturen der Finanzmärkte zu blicken – vor allem auch auf passive Investments wie Exchange-Traded Funds und Indexfonds, auf sogenannte Risk-Parity-Produkte sowie auf Trendfolge- und systematische Vermögensverwaltungsprogramme. Diese konnten in den vergangenen Jahren aufgrund der vorteilhaften Rahmenbedingungen interessante Renditen erzielen und deswegen immer mehr Gelder anziehen – ein Prozess, der bis heute anhält. Dagegen haben viele aktive, am Substanzwert orientierte oder gar «bärisch» auf einen Trendbruch setzende Investoren aufgegeben, trotz guten rationalen Argumenten gegen den Strom zu schwimmen. Als Konsequenz orientiert sich die Kursentwicklung einzelner Wertpapiere oft kaum mehr an der Umsatz- und Gewinnentwicklung des relevanten Unternehmens, sondern wird primär von der monetär induzierten Euphorie bestimmt. So lässt sich etwa erklären, wieso der Kurs der Tesla-Aktie so hoch ist, obwohl der «Automobilhersteller der Zukunft» täglich unheimlich viel Geld verbrennt, oder wieso die Papiere von Amazon so teuer sind. Zusammengenommen führt das Phänomen dazu, dass viele Investoren einseitig ausgerichtet sind, indem sie gleichzeitig und systematisch auf einen anhaltenden Boom und geringe Kursschwankungen setzen.

Anleger einseitig ausgerichtet

Sollten die Anleger plötzlich ihre hohen Erwartungen zurückschrauben und ihre Wertpapiere verkaufen wollen, liesse sich eine Wiederholung des 87er Crashs nicht ausschliessen. Denn glaubt man Skeptikern, werden dann passiv und quantitativ agierende Investoren die Rolle des Sündenbocks übernehmen müssen, die vor 30 Jahren den als innovativ geltenden Optionshändlern zugeschrieben worden war. Tatsächlich könnten sie gezwungen sein, bei aufkommender Verunsicherung verstärkt in fallende Märkte hinein zu verkaufen, was die begonnene Bewegung gefährlich verstärken würde. Sollten die Kurse von Aktien- und Anleihen gleichzeitig unter Druck geraten, könnte die Lage prekär werden. Schliesslich wäre das eine Konstellation, auf die sich bisher nur die wenigsten vorbereitet haben. Glaubt man Schwarzmalern, so stellen viele passive und regelbasierte Anlageformen ein systemisches Risiko dar, weil sie in normalen Zeiten Liquiditäts– und Diversifikationsvorteile vorspiegeln, die im Krisenfall nicht eingelöst werden können.

Insgesamt mögen die gewaltigen Eingriffe der Zentralbanken in den vergangenen Jahren dazu beigetragen haben, die Weltwirtschaft kurzfristig zu stabilisieren. Allerdings geschah das nicht gratis. Der Preis zeigt sich in Form hoher Risiken, welche die Investoren auf der Suche nach Rendite eingehen mussten. Diese machen das Finanzsystem nun in Verbindung mit zunehmenden Verbindlichkeiten anfällig für externe Schocks, auch wenn im Moment wenig darauf hindeuten mag. Früher oder später wird einer davon zu einer Korrektur führen.

https://www.nzz.ch/finanzen/der-naechste-crash-ist-nur-eine-frage-der-zeit-ld.1323644?mktcid=nled&mktcval=107_2017-10-23