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Deutsche »Wiedergutmachung« – Vernichtungswahn und Revanchismus im Krieg gegen »die neuen Nazis« in Palästina

Von Susann Witt-Stahl – JUNGE WELT 29-11-2

Verbrämung von Mord und Totschlag: Nach einem israelischen Luftangriff im Flüchtlingslager Dschabalia (31.10.2023)

Linke Mordlust

Auch im linksdeutschen Milieu ist die Begeisterung über die »Wiedergutmachung« gegen die Palästinenser besonders groß, wenn sie der »wehrhafte jüdische Staat« übernimmt:

»Er kann eliminatorischen Antisemitismus zwar nicht aus der Welt schaffen, aber er kann Antisemiten aus der Welt schaffen, in abschreckend großer Zahl, so wie es die israelischen Streitkräfte gerade tun«, verkündete Arthur Buckow, ehemaliger ND-Autor und – nach eigenen Angaben – »Salonkommunist«, auf Facebook.

»Das Grauen, das sich dabei zwangsläufig ereignet, ist Voraussetzung dafür, dass kein viel größeres geschieht.«

Für diese originelle Antithese zum welthistorischen Imperativ »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!«, die exakt auf den wieder »kriegstüchtigen« deutschen Imperialismus zugeschnitten ist, spendeten den verdienten Applaus zahlreiche Kollegen aus dem Lager der »Antideutschen«, etwa Martin Niewendick, der sie »monumental true« findet.

Natürlich dürfe es mit den Palästinensern keinen Frieden geben, ergänzt das Verlautbarungsorgan Jungle World, »bis die Hamas und ihre willigen Vollstrecker zur Rechenschaft gezogen und alle Geiseln befreit worden sind«.

Ein Meme im Internet zeigt Werbung für einen »Gaza-City-Bausatz« aus einem Haufen grauer Lego-Bausteine. Es findet in deutschen und anderen westlichen sozialen Medien große Verbreitung.

User fragen bereits nach einer »Weißen-Phosphor-Edition«. Wenn es gegen »Amalek«, das vom Erdboden zu tilgende reine Böse, die Palästinenser, geht, dann muss Witzigkeit beim unterhaltsamen Ausleben niederster Instinkte kein Pardon mehr kennen. Das gilt etwa für die stets mit Lach-Emojis verzierten Posts von Grauen und Greueltaten, die täglich auf Telegram-Kanälen in hebräischer Sprache präsentiert werden:

Videos von schwerverwundeten Palästinensern, verbrannten und zerfetzten Körpern, auch von Kindern, und verzweifelten Angehörigen, ebenso Bilder von Folterungen und sexueller Demütigungen Gefangener durch israelische Soldaten oder Siedler.

Die Kahanisten, zionistische Faschisten aus dem Umfeld von Minister Itamar Ben-Gvirs Otzma-Jehudit-Partei, die solchen Gewaltexzessen huldigen, haben durchaus Gründe, sich im Recht zu wähnen. Seit Jahren predigen bürgerliche Politiker regelmäßig »Grasmähen« auf dem Gazastreifen – seit dem 7. Oktober wetteifern sie um die brutalste Lösung des Palästinenser-Problems: Es bedürfe »einer Nakba«, meint etwa der Likud-Politiker Ariel Kallner, »die die Nakba von ’48 überschatten wird«.

»Islamische Waffen-SS«

Ein vom Völkerrecht entgrenzter israelischer Krieg eröffnet auch der politischen Klasse des deutschen Imperialismus in der »Zeitenwende« der Militarisierung ungeahnte Möglichkeiten.

Das wurde bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Benjamin Netanjahu und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz am 17. Oktober in Tel Aviv deutlich: Nachdem der israelische Premier das Massaker vom 7. Oktober mit dem Holocaust verglichen hatte, sprach er die erlösende Formel, die der entzückten Springerpresse die ersehnte kathartische Schlagzeile lieferte: »Hamas sind die neuen Nazis.«

Sah sich die Merkel-Regierung 2015 noch genötigt, Netanjahus Geschichtsklitterungen – damals hatte er den palästinensischen Großmufti anstelle von Hitler als Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Juden ausgemacht – mit den Worten »Wir wissen um die ureigene deutsche Verantwortung an diesem Menschheitsverbrechen« zu widersprechen, goutierte Olaf Scholz die Relativierung und die endgültige Ablösung der Deutschen durch einen neuen welthistorischen Schurken mit beredtem Schweigen. Die Gunst der ausgefallenen Geschichtsnachhilfestunde nutzend, legte der »Antisemitismusbeauftragte« von Baden-Württemberg, Michael Blume, rund drei Wochen später nach und befand, dass die Hamas noch schlimmer als Hitlers Mörderbanden sei: Die Nazis hätten ihre »Massenmorde noch versteckt – die Hamas diese aber wie zuvor Daesch medial zelebriert«.

