MESOP MIDEAST WATCH: ERDOGAN LÄSST WESTLICHE PRO NATO PARLAMENTE SÄUBERN

Eine kurdischstämmige Parlamentarierin kompliziert Schwedens Weg in die Nato

Nach wie vor blockiert die Türkei Schwedens Nato-Beitritt. Dass die schwedische Regierungspartei zur internen Machtsicherung Zugeständnisse an eine Abgeordnete machte, die mehr Unterstützung für die Kurden fordert, gestaltet die Sache nicht einfacher.

NZZ 15.06.2022, Sie ist im schwedischen Reichstag gegenwärtig das Zünglein an der Waage: die unabhängige Parlamentarierin Amineh Kakabaveh

Amineh Kakabaveh ist das, was im schwedischen Politologen-Jargon eine «politische Wilde» genannt wird. Der Terminus sagt zwar nicht grundsätzlich etwas aus über jemandes Charakter. Er ist lediglich eine Bezeichnung dafür, dass die betreffende Person die Partei, für die sie einst in den Reichstag gewählt worden war, inzwischen verlassen hat, ohne das Mandat abzugeben. Im Fall von Kakabaveh ist «wild» allerdings durchaus auch auf den Stil anwendbar, mit dem sie politisiert.

Gewöhnlich haben unabhängige Mandatsträger im Parlament meist wenig zu melden. Ohne politische Maschinerie in Form einer Fraktion im Rücken versinken sie in der Masse der 349 schwedischen Abgeordneten. Doch bei Kakabaveh, einer 51-jährigen Frau kurdisch-iranischer Abstammung, ist das anders.

Die streitbare Abgeordnete

Denn die gegenwärtigen Machtverhältnisse sind so ausgeglichen wie selten zuvor. Der Block der in Minderheit regierenden Sozialdemokraten, die auf die stille Unterstützung von Grünen, Linkspartei und Zentristen zählen können, kommt auf 174 Abgeordnete. Die Opposition aus drei bürgerlichen und einer rechtsnationalen Partei ebenso. Und dann gibt es Amineh Kakabaveh.

Sie gab in dieser Konstellation den Ausschlag, dass im November die Sozialdemokratin Magdalena Andersson zur ersten Frau an der Spitze einer schwedischen Regierung gewählt wurde. Das war allerdings nicht gratis: Die Sozialdemokraten verpflichteten sich in einer Vereinbarung zur Unterstützung kurdischer Interessen.Das war eine Herzensangelegenheit für die ehemalige Widerstandskämpferin Kakabaveh, die später als Asylsuchende in Schweden Aufnahme fand, sich bald darauf politisch zu engagieren begann und schliesslich für die exkommunistische Linkspartei ins Parlament kam.

Es war auch ein leichtes Versprechen für die Sozialdemokraten. Denn in der Partei herrscht verbreitete Sympathie für die kurdischen Anliegen, verbunden mit Kritik an der repressiven Linie der Türkei.

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Anderssons Machtspiel

Bei Anderssons Kür zur Regierungschefin vor einem halben Jahr erlebte Kakabaveh eine veritable Sternstunde als Zünglein an der Waage zwischen den beiden ausgeglichenen Machtblöcken. Und dies wiederholte sich in den letzten Tagen, als die Opposition ein Misstrauensvotum gegen Justizminister Morgan Johansson wegen dessen Misserfolgen bei der Bekämpfung der Bandenkriminalität anstrengte. Denn Ministerpräsidentin Andersson drohte flugs mit einem Rücktritt der gesamten Regierung, sollte der Antrag durchgehen. Wieder war es Kakabaveh, die die Existenz des Kabinetts in ihren Händen hielt.

Ihr Vertrauen in den Justizminister sei ungebrochen, erklärte die streitbare Parlamentarierin, nachdem sie sich von der sozialdemokratischen Partei öffentlich eine Zusicherung hatte geben lassen, dass das November-Abkommen in Sachen Kurden nach wie vor gültig sei. Allerdings hat dieses Abkommen inzwischen ein ganz anderes Gewicht erhalten.

Vor einem halben Jahr nämlich hatte sich in der Regierungspartei noch kaum jemand vorstellen können, dass Schweden jemals einen Antrag für einen Nato-Beitritt stellen würde. Nur Monate später ist es nach einer dramatischen Umwälzung der Sicherheitslage in Europa so weit. Aber nun legt Ankara sich quer. Wenn Schweden seine Linie gegenüber «Terroristen» nicht revidiere, könne die Türkei als Nato-Mitglied einer Aufnahme Schwedens in den Pakt nicht zustimmen, liess der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wissen.

«Verantwortungsloses Gebaren»

Die politischen Zusicherungen der schwedischen Sozialdemokraten gegenüber Kakabaveh machen die Suche nach einer Verhandlungslösung mit der Türkei zum Nato-Beitritt kaum einfacher. Kakabaveh ficht das nicht an. Der Nato beizutreten, hält sie ohnehin für falsch. In diesem Punkt liegt sie noch ganz auf der Linie der Partei, die einst ihre politische Heimat gewesen war, mit der sie sich in anderen Dingen aber überworfen hat. Schweden könne das Gesuch ja zurückziehen, meint sie. Wichtiger sei es, vor Erdogan nicht zu kuschen.

Die Frage, die nun einige Analytiker in Schweden stellen, lautet deshalb: Wie klug war es von Ministerpräsidentin Andersson, den in einem ganz anderen Zusammenhang stehenden Angriff der Opposition auf Justizminister Johansson mit der Vertrauensfrage für das gesamte Kabinett zu verknüpfen und Kakabaveh damit eine Bühne zu geben? Die bürgerlich ausgerichtete Zeitung «Expressen» schrieb, Andersson habe «völlig verantwortungslos» die Machterhaltung für ihre Partei über das sicherheitspolitische Interesse Schwedens gestellt. Andere Kommentatoren argumentierten, dass es seitens der Opposition drei Monate vor einer Parlamentswahl überflüssig gewesen sei, einem Minister derart an den Karren zu fahren. Schliesslich könnten die Wähler dessen Leistung im September selbst bewerten.

In der anstehenden Parlamentswahl liegt denn auch der Grund dafür, dass der lautstark ausgetragene Konflikt um die Zugeständnisse der Sozialdemokraten an Kakabaveh keine tieferen Spuren in der Politik hinterlassen dürfte. Denn «Wilde» schaffen kaum je eine Wiederwahl, und wenn sich das nächste Parlament nicht nochmals in einer Pattsituation wie jetzt wiederfindet, haben Unabhängige auch keine direkten Einflussmöglichkeiten mehr. Bei den Sozialdemokraten scheint man deshalb darauf zu pokern, dass die Vereinbarung mit Amineh Kakabaveh im Herbst ohnehin bedeutungslos sein wird.