MESOP KULTUR: “potentia absoluta” IN LBGTQ-ZEITEN : NICHT SCHÖNERE GEDICHTE – SONDERN BESSERE VERBOTE !

AN DIE LYRIK, SCHWESTERN ! / Von Bettina Weiguny

Liebe Leser,

unter uns kann ich es zugeben: Ich bin fürchter lich naiv. Da lese ich ein Gedicht, und es rührt mich. Einfach so. Das passiert mir bei Büchern, Bildern, oft auch bei Liedern. Dabei entgeht mir völlig der sexistische Subtext, der die Künste seit der Höhlenmalerei durchzieht. Denn meist sind es Männer, die über Frauen schreiben. Oder über die Natur oder Gott, aber meist ist das vorgeschoben. Im Prinzip geht es immer um Frauen und die Liebe. Jetzt tobt in Berlin ein Streit um ein Gedicht („avenidas”) von Eugen Gomringer. Berlin ist übrigens der einzige Ort, der sich heldenhaft dem täglichen Sexismus entgegenstellt. Die kümmern sich dort um Straßennamen (viel zu oft nach Männern benannt) und paritätische Redezeiten in der Lokalpolitik (sonst schwafeln nur die Männer).

Das Gedicht von Gomringer, 92, ist auch so ein Übel. Der Lyriker hat es der Alice-Salomon-Hochschule geschenkt, diese hat es vor Jahren an die Fassade gepinselt. Nun sollen die Zeilen verschwinden, weil sie – so die Kritik der Studentenvertreter -an die „sexuelle Belästigung” erinnere, „der Frauen alltäglich ausgesetzt sind”. Das Gedicht sei eine Degradierung (der Frauen) zu „bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht”. Das Gedicht also lautet:

“Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer.”

Ja, zefix, das ist ein dicker Hund! Und wo wir schon dabei sind: In der Literatur wimmelt es von Frauen, die als Objekte der Verzückung dargestellt werden. Lauter Männerphantasien, das gehört alles verboten! Goethe mit seinen „halb geraubten Küssen”, pfui! Und seine Frauenhatz erst: „Eher wird sie beim Fliehen/als ich beim Verfolgen müd’.” Den Faust muss man umschreiben, Heines Loreley ebenfalls („Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar …”). Museen sind zu schließen, zumindest aber sind alle Bilder mit Frauen oder Blümchen drauf (Natur ist immer Sinnbild für das Weibliche) abzuhängen. Alle Liebeslieder, angefangen bei den Beatles, auf den Abfallhaufen der Pop-Geschichte!

Es kommt noch schlimmer. Selbst das angeblich so fortschrittliche Silicon Valley gehorcht den Macho-Verschwörern: Warum wohl tragen die digitalen Haushilfen ausschließlich weibliche Namen, war-um heißen sie „Alexa” und „Siri” und nicht „Ernst”? Und warum haben fast alle Navis eine säuselnde Frauenstimme?

Das muss ein Ende haben. An die Arbeit, Schwestern!

  1. Sept 2017 – FAZ/FAS Wirtschaft