Wer nicht mehr als hässlicher Deutscher betrachtet wird, kann sich um so ungenierter als solcher gegen seinen angeblich noch hässlicheren Nachfolger benehmen. Das schafft Distanz zur eigenen Vergangenheit. Und schließlich geht es gegen »Nazis«, da ist bekanntlich alles erlaubt – vor allem jede plumpe Projektion deutscher Verbrechen als Grundlage für die Forderung, neue zu legitimieren:

»Hinter Klageweibern und scheinbar den Himmel um Gnade anflehenden Familienvätern stehen nicht nur die Hamas, Islamischer Dschihad und kleinere Einheiten der islamischen Waffen-SS, die nach einer Feuerpause mit internationaler Unterstützung und noch größerer Wirkung ihren Holocaust gegen Israel fortsetzen wollen, sondern anscheinend die palästinensische Bevölkerung in ihrer Mehrheit.«

In dieser Halluzination der Redaktion der Zeitschrift Bahamas, die früher den äußersten rechten Rand der »antideutschen« Reaktion markierte, findet sich das Ideologiekondensat genau der Kriegspolitik ohne Rücksicht auf Verluste, die sich das immer stärker werdende Establishment der deutschen Rechten heute wünscht.

Für die Verbrämung von Mord und Totschlag hat sie den von den »Antideutschen« propagierten neoliberalen Antifaschismusbegriff – der für die Heiligsprechung der Zwecke des NATO-Imperialismus designt wurde und seit dem Golfkrieg von 1991 sukzessive den originär marxistischen abgelöst hat – übernommen:

Die IDF führe »einen antifaschistischen Befreiungskampf«, behauptet etwa Felix Perrefort, bis vor wenigen Tagen Redakteur der AfD-nahen Achse des Guten. Die Zustimmungswerte für die Hamas bei den Palästinensern heute würde »der in der deutschen Bevölkerung einst weitverbreiteten Sympathie für das Hitler-Regime« entsprechen.

Auch »die arabischen Vernichtungskriege gegen Israel (1948 und 1967)« bezeugten den »der Sache nach völkischen Unwillen, sich mit jüdischer Souveränität zu arrangieren«, rechtfertigt Perrefort zumindest indirekt die massenhafte Tötung von Zivilisten im Gazastreifen. Perrefort – der betont, dass er von den »Antideutschen« kommt und die Brandmauer gegen die AfD einreißen will, um »die Machtverhältnisse zum Tanzen zu bringen« – arbeitet seit kurzem für das rechte Onlineportal Nius, »Die Stimme der Mehrheit« des milliardenschweren Medienunternehmers Frank Gotthardt, zu dem auch der Youtube-Kanal des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt gehört.

»Palästinenser ausradieren«

Die Gosse folgt seit jeher kadavertreu dem Ruf des Blutes der rechten Eliten. Und so heißt es »Feuer frei!« mit Hass und Hetze gegen palästinensische »Nazis«, zu denen auch die Schulkinder in Khan Yunis zählen, und alle, die man mit ihnen im Bunde wähnt: vom arabischen Migranten über den deutschen Kommunisten bis zum jüdischen Linken, die hierzulande für einen Waffenstillstand und ein Ende der israelischen Besatzung demonstrieren – »Terroristen«, »Verräter«, »Nestbeschmutzer«. Mit den Palästinensern muss kurzer Prozess gemacht werden: »Das war nur ein freundliches ›Shalom‹. Die Israelis fangen jetzt erst an. Da kann der Allahu noch so akbar sein«, genießt ein Twitter-User die Bilder aus Gaza von einem Zivilfahrzeug, das samt Insassen durch einen gezielten Schuss aus einem »Merkava«-Panzer pulverisiert wird. Und ein »freier Sachse« meint: »Völkerrecht hin oder her – der gesunde Menschenverstand sagt, dass man die Palästinenser-Brut ein für alle Mal ausradieren muss.« Derartige Einträge finden sich zu Tausenden im Internet.

