MESOP “LOB DER “BILD-ZEITUNG” : 7 Fakten, die Politiker gern verschweigen (FLUCHT & MIGRATION)

Europa sucht nach der verheerenden Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer mit mehreren hundert Toten nach Antworten auf den immer größer werdenden Flüchtlingsstrom. Doch unsere Politiker verschweigen oft die unbequemen Wahrheiten. BILD am SONNTAG nennt sieben unbequeme Wahrheiten, die meist unausgesprochen bleiben.

1. Wir haben Verbrecher-Regime unterstützt und so die heutigen Probleme mitverursacht

Selmin Çaliskan (48), Generalsekretärin von Amnesty International, zu BamS: „Letztendlich ist jede Diktatur, die wir in den vergangenen Jahrzehnten unterstützt haben, ein Grund für die heutigen Flüchtlingsströme nach Europa.“ Deutsche Firmen lieferten offenbar bis 2011 Chemikalien in großem Stil nach Syrien. So wurde der syrische Diktator Bashar al-Assad (49) bei der Errichtung seines Chemiewaffen-Arsenals unterstützt. Die EU erteilte noch 2009 Exportlizenzen für Waffen in Höhe von rund 344 Millionen Euro an Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi († 69). Um die steigenden Flüchtlingsströme aus Libyen einzudämmen, unterzeichnete Italien im August 2008 mit dem nordafrikanischen Land den „Vertrag über Freundschaft, Partnerschaft und Kooperation“.

Darin vereinbarte Italien eine Zahlung von fünf Milliarden Dollar, im Gegenzug verpflichtete sich der libysche Diktator zu mehr Gas- und Öllieferungen und zur Zusammenarbeit bei der Rückführung von Bootsflüchtlingen aus Europa nach Nordafrika.

2. Wenn Deutschland die Entwicklungshilfe richtig einsetzte, gäbe es weniger Flüchtlinge –

Beispiel Syrien (aus diesem Land kommen aktuell die meisten Flüchtlinge): Das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) stellte im Mai 2011 die Entwicklungshilfe wegen des beginnenden Bürgerkriegs ein.

Im Jahr zuvor flossen noch Millionenbeträge des BMZ zum Aufbau einer verbesserten Infrastruktur. Beispiel Nigeria (Platz 4 in der Flüchtlingsstatistik): Das Land wird von uns seit mehr als 50 Jahren unterstützt, bekam allein 2013 rund 24,5 Millionen Euro an Entwicklungshilfe. Das Geld wird nach Angaben des BMZ vor allem für eine „nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“ genutzt. Während in Nigeria die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, spricht das BMZ von einer „deutlichen Verbesserung“ der Situation.

 

Syrische Oppositionelle
Syrische Oppositionelle posteten gestern auf Twitter ein Foto mit Dankesbotschaft an Angelina Jolie: „Du hast das Herz eines Engels“Foto: twitter

3. Die EU muss endlich legale Fluchtwege schaffen

Wer in Deutschland Asyl beantragen will, kann das erst im Land oder an der Grenze. In den deutschen Botschaften ist das nicht möglich.

Maßnahmen wie das Botschaftsasyl, humanitäre Visa oder Umsiedlungsprogramme für schutzbedürftige Menschen könnten das Problem der illegalen Zuwanderung von Flüchtlingen und die damit einhergehenden Risiken reduzieren.

Und, so Migrationsforscher Steffen Angenendt (57) von der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Mit Programmen zur legalen Migration von Arbeitskräften könnte auch die Zahl der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge reduziert werden.“

4. Militär-Operationen gegen Schlepper funktionieren nicht

Mit einer militärischen Operation will die EU gegen die Schlepper in Libyen vorgehen. Das klingt nach entschlossenem Durchgreifen.

Doch wie soll das gehen? Die libysche Mittelmeerküste ist 1770 Kilometer lang und wird zum Teil von der ISIS kontrolliert. Das Land versinkt in Machtkämpfen und Chaos, einen staatlichen Partner für einen Militäreinsatz gibt es nicht.

Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz: „Ein militärisches Vorgehen gegen die Schlepperbanden im Mittelmeer wird die Lage nicht wesentlich ändern. Allenfalls die ,kleinen Fische‘ an Bord der Flüchtlingsschiffe können gefasst werden, während die Hintermänner in Libyen unangetastet bleiben und von dort aus ihr höchst profitables Geschäft weiter organisieren.“

Franziska Brantner (35), Grünen-Bundestagsabgeordnete und frühere EU-Parlamentarierin: „Seit Jahren versucht die EU eine Kooperation zur Grenzsicherung in Libyen, es gibt dafür bereits eine erfolglose EU-Mission. Kaum vorstellbar, dass deutsche Soldaten dort an Land einfach ‚Schiffe versenken spielen‘ können, ohne in bewaffnete Konflikte verwickelt zu werden. Selbst mit einem UN-Mandat wäre dies abenteuerlich.“

5. Wir sollten den Ländern helfen, die viel mehr Flüchtlinge aufnehmen als wir

Von den rund 3,8 Millionen Menschen, die seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 aus Syrien geflohen sind, kamen etwa 210 000 nach Europa, die Hälfte davon nach Deutschland. Das sind also weniger als ein Prozent aller Syrien-Flüchtlinge.

Zum Vergleich: In der Türkei und in Jordanien leben 24 Prozent aller Syrien-Flüchtlinge, im Libanon sogar 1,2 Millionen – mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung!

Die meisten leben unter furchtbaren Bedingungen in Lagern, mit mangelnder Hygiene und Versorgung. Viele Kinder haben keinen Schulunterricht mehr.

Deutschland hat im Frühjahr 55 Millionen Euro Hilfe für den Libanon zugesagt und weitere 52 Millionen Euro für die syrischen Flüchtlinge in der gesamten Region.

Nach Ansicht des Migrationsforschers Steffen Angenendt reicht das nicht: „Die EU muss gemeinsam noch mehr dafür tun, die Situation vor Ort zu verbessern. Sonst wird es zu einer Weiterwanderung in die EU kommen.“

6. Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht

Nachdem im Herbst 2013 300 Flüchtlinge vor der italienischen Insel Lampedusa ertrunken waren, versprach die EU zwei Konsequenzen: mehr Geld für die Seenotrettung und eine bessere gemeinsame Asylpolitik.

Aber: Das von Italien organisierte Programm „Mare nostrum“ ließ man nach einem Jahr wieder auslaufen. Und bis heute gibt es in der EU auch keine einheitliche Flüchtlingspolitik: Ob beim Asylantrag ein Herkunftsland als sicher eingestuft wird, ist Entscheidung der jeweiligen Nationalstaaten.

Der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn (57, zuständig für Nachbarschaftspolitik) zu BamS: „Wir brauchen eine EU-weit einheitliche Beurteilung von Fluchtländern. Es kann nicht sein, dass in einem EU-Mitgliedstaat fast alle Asylanträge von Flüchtlingen aus einem bestimmten Land erfolgreich sind und im Nachbarstaat Flüchtlinge aus demselben Land alle abgewiesen werden.“

7. Wir brauchen die Flüchtlinge als Arbeitskräfte

Wenn wir unsere Wirtschaftskraft erhalten wollen, brauchen wir laut OECD 400 000 Einwanderer pro Jahr.

Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), zu BamS: „Viele von den Flüchtlingen könnten als Fachkräfte gebraucht werden. Ihr Zugang zu Ausbildung und zum Arbeitsmarkt entsprechend ihrer Qualifikation muss deshalb frühzeitig eröffnet werden. Und für Wirtschaftsflüchtlinge brauchen wir legale Zuwanderungsmöglichkeiten bei Vorlage eines Job­angebots.“

Zimmermann hofft nun auf das EU-Zuwanderungskonzept, das die Kommission im Mai vorlegen will: „Dann zeigt sich, ob Europa langfristig verstanden hat.“