Rückdeckung erhält der Mob von oben aus der (links-)liberalen Regierungs-»Mitte«, die, wie die Schriftstellerin Deborah Feldman treffend beobachtet hat, »zur Zeit auf Linie mit der AfD ist« (dafür ist sie Diffamierungskampagnen ausgesetzt – etwa von dem Pianisten und Megaphon »feministischer« grüner Außenpolitik Igor Levit): »Wenn die Bilder zunehmend aus Gaza kommen, dann muss die Solidarität immer noch stehen«, und es sei »gut, dass jetzt sehr robust gehandelt wird«, klagte der Generalsekretär der Kanzlerpartei schon vor der israelischen Bodenoffensive für das Gemetzel und die Grundrechtsverletzungen, die zwecks Unterdrückung der Proteste dagegen begangen werden, bei der deutschen Bevölkerung Empathielosigkeit und Gehorsam ein – wegen der »deutschen Verantwortung« für die Juden.

»Ja, das Schicksal der Palästinenser ist hart«, schreibt Stefan Laurin, Springer-Journalist und Herausgeber des Neocon-Blogs Ruhrbarone, und erklärt, warum sein »Blick auf Gaza nicht von Mitleid geprägt ist«. Wie damals die Deutschen, auch seine Familie, die NSDAP gewählt hatten und in die SS eingetreten waren, seien heute fast alle Bewohner von Gaza Antisemiten. Daher will Laurin die israelische Armee dort eine Schlacht schlagen lassen, »die eine Mischung aus dem Häuserkampf in Stalingrad und der Eroberung der Tunnel- und Bunkerinsel Iwo Jima« sei.

Sündenböcke

»Erfolg und Härte des israelischen Vormarschs lösten einen Blutrausch aus, Blitzkriegstheorien schossen ins Kraut, Bild gewann in Sinai endlich, nach 25 Jahren, doch noch die Schlacht von Stalingrad«, hatte die Publizistin Ulrike Meinhof nach dem 1967er Krieg über die Freude der im Kalten Krieg rehabilitierten alten Nazis und ihrer Kampagnenpresse an der Revanche notiert – für die ein kollektiver »Rächerjude«, ein Klischee, das sie vorwiegend nach ihrem eigenen Spiegelbild ersonnenen hatten, sorgen sollte.

Das ist eine perfide Konsequenz, die in Adenauers »Wiedergutmachungspolitik« angelegt war. Sie basierte nicht auf aufrichtiger Reue. Im Gegenteil: Durch einen Tauschhandel (zum Nachteil der Opfer) eröffnete sie verschlungene Wege für einen scheinbar entnazifizierten deutschen Imperialismus, perspektivisch neue Verbrechen zu begehen. Dafür bediente sie sich eines Philo­semitismus, der Judentum auf Zionismus reduziert und statt emanzipatorischer Überwindung des Antisemitismus die Verfestigung antijüdischer Stereotype zeitigte. Nicht um Aufarbeitung – um Instrumentalisierung der eigenen mörderischen Vergangenheit ging es, und zwar für die Durchsetzung von partikularen Interessen »der Klasse der Kriegsgewinnler und Wirtschaftsverbrecher des Dritten Reichs«, die »sich auf Kosten des Volkes exkulpiert und wieder an die Macht geschlichen« hat, wie der Schriftsteller Michael Schneider 1977 im Vorwort seines Theaterstücks »Die Wiedergutmachung oder Wie man einen verlorenen Krieg gewinnt« festgehalten hat. Deren falsche Projektionen und Ideologeme sind in die Staatsräson der »Israelsolidarität« der wieder auf Krieg gebürsteten Berliner Republik eingegangen, die in einem zionistischen Staat mit einer vom Hass der Kahanisten zerfressenen Gesellschaft einen kongenialen Partner gefunden hat. So ein Deutschland kann mit einem gerechten Frieden zwischen Juden und Arabern nichts anfangen. Daher lässt es die Palästinenser als Sündenböcke für die in den Nahen Osten exportierte Schuld zahlen – wenn nötig mit ihrer Existenz.